Standpunkte Technologie oder Ideologie – Worauf will Europa seine Zukunft bauen?

Die EU steht vor wichtigen Entscheidungen zu ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Um im Agrarsektor weiter mitspielen zu können, darf sie die Neuen Genomischen Techniken nicht ausbremsen, schreibt Stephan Schraff in seinem Standpunkt. Um zukünftige Investitionen in Europa zu ermöglichen, müsse bei den Verhandlungen im Trilog außerdem ein Patentschutz für die Unternehmen gesichert bleiben.
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Jetzt kostenfrei testenZentrale Fragen der Zukunft Europas hat der Europäischen Rat vergangene Woche in Brüssel erörtert. Im Fokus stand, wie der Kontinent in einer immer stärker polarisierten Welt sicherer, unabhängiger und vor allem ökonomisch wettbewerbsfähiger werden kann. Aus Sicht der Wirtschaft geht es für die EU um eine einfache Frage: Will der Kontinent bei zentralen Zukunftsthemen dabei sein, oder verliert er im weltweiten Vergleich weiter an Boden?
Die gute Nachricht: Das Rennen um die wichtigsten Technologien des 21. Jahrhunderts ist noch nicht vorbei. Wir können unseren Rückstand jedoch nur aufholen, wenn wir neue Technologien endlich stärker fördern und vorantreiben. Eine der wichtigsten Aufgaben wird es sein, die Landwirtschaft für das 21. Jahrhundert nachhaltig fit zu machen. Die Voraussetzungen hierfür sind da, Europa ist im Bereich der landwirtschaftlichen Forschung sowohl im öffentlichen wie im privaten Sektor gut aufgestellt. Die Früchte dieser Arbeit müssen aber, anders als in der Vergangenheit, auch auf dem Feld umgesetzt werden.
Die klassische Gentechnik ermöglicht bereits seit mehr als 30 Jahren Eigenschaften bei Pflanzen, die durch herkömmliche Züchtungsmethoden kaum oder gar nicht zu erreichen wären. Mais, Soja oder Getreide können resistenter gegen Schädlinge, Viren oder Pilze gemacht werden, andere Züchtungen sind besser an Extremwetterverhältnisse angepasst.
In den meisten europäischen Ländern ist ihr großflächiger Anbau jedoch verboten – und das trotz jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschung und sicheren Anbaus außerhalb der EU. Die Konsequenz ist, das heute auf diesem Gebiet die führenden Länder USA, Brasilien und Indien heißen, und nicht Deutschland, Frankreich oder Italien.
Gentechnikrecht aus den 90ern kommt einem Verbot gleich
Leider hat die ablehnende Haltung gegenüber der klassischen Gentechnik auch Auswirkungen auf den Umgang mit neuen Methoden, wie die 2006 und 2020 mit Nobelpreisen ausgezeichnete Genomeditierung. Diese Technologie ermöglicht es, einen Organismus durch gezielte Veränderungen am eigenen Genom weiterzuentwickeln, ohne, wie bei der klassischen Gentechnik, fremde DNA einzufügen.
Dies ist prinzipiell auch durch spontane Mutationen möglich, wie sie milliardenfach in der Natur auftreten, oder wie sie durch konventionelle Züchtungsmethoden entstehen. Wenn wir Pflanzen schneller und präziser gegen Schädlinge und den Klimawandel schützen, höhere Erträge auf weniger Fläche erzielen, den Einsatz von Wasser, Dünger- und Pflanzenschutzmitteln verringern oder CO2 im Boden speichern wollen, dann bietet diese Technologie enorme Möglichkeiten.
Klassische Gentechnik und Genom-Editierung werden regulatorisch nach wie vor gleichbehandelt. Die fortgesetzte Anwendung eines aus den 1990ern stammenden Gentechnikrechts käme einem „De-facto-Verbot“ der Genom-Editierung gleich. Für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft wäre das ein schwerer Schlag.
Sollte es zu keiner brauchbaren Regulierung kommen, wird dies auch weitreichende Folgen für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Europa haben. Neben Vertretern aus Politik und Wirtschaft fordern deswegen auch zahlreiche Wissenschaftler seit Jahren, die Technologie in Europa zu unterstützen.
Quo vadis, EU?
Es war ein wichtiges Signal, dass sich sowohl EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als auch die neue Bundesregierung für die Genomeditierung ausgesprochen haben. Bereits vor zwei Jahren hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, das gesetzliche Rahmenwerk für die Genomeditierung an die Gegenwart anzupassen. Genomeditierte Pflanzen sollen demnach unter gewissen Voraussetzungen wie klassische Züchtungen behandelt werden.
Bedauerlicherweise zeigt sich das EU-Parlament bis jetzt weniger offen. Die Diskussion im sogenannten Trilog – der dritte Akteur ist der Rat als Vertreter der Mitgliedstaaten – dreht sich allerdings weniger um angebliche Gefahren der Technologie, sondern wird von zwei eher technischen Punkten dominiert: Kennzeichnungspflicht und Patentschutz. Bei beiden Punkten liegen die Positionen von Rat und Parlament noch weit auseinander, was zur Verschiebung der für diese Woche angesetzten Trilog-Verhandlung geführt hat.
Bei der Kennzeichnung folgen die Mitgliedstaaten dem Kommissionsvorschlag: Kennzeichnungspflicht für das Saatgut, nicht aber für daraus produzierte Lebensmittel, heißt es in der Position des Ministerrats.
Das Parlament fordert hingegen eine lückenlose Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Lieferkette bis in den Supermarkt – was angesichts der damit verbundenen Komplexität und Kosten einem Ende der Technologie in Europa gleichkäme, bevor sie überhaupt an den Start gegangen ist. Denn entlang der Wertschöpfungskette müsste vom Acker bis zum Teller neben der konventionellen und der biologischen nun auch ein separater dritter Verarbeitungsstrang entwickelt werden.
Patentausschluss wäre ein Todesstoß für viele Biotech Start-ups
Die zweite Konfliktlinie liegt im Umgang mit dem Schutz des geistigen Eigentums. Ginge es nach dem Parlament, sollen genomeditierte Eigenschaften von Pflanzen überhaupt nicht patentiert werden können. Doch das Patentrecht ist wesentlich komplexer und stellt in erster Linie einen Investitionsschutz dar. Die Forschung bedarf nach wie vor finanzieller und personeller Ressourcen, die später am Markt erwirtschaftet werden müssen. Kein Unternehmen investiert in neue Technologien, wenn es das geistige Eigentum an seinen Innovationen nicht ausreichend schützen kann.
Der Schutz geistigen Eigentums ist für ein Unternehmen wie Bayer, das mehr als 2,3 Milliarden Euro jährlich in die Forschung und Entwicklung von landwirtschaftlichen Innnovationen investiert, von essenzieller Bedeutung. Patentschutz ist aber nicht nur für uns wichtig, gerade für die wachsende Anzahl von Biotech Start-ups in Europa, wäre ein Patentausschluss der Todesstoß.
Patente ermöglichen aber nicht nur Investitionen, sondern sorgen für Transparenz und schaffen Vertrauen, denn mit jedem Patent geht die Verpflichtung einher, die technischen Details offenzulegen – und zwar bereits lange vor der Vermarktung. Das ermöglicht weitere Forschung und Fortschritt. Die Alternative wäre Geheimhaltung und damit ein großes Innovationshemmnis.
Es ist im Übrigen ein Mythos, dass in Europa ganze Pflanzen patentiert werden könnten. Pflanzenbezogene Erfindungen sind nur dann patentierbar, wenn sie die strengen Patentkriterien Neuheit, erfinderische Tätigkeit, Reproduzierbarkeit und gewerbliche Anwendbarkeit erfüllen. Es muss sich also zum Beispiel um ein Gen oder eine Eigenschaft in einer Pflanze handeln.
Der Kommissionsvorschlag enthält zu Recht keine Einschränkungen in diesem Bereich. Auch müsste eine eventuelle Veränderung in der Biopatentrichtlinie und nicht in der Gesetzgebung zu neuen Züchtungsmethoden vorgenommen werden.
Die Mitgliedstaaten sprechen sich ebenfalls für die Beibehaltung der Patentierungsmöglichkeit aus, allerdings unter der Vorgabe, mehr Transparenz gerade für kleine Züchter zu erreichen und erwähnen die Möglichkeit, über Lizensierungsplattformen einen fairen Interessensausgleich zu erzielen. Mitgliedstaaten und Parlament schlagen zudem vor, über wissenschaftliche Studien die Effekte von Patentierung auf den Sektor genauer zu untersuchen, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergreifen zu können.
Bayer ist jederzeit bereit, über die Bedenken zu sprechen und eine gute Lösung für alle zu finden, die mehr Transparenz und gute Lizenzierungsmöglichkeiten für patentierte Eigenschaften beinhaltet. Wir haben uns auch mit anderen Unternehmen zusammengetan, um mit der Lizenzplattform ACLP gerade kleinen Marktteilnehmern eine praktikable und rechtssichere Lösung für die Erteilung von Lizenzen zu bieten. Um es deutlich zu sagen: Wenn die EU keinen Patentschutz zulässt, nimmt sie den Standort Europa bei der Genomeditierung selbst aus dem Spiel.
Aktive Mitgestaltung der Bundesregierung
Wir wünschen uns nicht nur von der EU Kommission ein entsprechendes Rahmenwerk, sondern würden es auch begrüßen, dass die Bundesregierung dies aktiv mitgestaltet. Im Koalitionsvertrag gibt es hierzu positive Signale. Dort heißt es: „Die Biotechnologie wird als Schlüsselindustrie gefördert und ihre Anwendungen werden regulatorisch erleichtert, auch mit Blick auf die neuen genomischen Techniken.“ Sollte es zu keiner Einigkeit unter den Koalitionären kommen, kommt es auf den Bundeskanzler an, der öffentlich immer wieder betont, dass es das sogenannte German vote, also die Enthaltung, nicht mehr geben dürfe.
Wir bei Bayer begrüßen den Fortschritt, der unter der polnischen Ratspräsidentschaft erreicht wurde, auch wenn unter den EU-Institutionen noch keine Einigung erzielt werden konnte. Wir hoffen, dass unter der jetzt beginnenden dänischen Ratspräsidentschaft schnell eine Vereinbarung mit dem Europaparlament gefunden wird, die wissenschaftlich fundiert, innovationsfördernd und wirtschaftlich zukunftsweisend für den Standort Europa auf dem Weg zu mehr technologischer Unabhängigkeit, ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltigem Wachstum ist.
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