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Standpunkte Reproduktive Gerechtigkeit jetzt: Gesetzentwurf zu Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs

Céline Feldmann, Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch im Deutschen Juristinnenbund
Céline Feldmann, Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch im Deutschen Juristinnenbund Foto: SKUB

Die Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist schlecht, schreibt Céline Feldmann, Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch im Deutschen Juristinnenbund, im Standpunkt. Da das auch an der Kriminalisierung des Eingriffs läge, fordert ein zivilgesellschaftliches Bündnis eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs für mehr reproduktive Gerechtigkeit – und hat dafür einen Gesetzentwurf vorgelegt.

von Céline Feldmann

veröffentlicht am 18.10.2024

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Im Wahlkampf in den USA steht für Kamala Harris besonders ein Thema im Fokus: reproduktive Gerechtigkeit und der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Auch hierzulande hatte sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag einst vorgenommen, sich mit der Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen zu befassen. Im April 2023 hatte sie hierzu eine Expertinnenkommission aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Recht einberufen, die ihren Bericht im April dieses Jahres vorlegte.

Das Ergebnis war eindeutig: Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen verstößt gegen Verfassungs-, Völker-, und Europarecht. Nach diesem Zeitraum hat der Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum. Es ist ihm möglich, Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln.

Auch erste Veröffentlichungen der ELSA-Studie zeigen auf, wie dringend eine solche Neuregelung wäre. Denn die Versorgungslage von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland ist prekär. Während wir mahnend auf die USA blicken, müssen schwangere Personen in Teilen Deutschlands mehrere hundert Kilometer reisen, um einen Abbruch durchführen zu können.

Zivilgesellschaftliches Bündnis legt Gesetzentwurf vor

Und dennoch ist bislang nur wenig geschehen. Der politische Aufschrei blieb aus. Obwohl die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen beschlossen haben, Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren zu wollen, fehlt es an einem konkreten Gesetzentwurf. Die Zeit drängt. Nicht nur, weil im nächsten Jahr Bundestagswahlen stattfinden, sondern weil die seit 30 Jahren bestehende Rechtslage nicht hinnehmbar ist. Sie verwehrt schwangeren Personen den Weg zu einer selbstbestimmten Entscheidung.

Aus diesem Grund hat sich ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen wie etwa pro familia, der Deutsche Frauenrat, Doctors for Choice, die Evangelischen Frauen in Deutschland und der Deutsche Juristinnenbund e.V. zusammengefunden und mit Hilfe der ehemaligen Kommissionsmitglieder Prof. Dr. Liane Wörner, Prof. Dr. Maria Wersig und Prof. Dr. Friederike Wappler einen Gesetzentwurf erarbeitet, den wir in unserer gestrigen Pressekonferenz vorlegten.

Ziel des Entwurfes ist eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, die zum einen dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht schwangerer Personen sowie internationaler Vorgaben Rechnung trägt, und zum anderen den Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen aus den Jahren 1975 und 1993 standhält. Als Grundlage diente der im April veröffentlichte Kommissionsbericht, der den Rahmen des Entwurfs vorgab.

Vollständige Entkriminalisierung für bessere Versorgungslage

Im Zentrum des Entwurfs steht die Sicherung der reproduktiven Selbstbestimmung sowie ein fairer und ungehinderter Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Ein elementarer Schritt hierfür ist die vollständige Entkriminalisierung selbstbestimmter, Schwangerschaftsabbrüche, also derjenigen, die mit dem Einverständnis Schwangerer stattfinden. Denn die Kriminalisierung von Abbrüchen steht der Verbesserung der Versorgungslage eklatant entgegen.

Durch sie, wird in den Worten des Bundesverfassungsgerichts „ein sozialethisches Unwerturteil“ ausgesprochen und damit eine Stigmatisierung intendiert. Diese Stigmatisierung zeigt sich wiederum darin, dass nicht genügend Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen und es insbesondere in ländlichen Regionen an Angeboten mangelt. Gleichzeitig bezwecken die Regelungen der §§ 218 ff. Strafgesetzbuch den von ihnen verfolgten Zweck, den sogenannten Schutz des ungeborenen Lebens nicht. So lehren uns internationale Erfahrungen, dass das Strafrecht Schwangerschaftsabbrüche nicht verhindert, sondern nur dazu führt, dass Abbrüche unter unsicheren, das Leben und die Gesundheit Schwangerer gefährdenden Umständen, durchgeführt werden.

Schwangerschaftskonfliktgesetz soll Abbrüche regeln

Die als „Kompromiss“ titulierte Regelung enttarnt sich damit bei genauerem Blick als Regelung zulasten schwangerer Personen. Aus diesen Gründen soll nunmehr das Schwangerschaftskonfliktgesetz die Materie des Schwangerschaftsabbruchs regeln.

Schwangerschaftsabbrüche sollen hiernach bis zur 22. Schwangerschaftswoche möglich sein. Sowohl die Beratungspflicht als auch die dreitägige Wartezeit fällt weg. Im Gegenzug wird ein Beratungsrecht verankert, das einen barrierearmen Zugang zu Beratungen gewährleisten soll. Nach der 22. Woche sind, wie nach geltender Rechtslage, Abbrüche aufgrund einer medizinischen Indikation, also in Fälle, in denen Leben oder Gesundheit der schwangeren Personen gefährdet ist, möglich.

Schwangerschaftsabbrüche als GKV-Leistung

Als Strategiegruppe setzen wir damit auf ein Konzept, das statt gegen die schwangere Person mit ihr arbeitet. Statt auf repressives Strafrecht, setzen wir auf ein umfassendes Konzept, welches Abbrüche als medizinische Dienstleistung begreift und Hürden im Zugang zu Abbrüchen abbaut.

Neben der Entkriminalisierung braucht es dafür auch Maßnahmen, die aktiv die Versorgungslage und den Zugang verbessern. Dies betrifft finanzielle, aber vor allem soziale Maßnahmen. Damit Schwangere nicht mehr die finanzielle Last von Abbrüchen tragen, sollen die gesetzlichen Krankenversicherungen Schwangerschaftsabbrüche als Teil der Gesundheitsversorgung stets übernehmen.

Zugängliche Beratungsangebote für selbstbestimmte Entscheidungen

Weiteres Kernstück des Entwurfs ist ein Beratungsanspruch, auf den medizinisches und geburtshilfliches Fachpersonal hinzuweisen hat. Um das Recht abzusichern, bedarf es eines umfangreichen, niedrigschwellig angesetzten und diskriminierungssensiblen Beratungsangebots. Denn jede schwangere Person, die sich Beratung und Unterstützung wünscht, soll diese in Anspruch nehmen können.

Dafür braucht es ein mehrspra

chiges Angebot, auf das Schwangere einen Anspruch haben. Neben Informationen über Abbrüche, kann die Beratung dabei auch Informationen über Betreuung weiterer Kinder, die Weiterführung von Ausbildung oder Beruf umfassen. Hierdurch soll jeder Schwangeren der Weg zu einer selbstbestimmten Entscheidung geebnet werden. Gleichzeitig erkennen wir an, dass viele schwangere Personen durchaus fähig sind, selbstbestimmt zu entscheiden und selbst beurteilen können, inwiefern sie Unterstützung benötigen.

Neuer § 218: Strafbarkeit nicht-selbstbestimmter Abbrüche

Um die Versorgungslage aktiv zu verbessern, werden die Länder zudem verpflichtet, ein ausreichendes Angebot von Einrichtungen zur Vornahme von Abbrüchen sicherzustellen.

Neben diesen Maßnahmen bleibt allerdings ein Straftatbestand bestehen. Der § 218 wird neu belegt: Statt die Kriminalisierung selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche, regelt er nunmehr die Strafbarkeit nicht-selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche. Das umfasst diejenigen Abbrüche, die ohne oder gegen den Willen der schwangeren Person stattfinden. Im Gegensatz zum alten § 218 dient die Vorschrift allerdings einem anderen Zweck. Sie soll abbilden, dass solche Abbrüche das Selbstbestimmungsrecht Schwangerer erheblich verletzen und damit besonderes Unrecht darstellen.

Bundesregierung muss jetzt handeln

Damit bleibt die Frage: Was steht einer Neuregelung nunmehr entgegen? Der gesellschaftliche Kompromiss? Der besteht so nicht. Die derzeitige Regelung geht zulasten schwangerer Personen und führt zu einer defizitären Versorgungslage. Die Spaltung der Gesellschaft? Auch die ist nicht gegeben. Wie jüngste Umfragen zeigen, fordert die große Mehrheit eine Neuregelung. Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen bzw. das Verfassungsrecht? Auch diese Zweifel haben sowohl der Kommissionsbericht als auch der vorliegende Gesetzentwurf ausgeräumt.

Auch dem letzten Einwand, dass nicht genügend Zeit mehr für eine Neuregelung bleibe, entzieht der Gesetzentwurf jegliche Grundlage. Der Entwurf steht. Die Gesellschaft wartet.

Die Bundesregierung kann und darf sich nicht mehr hinter gegenstandslosen Einwänden verstecken. Sie muss jetzt handeln. Zumindest wenn sie reproduktive Gerechtigkeit und die Rechte von Frauen, sowie anderer marginalisierten Gruppen wie intersexueller, nicht-binärer, und trans*Personen ernst nehmen will.

Céline Feldmann ist Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch im Deutschen Juristinnenbund (djb).

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