Standpunkte Warum regenerativer Anbau den Kaffeemarkt transformieren kann

Wetterextreme machen Kaffeebauern weltweit zu schaffen, die Preise für Rohkaffee schnellen weiter in die Höhe. Um nicht nur die Erträge langfristig zu sichern, sondern auch das Einkommen für die Landwirte in Anbauländern wie Äthiopien, braucht es einen Wandel. Regenerative Anbaumethoden sind die Lösung, ist Sebastian Brandis, Vorstandssprecher der Stiftung Menschen für Menschen, überzeugt.
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Jetzt kostenfrei testenDie Lager leeren sich, der Weltmarktpreis an der Börse in New York ist seit Monaten auf einem Allzeithoch, fünf Jahre in Folge ist das Angebot geringer als die Nachfrage: Der globale Kaffeemarkt befindet sich in einer beispiellosen Krise, die durch erstaunliche Widersprüche geprägt ist. Während die Nachfrage weiter steigt, kann die Produktion aktuell nicht mit den bisherigen Mitteln erhöht werden.
Zwar sind die Preise für die Endkund:innen stark gestiegen, bilden aber beileibe noch nicht die tatsächlichen Preissteigerungen für Rohkaffee ab. Die Folge: Margen werden geringer, Marktteilnehmer geraten in Schieflage. Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.
Für diese Situation gibt es nicht den einen Grund. Unvorhergesehene Dürren sind ein wesentlicher Treiber. Sie haben vor allem in den beiden größten Anbauländern Brasilien und Vietnam wiederholt für erhebliche Ernteeinbußen gesorgt. Klimawandel und Verlust resilienter Vielfalt durch Monokulturen zeigen zudem merkliche wirtschaftliche Auswirkungen auf den Kaffeemarkt.
Er ist vermutlich einer der ersten und offensichtlichsten Märkte, bei denen die Kosten des Nichtstuns im Kampf gegen den Klimawandel und gegen den Verlust der Biodiversität in der Wertschöpfungskette angekommen sind. Mit messbaren ökonomischen Folgen.
Regenerativer Kaffeeanbau steigert Produktivität
Viele Expert:innen sind sich einig, dass etwas passieren muss, dass es eine Transformation des Kaffeemarkts braucht. Eine aktuelle Studie von Technoserve, Nestlé und Jacobs Douwe Egberts Peet‘s belegt nun eindrücklich, dass ein Umstieg auf regenerativen Kaffeeanbau nicht nur möglich ist, sondern sogar die Produktivität steigert.
Die Studie konzentriert sich auf kleinbäuerliche Produktion in den neun größten Anbauländern, die insgesamt rund 70 Prozent des weltweiten Kaffees produzieren: Brasilien, Vietnam, Kolumbien, Honduras, Indonesien, Uganda, Äthiopien, Peru und Kenia.
Regenerative landwirtschaftliche Praktiken – wie Agroforstwirtschaft oder Verwendung organischer Abfälle zur Düngung von Pflanzen – könnten demnach erhebliche wirtschaftliche, ökologische und soziale Vorteile bringen. Um sie in den neun untersuchten Ländern umzusetzen, bräuchte es über sieben Jahre durchschnittlich 560 Millionen US-Dollar jährliche Investitionen. Doch die zahlen sich aus: Denn jährlich würden durch verbesserte Erträge 2,6 Milliarden US-Dollar zusätzliche Kaffeeexporte (eine Steigerung um 30 Prozent) und 2,1 Milliarden US-Dollar mehr Einkommen für die Landwirt:innen generiert – ein Plus von 62 Prozent.
Obendrein könnten regenerative Methoden laut der Studie die Treibhausgasemissionen um 3,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich reduzieren und letztlich der Wiederherstellung der Natur dienen. Es gibt ihn also, den wirksamen Transformations-Hebel.
Gute Erfahrungen in Äthiopien gemacht
Die Studienergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der Stiftung „Menschen für Menschen“ aus vierzigjähriger Tätigkeit vor Ort in Äthiopien. Bislang haben wir in unseren 13 Projektregionen im ganzen Land etwa zehn Millionen Kaffeesetzlinge ausgegeben und gepflanzt und 25.000 Bäuer:innen bei der Transformation zu einem regenerativen und damit nachhaltigeren Anbau unterstützt.
Dazu gehört für uns etwa dauerhafte Bodenbedeckung mit Zwischenfrüchten, minimale Bodenbearbeitung und regional differenzierte Formen von Agroforstwirtschaft. Auch zeigen wir den Kleinstbäuer:innen, wie sie beispielsweise durch Wurmkompostierung auf teure, künstliche Düngemittel verzichten können. All das soll die oft übernutzte Natur regenerieren.
Äthiopien ist das größte afrikanische Anbauland und immerhin auf Platz fünf der weltweit größten Kaffeeproduzenten. Allerdings beträgt die Produktivität pro Hektar derzeit nur ein Drittel derjenigen Brasiliens – dem mit Abstand größten Produzenten von Rohkaffee. Doch der Entwicklungsspielraum ist groß. Wir sind überzeugt: Die Produktivität Äthiopiens könnte durch regenerative Methoden erheblich verbessert werden, zumal es kaum industriellen Plantagenanbau gibt.
Außerdem bieten die klimatischen Bedingungen und biologische Vielfalt vor Ort enormes Potenzial für die Regeneration von Böden mit der Kaffeepflanze als Motor (Stichwort: Schattenbaum und Agroforstwirtschaft). Dadurch könnten etwa frühere Waldverluste ausgeglichen werden. Ganz wichtig: Die beteiligten Menschen würden ebenfalls profitieren: durch höhere Einkommen, lagerfähige Nutzpflanzen und neue Einkommensströme aus Ökosystemleistungen für Biodiversität und Kohlenstoffspeicherung.
Unsere 530 Mitarbeitenden schulen daher Landwirte vor Ort und stellen ihnen klimaresilientere Setzlinge nicht nur für Kaffee, sondern auch Gemüse und Obst aus unseren eigenen Baumschulen. Obendrein bieten wir (haus)wirtschaftliche Schulungen für Bewohner:innen und Kleinstunternehmen an.
Bei all dem ist klar: Es kann nur dann erfolgreich sein, wenn solche Veränderungen von den Menschen vor Ort akzeptiert und angenommen werden. Deshalb arbeiten wir mit Modell-Landwirt:innen zusammen, bei denen sich Nachbar:innen vom Erfolg der Maßnahmen überzeugen können – damit der regenerative Kaffeeanbau langfristig skalieren kann.
Koalition der Willigen in der ganzen Wertschöpfungskette
Doch die Transformation ist ein Kraftakt, der nicht beim nachhaltigen Anbau enden darf. Es braucht eine „Koalition der Willigen“ über alle Ebenen der Wertschöpfungskette hinweg: Anbauende, Länder, Importeure, Röster und Händler. Zudem ist eine Finanzierungsstruktur notwendig, die die richtigen Anreize setzt. So könnten etwa Ökosystemdienstleistungen im Anbaugebiet über hochwertige CO2-Zertifikate honoriert werden, zumindest so lange andere Formen der Bewertung noch nicht etabliert sind. Es geht also auch um das Marktdesign.
Immerhin: Es bewegt sich etwas. Studien, Konferenzen und Ergebnisse aus der Praxis sind dafür wichtige Belege. So hat die italienische Regierung die Transformation des Kaffeesektors während ihrer Präsidentschaft auf die Agenda der G7 gebracht und ein African Coffee Transformation Programm initiiert. Die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung versucht, das voranzubringen und baut Partner auf.
Auch die EU will mit der Team Europe Initiative etwas in Bewegung bringen. All das zeigt: Das politische Interesse wird offensichtlich größer. Nun sind größere, schnellere, vor allem abgestimmte Programme vonnöten. Die Zeit der vielen Pilotprojekte muss vorbei sein.
Am Ende ist es vielleicht ausgerechnet der ökonomische Druck beziehungsweise die ökonomische Chance, die dazu führt, ökologisch nachhaltigere Wertschöpfungsketten wie beim Kaffeeanbau konsequent aufzusetzen. Eine Notwendigkeit für alle. Eine Chance für die afrikanischen Anbauländer.
Sebastian Brandis ist seit 2016 Vorstand der Stiftung Menschen für Menschen. Sie arbeitet seit mehr als 40 Jahren in Äthiopien, aktuell mit 530 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Maßnahmen erstrecken sich auf nachhaltige Landwirtschaft, Wasser und Hygiene, Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Entwicklung sowie Einkommen.
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