Das
vergangene Jahr bedeutete für viele Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen
vor allem eines: Gegenwind und zähe Verhandlungen. Dabei sorgten insbesondere
die DiGA-kritischen Berichte von GKV-Spitzenverband und Techniker Krankenkasse
für Diskussionsstoff im deutschen Gesundheitswesen. Ob vermeintlich niedrige
Verschreibungszahlen, hohe Preise, nicht eingelöste Rezepte oder Rückzieher von
Seiten der Hersteller: „Bei den DiGA ist nicht alles Gold, was glänzt“, schien
nicht nur die Meinung der Vorständin des GKV-Spitzenverbandes widerzuspiegeln.
Erste Vorzeichen für ein frühes Aus der digitalen Helfer?
Wohl kaum, denn der deutsche DiGA-Markt hat gerade erst begonnen sich zu etablieren. Alleine in diesem Jahr fanden acht weitere digitale Anwendungen ihren Weg ins Verzeichnis des BfArM, wenn auch sechs von ihnen „nur“ über eine vorläufige Listung. Nach Kalmeda konnten in diesem Jahr vier gelistete DiGA ihre Erprobungsphase erfolgreich abschließen und sich einen dauerhaften Platz im BfArM-Verzeichnis sichern. Der Bekanntheitsgrad der digitalen Unterstützer unter der Ärzteschaft steigt und auch die Verordnungszahlen entwickeln sich für einige Hersteller positiv.
In Anbetracht dieser kontrastierenden Befunde stellt sich die Frage: Wie geht es weiter mit dem deutschen DiGA-Markt und welche Themen werden Hersteller, Krankenkassen und Ärzteschaft im dritten Jahr der DiGA bewegen?
Preisgestaltung
Nach den ersten Verhandlungen zwischen Herstellerunternehmen und GKV-Spitzenverband haben sich die Preise von Ausgangswerten zwischen 204 und 744 Euro auf einen Korridor zwischen 189 und 243 Euro eingependelt. Dies entspricht ungefähr dem Preisniveau von Gruppenpsychotherapie, die als Vergleichstherapie für diese verhandelten DiGA in Frage kommen mag. Da es sich bei den bisher verhandelten Anwendungen ausschließlich um DiGAs auf Basis kognitiver Verhaltenstherapie handelt, können die Verhandlungen zu Anwendungen mit anderweitigen Behandlungsansätzen mit umso größerer Spannung erwartet werden.
In den kommenden Monaten sind immerhin einige dieser Verhandlungen in Aussicht und damit auch ein erster Ausblick auf das Preisniveau für die verschiedenen digitalen Gesundheitsanwendungen. Neben Anwendungen von Vivira und patella ist mit re.flex nun auch ein weiteres Angebot im Bereich der Physiotherapie im Rennen. Es bleibt abzuwarten, ob auch erfolgsbasierte Vergütungsmodelle, welche den Erstattungspreis an das Ergebnis der Behandlung koppeln und dadurch Mehrwert für alle Akteure stiften können, in naher Zukunft umgesetzt werden.
Marketing und Vertrieb
Die DiGA zu den Patienten bringen – das hatten sich die gelisteten Herstellerunternehmen für 2022 auf die Fahne geschrieben. Mit bislang eher mäßigem Erfolg möchte man den Bilanzen und Hochrechnungen der vergangenen Monate Glauben schenken. Doch auch hier sollte der Kopf nicht zu früh in den Sand gesteckt werden, denn einigen Herstellern scheint es sehr wohl gelungen zu sein, ein effektives Marketing für ihre Anwendungen zu betreiben. Dabei stechen besonders die Absatzzahlen von Kalmeda, Vivira und Zanadio positiv hervor. Diese erfolgreichen Hersteller gehören zu den DiGA-Pionieren und haben durch Investitionen in Marketing und Vertrieb über die Zeit gelernt, welche Maßnahmen zur Information und Edukation funktionieren.
Im nächsten Jahr wird es auch für andere DiGA-Hersteller Zeit, das Thema Marketing und Vertrieb in den Fokus zu rücken, aus den Startschwierigkeiten der vergangenen Monate zu lernen und sich von den Strategien des ein oder anderen Marktteilnehmers neue Impulse einzuholen. Wie zum Beispiel die Zusammenarbeit des DiGA-Herstellers Kalmeda mit dem Pharmaunternehmen Pohl-Boskamp zeigt, bergen auch Partnerschaften mit etablierten, vertriebsstarken Gesundheitsunternehmen und anderen DiGA-Herstellern das Potential die eigene DiGA an Ärzteschaft und Patient:innen heranzutragen. Nach wie vor wird es dabei jedoch kein allgemeines Patentrezept für erfolgreiches DiGA-Marketing geben, denn das individuelle Produkt entscheidet über die letztlichen Zielgruppen und Absatzmöglichkeiten.
Funding
Das erste Quartal von 2022 war getragen vom Optimismus des anhaltenden Investitions-Hochs. Dies hat sich schon mit Beginn der zweiten Jahreshälfte dramatisch geändert, denn steigende Zinsen und allgemeine Unsicherheit über das makroökonomische Umfeld deuteten bereits im Frühsommer eine branchenübergreifende Kehrtwende im Bereich Funding und Investitionen an. Ob Fin-, Green-, oder Food-Tech: Investoren scheinen zögerlicher mit der Platzierung des Kapitals umzugehen. Die zunehmende Vorsicht der Kapitalgeber trifft auch den digitalen Gesundheitsmarkt, welcher über die vergangenen Jahre durchgehend hohes Wachstum verzeichnen konnte.
DiGA-Hersteller und Digital-Health-Startups müssen sich in den kommenden Monaten also auf längere Perioden des Fundraisings und niedrigere Bewertungen einstellen. Langfristig wird sich dieser Trend auch im Wachstum des Herstellermarktes bemerkbar machen und die Wahrscheinlichkeit für eine Konsolidierung unter den Anbietern erhöhen. Ob es sich dabei um eine begrenzte Durststrecke handelt oder mit einem langfristigen Ausbleiben von VC-Kapital zu rechnen ist, bleibt abzuwarten. Die allgemeine Robustheit der Gesundheitswirtschaft gegen externe Schocks könnte sich jedoch als bedeutender Vorteil erweisen und dem allgemeinen Trend entgegenwirken.
Langer Atem zahlt sich aus
Das dritte Jahr des DiGA-Marktes verheißt für neue wie etablierte Hersteller eine ganze Reihe an Herausforderungen, aber auch die Chance, sich im Markt zu beweisen. Insbesondere umsatzstarke Anwendungen mit langfristigen Partnerschaften, erfolgreichen Vertriebsstrategien und ausreichendem Kapital werden die Konsolidierungsphase des Marktes selbstbewusst meistern und sogar davon profitieren können. Des Weiteren ist im kommenden Jahr mit einigen Neueinsteigern im DiGA-Verzeichnis zu rechnen: Flying Health erwartet insgesamt acht bis 15 Neulistungen.
Für zusätzliche Bewegung im Markt sollte die zunehmende Aktivität von Pharmaherstellern, KMU’s sowie Medizintechnikunternehmen sorgen, welche Startups mit eigenen Anwendungen Konkurrenz machen, aber auch Potential für vielversprechende Partnerschaften bieten. Der Zuwachs an neuen DiGA wird zudem für eine Professionalisierung des Marktes sorgen. Denn auch wenn viele der aktuellen DiGA-Bewerber am Fast-Track des BfArM zu scheitern scheinen, so kristallisieren sich unter den Herstellern schon heute erste „DiGA-Fabriken“ heraus, die mit einem hohen Anspruch an Evidenz und Professionalität gleich mehrere Angebote in den Markt bringen. Für die Strategen unter den DiGA-Herstellern eröffnen sich mit diesen Trends auch in puncto Funding und Kapitalgewinnung neue Möglichkeiten, um gewinnbringende Deals zu verhandeln und die eigene Position im Wettbewerb nachhaltig zu stärken.
Dr. Florian Koerber ist Head of Start-up Relations bei Flying Health.