Zwölf Wochen: Das ist die Frist, bis zu der ein Abbruch nach aktuellem Recht straffrei bleibt. Denn Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland grundsätzlich immer noch strafbar – anders als in vielen anderen EU-Ländern. Während die Regierungen in Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, Tschechien die Selbstbestimmung von Schwangeren über ihren Körper rechtlich gewährleisten, hängt Deutschland immer noch auf einem Gesetz von 1871, also aus dem Kaiserreich, fest.
Nicht geahndet werden ausnahmsweise solche Abbrüche, die innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen von zugelassenen Ärzt:innen durchgeführt werden, nachdem sich die schwangere Person einer rechtlich vorgeschriebenen Beratung unterzogen und eine anschließende Bedenkzeit von drei Tagen abgewartet hat. Gesetzliche Ausnahmen bilden außerdem solche Fälle, in denen, auch über die ersten 12 Wochen hinaus, eine medizinische Indikation vorliegt, die für den Abbruch spricht.
Historischer Kampf
„Wir haben abgetrieben!“, titelte 1971 der „Stern“. Stars wie Romy Schneider, Senta Berger oder Veruschka von Lehndorff bekannten sich zu einer Abtreibung – und somit dazu, eine Straftat begangen zu haben. Das ist inzwischen mehr als 50 Jahre her. Seit mehr als hundert Jahren gibt es Versuche, die gesetzliche Lage zu ändern. Das Ziel: Der Entmündigung schwangerer Personen ein Ende zu setzen und ihr Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung vollständig zu garantieren. Bisher blieb dies jedoch ohne Erfolg. Während die DDR Schwangerschaftsabbrüche ab 1972 legalisierte, hat die BRD und auch das wiedervereinigte Deutschland dies bis heute nicht geschafft. Der letzte Versuch eine (Teil-)Legalisierung zu erzielen, wurde 1993 vom Bundesverfassungsgericht verhindert.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es seit 2021 eine Regierung, in der zwei von drei Parteien – SPD und Grüne – die Legalisierung in ihren Wahlprogrammen gefordert haben. Die Ampelparteien hielten in ihrem Koalitionsvertrag 2021 fest, die Regelung von Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen zu wollen. Eine daraufhin beauftragte Expert:innenkommission der Bundesregierung kam im April dieses Jahres zum Schluss, dass die Legalisierung von Schwangerschaftsbrüchen in der Frühphase der Schwangerschaft vom Gesetzgeber umzusetzen ist. Eine anschließende repräsentative Umfrage des Bundesfamilienministeriums ergab, dass 75 Prozent der Befragten eine Streichung des Paragraphen 218 befürworten.
Doch statt die Empfehlungen der Expert:innenkommission umzusetzen, versteckte sich die Ampel-Regierung hinter Ausreden und tat lange nichts. Nun hat sich zumindest die Grünen-Fraktion im Bundestag dazu verpflichtet, die Umsetzung der Kommissionsempfehlung noch in dieser Legislaturperiode voranzutreiben. Das ist auch dringend notwendig. Denn wenn nach der Bundestagswahl im September 2025 die Union wieder mitregieren sollte, könnte sie eine Entkriminalisierung wieder blockieren.
Aktuelle Rechtslage gefährdet die Gesundheit
Die Versorgungslage ist hinsichtlich zweier Aspekte der jetzigen Rechtslage unangemessen. Einerseits gibt es bundesweit nicht ausreichend viele Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und ebenfalls nicht genügend Beratungsstellen, andererseits dürfen Beratung und Abbruch nicht von derselben Person durchgeführt werden. Insbesondere im ländlichen Raum ergibt sich daraus angesichts der kurzen Frist von zwölf Wochen, dass die Möglichkeit einer Abtreibung bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nicht immer gegeben ist. Zur Verbesserung der Versorgungslage gehört außerdem die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen.
Die Beratungspflicht ist als solche abzuschaffen. Sieht man von der unfreiwilligen Verzögerung ab, widerspricht sie dem Standard der freiwilligen Beratung und untergräbt das Recht auf körperliche Selbstbestimmung der schwangeren Person. Stattdessen sollte das Recht auf Beratung institutionalisiert werden und damit einhergehend der Ausbau von freiwilligen und kostenlosen Beratungsangeboten.
§218 muss weg!
Heute startet die zwölfwöchige Aktionskampagne „Abtreibung legalisieren - Jetzt!“ zum Mitmachen für alle Menschen in Deutschland, mit dem Ziel, die Ampelregierung zum Handeln zu bewegen. Wir fordern:
- Die ersatzlose Streichung von §218 aus dem Strafgesetzbuch. Abtreibungen sind keine Straftaten. Sie müssen endlich raus aus dem Strafgesetzbuch und dürfen auch nicht durch andere gesetzliche Hürden weiter erschwert werden.
- Das Recht auf Beratung statt der aktuellen Beratungspflicht. Eine Beratungspflicht ist entmündigend. Stattdessen braucht es überall freiwillige Beratungsangebote – mehrsprachig, wohnortnah, barriere- und diskriminierungsarm.
- Die vollständige Kostenübernahme für alle durch die Krankenkassen. Aktuell sind Abtreibungen Selbstzahlungsleistungen, außer wenn eine schwierige finanzielle Situation vorliegt. Für einen guten Zugang zu Abtreibungen ist es wichtig, dass diese kostenlos sind – unabhängig vom Versicherungsstatus.
Die kommenden zwölf Wochen wollen wir nutzen, um Druck auf die Ampelregierung zu erhöhen, diese von einem breiten Willen der Bevölkerung getragenen Forderungen endlich umzusetzen. Vielfältige Aktionen und Demonstrationen, an denen sich alle beteiligen können, werden diesen Druck aufbauen. Die Zeit für die Streichung des Paragraph 218, für die Legalisierung von Abtreibungen, ist genau jetzt!
Leonie Weber und Karlotta Biechele aus dem Organisationkreis der Kampagne „Abtreibung legalisieren – jetzt!“.