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Standpunkte Altern hat Zukunft

 Helmut Kneppe, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe
Helmut Kneppe, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe Foto: KDA

Der demografische Wandel ist und bleibt eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Helmut Kneppe, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, skizziert, wie diese Aufgabe gelingen und dabei die gesamte Gesellschaft profitieren könnte.

von Helmut Kneppe

veröffentlicht am 22.06.2021

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Wenn sich der schwere Schleier der Corona-Krise etwas lichtet und wir uns in der politischen Landschaft umschauen, sehen wir einige Täler, die zu durchschreiten sind, wie etwa im Bereich der Pflege oder Digitalisierung. Und wir sehen mehrere Berge an Herausforderungen, die zu bewältigen sind, wie etwa die Klimakrise oder die Bedrohung der Demokratie durch einen Missbrauch der „sozialen“ Medien, um „Matterhörner“ unter den Veränderungsaufgaben zu nennen. Es braucht beherztes, sektorenübergreifendes Neudenken, mutiges Herangehen, intelligente Lösungen und eine soziale Abfederung der notwendigen Neugestaltungen.

Ein solches „Matterhorn“ unter den Herausforderungen ist auch der demografische Wandel, dem wir uns in Europa und gerade auch in Deutschland stellen müssen. Die Zuwanderung der letzten Jahre hat uns nur ein wenig Luft verschafft. Vordenker für Gesellschafts-Modelle der Zukunft im Bereich des Generationen-Zusammenlebens ist das Kuratorium Deutsche Altershilfe Wilhelmine-Lübke-Stiftung (KDA). Die Frage, die unsere Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen beantworten, lautet: Wie ist eine Gesellschaft organisiert, in der wir möglichst alle – egal ob jung oder alt, ob mit oder ohne Handicap – ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben führen können? Wir arbeiten seit knapp 60 Jahren zu dieser Frage – und finden praxiserprobte Antworten. 

Zwei Ansätze, wie der Herausforderungsberg „alternde Gesellschaft“ erklommen werden kann, möchte ich hier in Konturen umreißen: einen aus dem Bereich der Soziologie und einen aus dem Bereich der Architektur/Stadtplanung. 

I. Die sorgende Gemeinschaft 

Was, wenn man das Altern als Chance begreift? Gar nicht so abwegig, hat sich doch bei mehreren unserer Projekte gezeigt: Viele ältere Mitbürger sind voller Tatendrang, Neugierde und vor allem – sie wollen sich einbringen. Das Potenzial an Ideen, Erfahrungen, Engagement und nun auch der Freiheit, vieles davon für die Gemeinschaft einsetzen zu können, ist riesig – ein sprudelnder Quell, aus dem wir noch viel zu wenig schöpfen. Altern hat Zukunft. Gemeint sind nicht nur die vielfach von Marketingstrategen umworbenen Silver Surfer, die Marathon laufen und überdurchschnittlich gut konsumieren.

Es geht um Engagement, Teilhabe und Lebensfreude in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und Umgebungen. Es geht auch nicht nur darum, dass die Kindergärtnerin im Ruhestand nun die Kinder der Nachbarschaft hütet. Vielleicht hat sie Freude daran, vielleicht möchte sie aber auch ganz andere Wünsche realisieren, sich vielleicht im (Bürger-)Rat ihrer Stadt einbringen oder, oder, oder. Wichtig ist die Schaffung von Möglichkeiten.

Auch der Möglichkeit des Unperfektseins, des Zeitkostens, des Zuwendungsbedürfnisses mitten im Alltag, mitten in der Gesellschaft. Dies erfordert Empathie, Respekt und ein sorgendes Miteinander. So entsteht eine Selbstverständlichkeit im Umgang, die das Potenzial sieht und auch fordert, und nicht Einschränkungen, etwa in der Beweglichkeit oder Gesundheit, als Grund hinnimmt, Menschen aus ganzen Bereichen auszuschließen. Die sorgende Gemeinschaft ist eine Chance für alle und erfordert vor allem eines: ein grundlegendes Umdenken. Aber sie schafft ungeahnte Möglichkeiten. 

II. Das Quartier der Zukunft 

Solche sorgenden Gemeinschaften entfalten sich am ehesten in sozial überschaubaren Räumen. In dem Wohnviertel, der Gemeinde, dem Dorf – also den Quartieren, in denen die Menschen seit Jahren Beziehungen unterhalten. Hier stellt man sich die Frage, wie eine Umgebung gestaltet sein sollte, in der die Generationen vernetzt sind, in der gehandicapte, hochbetagte und Menschen mit Demenz in unserer Mitte leben können – und nicht mehr in Einrichtungen „institutionalisiert“ werden. Menschen als Verschlusssache – in vielen Bereichen hat Corona wie ein Brennglas die Mängel offensichtlicher werden lassen.

Das Quartier der Zukunft ist nicht nur smart und CO2-neutral – es ist ein Zuhause für ganz vielfältige, wechselvolle und möglichst erfüllte, lange Lebensgeschichten. Es werden Möglichkeits-Räume für ein sorgendes Miteinander geschaffen, die Individualität und Selbstbestimmung respektieren, ja sie ermöglichen – auch im Spannungsfeld zwischen Versorgungssicherheit und Selbstbestimmung. Schon jetzt gibt es vielfältige Ansätze. Neue Quartierskonzepte etwa, die wir oft zusammen mit Gemeinden in der Praxis erproben, sind keine Nischen-Projekte mehr, sondern inzwischen Lebensräume für rund 250.000 Menschen.

All dies verlangt vielen viel ab. Und niemand kann auf „die da oben“ verweisen, denn diese Wandel erfordern Kopf, Herz und Hand von möglichst vielen Menschen. Dass unsere Gesellschaft in der Lage ist, solch sorgende Gemeinschaften zu denken und die Herausforderungsberg tatsächlich anzugehen, dafür spricht gerade jetzt einiges. In der Corona-Krise haben wir erlebt, welche Veränderungsbereitschaft vorhanden ist, welche Hilfsbereitschaft. Wir sehen, dass Sicherheiten schwinden, dass Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden, dass es auf die mitdenkende, mitfühlende und mitgestaltende Gemeinschaft ankommt, auf das Zusammenleben mit und in unserer Umwelt. 

Helmut Kneppe ist der Vorstandsvorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe. Das KDA ist gemeinnützig, unabhängig und überparteilich und steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Wissenschaftler aus vielen Bereichen, wie Sozialwissenschaftler, Psychologen, Gerontologen, Mediziner, Architekten, Stadtplaner, forschen seit knapp 60 Jahren u.a. zum Thema gemeinwohlorientiertes Zusammenleben der Generationen etwa durch entsprechende Quartiersgestaltung und Schaffung sorgender Nachbarschaften. 

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