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Standpunkte Abstieg ist kein Schicksal

Daniel Steiners ist Vorstand der Roche Pharma AG
Daniel Steiners ist Vorstand der Roche Pharma AG Foto: Roche

Hat Deutschland für einen Innovationsschub „Made in Germany“ gute Voraussetzungen? Die besten, meint der Vorstand der Roche Pharma AG, Daniel Steiners. Hierzulande gebe es hochqualifizierte Köpfe, eine starke industrielle Basis und Institute von Weltrang in der universitären und außeruniversitären Forschung. Seinen Standpunkt versteht er als Plädoyer für einen breiten interministeriellen Dialog, um ans Ziel zu gelangen.

von Daniel Steiners

veröffentlicht am 10.03.2025

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Winter 2025 – ja, es ist nicht die Zeit euphorischer Schlagzeilen, wirtschaftlicher Erfolgsmeldungen und unerschütterlicher Zuversicht. Auch wenn aktuell der Grundtenor vorherrscht „Deutschland ist abgehängt und hat das Wachstum abgestellt“, so soll dieser Beitrag Hoffnung machen. Ich glaube fest daran, dass wir in der neuen Legislaturperiode Wachstum, Wohlstand und auch die Menschen in Deutschland wieder miteinander vereinen können. Die Chancen für einen Innovationsschub „Made in Germany“ sind da – wir müssen sie nur ergreifen.

Meine drei Thesen vorneweg:

  • Wenn die künftige Bundesregierung echte Reformen wagt, dann wird sich Deutschland im internationalen Standortwettbewerb souverän behaupten. Die Vergangenheit hat gezeigt: Sobald die Politik Richtungsentscheidungen trifft und mit den richtigen Instrumenten handelt, investiert die Wirtschaft und bekennt sich zum Standort Deutschland. Der Pharma-Gipfel im November 2023 sowie das Medizinforschungsgesetz sind beste Beispiele: Erste Schritte zur Entbürokratisierung im Gesundheitswesen haben in Kürze Investitionen in Milliardenhöhe seitens der forschenden Pharmaindustrie in Deutschland nach sich gezogen. Nun sind weitere Reformen (AMNOG, Bürokratieabbau, Digitalisierung) gefragt, um ein innovationsfreundliches Gesundheitssystem zu schaffen, das mit dem medizinischen Fortschritt „Schritt“ hält.
  • In einem Industrieland wie Deutschland können wir uns neueste Innovationen für unsere Patientinnen und Patienten durchaus leisten; was wir uns nicht leisten können, sind Ineffizienzen und Redundanzen im System sowie eine überbordende Regulierung oder mangelnde Digitalisierung. Privatwirtschaftliches Risiko, milliardenschwere Investitionen, mutige Entscheidungen, jahrzehntelange Forschung und Entwicklung müssen in Deutschland honoriert werden. Es darf zu keinen neuen Belastungen für die Schlüsselindustrien und Wachstumsbranchen kommen
  • Fortschritt baut auf Dialog und findet nicht „isoliert“ statt. Politische Alleingänge und kurzsichtige Notmaßnahmen können das Vertrauen und die Planungssicherheit aufs Spiel setzen. Industrie-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik gehören deshalb in der neuen Legislaturperiode an einen Tisch. Die deutsche Wirtschaft -allen voran Schlüsselindustrien wie die industrielle Gesundheitswirtschaft- steht bereit für diesen Dialog über verschiedene Bundesministerien hinweg.

Zeit für einen Innovationsschub

Wir erleben weltweit eine „stille Revolution“ – nicht auf der Straße, sondern in den Forschungs- und Entwicklungslaboren von Unternehmen und den Fertigungshallen der Industrie. Immer mehr Ideen werden zu marktreifen Innovationen geformt. Fast alle großen Branchen re-investieren dafür immense Summen in Forschung und Entwicklung. Die Reinvestitionsquote der industriellen Gesundheitswirtschaft liegt in Deutschland bei 15 Prozent. Die direkte und indirekte Bruttowertschöpfung der Branche: 190 Milliarden Euro jährlich – mit handfesten Folgen für unseren Wohlstand, unser Wohlergehen und unsere Gesundheit.

Seit dem Jahr 2000 wurden knapp 900 neue, innovative Medikamente zugelassen, die Patientinnen und Patienten Hoffnung weltweit schenken. Auch die Zukunft ist vielversprechend: Über 8000 Medikamente befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung – mehr als je zuvor. Seit dem Pharma-Gipfel im Jahr 2023 und dem Medizinforschungsgesetz wird auch in Deutschland wieder kräftig investiert, geforscht, entwickelt und produziert, unter anderem am Roche-Standort in Penzberg bei München, wo in einer Hightech-Einrichtung Genvektoren für Gentherapien entwickelt und im Industriemaßstab für klinische Studien weltweit „Made in Germany“ hergestellt werden.

Dies zeigt: Sobald die Politik die richtigen Signale sendet, leistet die Wirtschaft einen Vertrauensvorschuss – geht sogar in Vorleistung und investiert hierzulande in Zukunftsfelder wie Gen- und Zelltherapien, modernste Diagnostik oder Künstliche Intelligenz (KI) entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Kaum vorstellbar, was alles möglich wäre, wenn die nächsten echten Reformschritte folgen würden.

Was in der nächsten Legislaturperiode gelingen muss

Die gute Nachricht ist: Für einen Innovationsschub „Made in Germany“ haben wir bereits heute die besten Voraussetzungen – hochqualifizierte Köpfe, eine (noch) starke industrielle Basis und Institute von Weltrang in der universitären und außeruniversitären Forschung. Wir bremsen uns jedoch noch zu oft selbst aus. Anstatt medizinischen Fortschritt zu honorieren, haben neue Regulierungen in jüngster Vergangenheit zusätzlich für Unsicherheit und Komplexität gesorgt.

Ein Beispiel sind die innovationsfeindlichen „Leitplanken“ im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aus dem Jahr 2022. Auch das AMNOG muss sich im Hinblick auf Innovationen als lernendes System weiterentwickeln und erkannte Fehler korrigieren. Konkret seien hier Entwicklungen im Bereich der Gen- und Zelltherapien sowie in der Präzisionsmedizin zu nennen, für die unser aktuelles System nicht geeignet ist. Eine Berücksichtigung der Versorgungsperspektive in der Nutzenbewertung sowie Anreize für die Erforschung von Schrittinnovationen müssen stattfinden. Denn oft sind es viele kleine Schrittinnovationen in Summe, die zu großen medizinischen Fortschritten führen. Erste Reformen, wie das Medizinforschungsgesetz, zeigen zwar Wirkung, doch weitere Schritte sind dringend nötig.

Konkrete Beispiele für den Reformbedarf und Lösungsansätze gibt es zur Genüge: Eine zentrale und für alle Ethikkommissionen zuständige Bundesethikkommission fehlt ebenso wie ein verbindlicher und einheitlicher Kostenkatalog für klinische Prüfungen. Der Katalog würde die Verhandlungen der forschenden Unternehmen mit den Prüfzentren deutlich vereinfachen, da sie aktuell mit jedem Prüfzentrum einzeln stattfinden. Ähnliches gilt bei dem allgegenwärtigen Thema Digitalisierung: Warum sind hier die Aspekte Datenzugang, Interoperabilität und einheitliche Datenschutzregelungen so zentral? Innovation entsteht heute an der Schnittstelle zwischen Biologie, Chemie, Ingenieurskunst und KI. Unternehmen investieren in KI-Modelle, die wiederum auf Basis von z. B. Versorgungsdaten trainiert werden, um Vorhersagen über potenzielle Wirkstoffkandidaten zu treffen. Ein dynamischer Kreislauf zwischen Labor und Computer, um die Herausforderungen der modernen Medizin zu meistern, Patientinnen und Patienten schneller mit innovativen Therapien zu versorgen und das Gesundheitssystem effizienter zu gestalten. Das Potenzial für Einsparungen und Effizienzen im Gesundheitswesen liegt aktuell bei bis zu 42 Milliarden Euro. Der Hebel hierfür lautet: Digitalisierung.

Plädoyer für breiten interministeriellen Dialog

Die industrielle Gesundheitswirtschaft ist eine Schlüsselbranche und eine der wenigen Wachstumsbranchen in Deutschland - gerade angesichts des Strukturwandels, den wir aktuell z. B. in der Automobilindustrie erleben. Ihre Investitionen schaffen Arbeitsplätze. Sie hat insgesamt 1,1 Millionen Beschäftigte. Ihre Wertschöpfung stabilisiert unsere sozialen Sicherungssysteme. Viele Länder kaufen Produkte „Made in Germany“ ein, ohne dass sie dem eine eigene Wertschöpfungskomponente gegenüberstellen können. Wir haben beides: Innovative Medikamente; und Arbeitsplätze und Investitionen für nachhaltiges Wachstum. Gesundheitspolitik ist somit auch Industrie- und Wirtschaftspolitik. Dafür braucht es direkt nach der Regierungsbildung einen institutionalisierten Dialog zwischen Politik und den Schlüsselindustrien in Deutschland.

In einem Gespräch mit dem Olympiasieger und Iron-Man-Gewinner Jan Frodeno vor einigen Wochen hat mich ein Satz besonders beschäftigt: Nur ambitionierte Ziele sind es wert, verfolgt zu werden. Das hat mich immens angespornt. Die Chancen sind in unserem Land da – wir müssen sie nur ergreifen.

Dr. Daniel Steiners ist Vorstand der Roche Pharma AG und Mitglied der Geschäftsführung der Roche Deutschland Holding GmbH.

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