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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Mit DiGA zu einem gerechten System

Philip Heimann ist Geschäftsführer und Mitgründer der Vivira Health Lab GmbH
Philip Heimann ist Geschäftsführer und Mitgründer der Vivira Health Lab GmbH Foto: Vivira

„Ist unser Gesundheitssystem digital, sozial und gerecht?“, fragt Philip Heimann, Geschäftsführer und Mitgründer der Vivira Health Lab GmbH, in seinem heutigen Standpunkt und zeigt auf, wo das Gesundheitssystem an Unterversorgung leidet. DiGA können hier Abhilfe schaffen, meint er.

von Philip Heimann

veröffentlicht am 26.10.2022

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Hatten Sie schon einmal so starke Rückenschmerzen, dass Sie nicht zur Arbeit gehen konnten? Oder dadurch Ihren familiären oder sonstigen täglichen Verpflichtungen und Freizeitbeschäftigungen nicht nachkommen konnten? Mussten Sie wochenlang auf Ihren ersten Therapietermin warten?

Wenn ja, dann ging es Ihnen wie vielen anderen Deutschen. Denn unser an sich gutes Gesundheitssystem leidet in einigen Bereichen an Unterversorgung. Behandlungskapazitäten sind oftmals ausgeschöpft, Wartezeiten bis zum ersten Physiotherapietermin betragen für einen großen Teil der Bevölkerung inzwischen mindestens drei Wochen. Muss das so sein? Ist unser Gesundheitssystem in diesem Zustand sozial und gerecht? Was bedeutet die von so vielen erlebte Unterversorgung für die Souveränität von Patient:innen?

Was ist Patientensouveränität und warum ist sie wichtig?

Patientensouveränität ist Selbstbestimmtheit und gegeben, wenn Patient:innen Zugang zu Therapien haben, die zu ihren Lebensumständen und -bedürfnissen passen und diese auch während der Therapie so gut wie möglich ihren Lebensalltag bewältigen können. In den vergangenen Jahren hat sich das Konzept einer partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Ärzt:in und Patient:in als wesentlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung etabliert: Patient:innen sollen die für sie geeignete Therapieoption in Absprache mit ihrem/ihrer Arzt/Ärztin mitbestimmen, um sicherzustellen, dass sie zur Lebensrealität der Patient:innen passt. Ärzt:innen und Patient:innen sind sich darüber einig, dass die bestmögliche Therapie nur gemeinsam ausgewählt werden kann. Auch die wissenschaftliche Forschung bestätigt, dass die partizipative Entscheidungsfindung die Gesundheitsversorgung in Deutschland verbessert hat. Durch mehr Patientensouveränität die Versorgung zu verbessern, ist also ein bereits seit Jahren gelebtes, das System prägendes Prinzip. Die partizipative Entscheidungsfindung kann jedoch ihr Potenzial kaum entfalten, wenn Barrieren den Zugang zur geeigneten, leitliniengerechten Therapie verhindern, hier am Beispiel der Physiotherapie verdeutlicht:

Wochenlange Wartezeiten auf einen Termin beim Physiotherapeuten sowie große Entfernungen zur therapeutischen Praxis stellen, insbesondere in ländlichen Regionen, für Patient:innen oftmals eine Zugangshürde dar. So auch die Öffnungszeiten therapeutischer Praxen, besonders für Patient:innen mit unflexiblen Arbeitszeiten. Hinzu kommen knappe Behandlungszeit-Budgets pro Therapiesitzung: Selbst Physiotherapeut:innen klagen, dass die circa 20 Minuten in der Praxis mit ihren Patient:innen kaum zur Befunderhebung, Verlaufskonstrolle und Anleitung bewegungstherapeutischer Heimübungen ausreichen. Stehen Ferien oder Urlaub an, ist die Therapie meist kaum fortzuführen. Alles typische Barrieren für den Zugang zur Therapie. Betroffen sind davon meist Bevölkerungsgruppen, die sowieso bereits benachteiligt sind.

Zwischenfazit: Mit herkömmlichen Therapieformen schafft es unser Gesundheitssystem beispielsweise bei der Behandlung von Rückenschmerzen trotz hervorragender Arbeit der Ärzt:innen und Therapeut:innen sowie Mitsprache der Patient:innen oft nicht, sich den Lebensumständen von Patient:innen so anzupassen, dass diese barrierefrei Zugang zu leitliniengerechter Therapie erhalten und somit in den Genuss einer patientensouveränen Versorgung kämen. Wir leben noch immer in einem Gesundheitssystem mit Unterversorgung.

Digitale Gesundheitsanwendungen stärken Patientensouveränität

Seit Oktober 2020 können BfArM-gelistete Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), auch „Apps auf Rezept“ genannt, von allen Ärzt:innen in Deutschland verordnet werden. Alle gesetzlichen Krankenkassen, die meisten privaten Krankenversicherungen, die Beihilfe und die gesetzliche Unfallversicherung übernehmen mit ärztlicher Verordnung die Kosten, ohne Zuzahlung durch die Patient:innen. Auch bei Entlassung aus der stationären Behandlung können DiGA verordnet werden. DiGA stehen prinzipiell jeder/jedem Patient:in mit ärztlicher Verordnung zur Verfügung, ermöglichen einen einfachen Zugang und bieten Anwender:innen unabhängig von Zeit und Ort leitliniengerechte, klinisch validierte und sichere Therapien.

Ohne Wartezeit und unabhängig davon, ob Patient:innen in der Stadt mit hoher Therapeutendichte oder auf dem Land mit Therapeutenmangel leben. Ein terminlicher Spagat zwischen beruflichen oder familiären Verpflichtungen und Physiotherapiesitzungen ist nicht nötig. DiGA sind dabei losgelöst von den Zeit- oder Kostenbudgets des Gesundheitssystems. Der hohe Personalisierungsgrad der Therapieinhalte über laufendes Feedback der Anwender:innen wird gepaart mit einer Therapiedichte und -dauer, die in der herkömmlichen Versorgung meist gar nicht möglich ist. Der bessere Zugang zur Versorgung durch DiGA und die neuen Möglichkeiten mit ihnen bedarfsgerechter zu therapieren, stärken die Patient:innen. DiGA bringen damit Menschen aus der Unterversorgung in die Versorgung, sie erhöhen die Patientensouveränität und sind somit sozial und gerecht.

Patient:innen als wichtiger Schlüssel

Gut erinnere ich mich noch an mein erstes Handy. Mobiles Telefonieren war kurz vorher unvorstellbar, über Nacht gehörte es zu unserem Alltag. Wenige Jahre danach das erste Smartphone, 24/7 mit dem Internet verbunden. Anfangs eine Revolution, inzwischen ganz normal. Heute laufen auf meinem Smartphone klinisch validierte, digitale Therapieprogramme gegen Rückenschmerzen sowie weitere Gesundheitsanwendungen. Sie bieten mir besseren Zugang und mehr Souveränität in der Gesundheitsversorgung. Bis vor Kurzem Zukunftsmusik. Heute für mich nicht mehr wegzudenken. Immer mehr Patient:innen nehmen aktiv die eigene Gesundheit in die Hand und entdecken in Absprache mit ihrem Arzt/ihrer Ärztin den Wert digitaler Gesundheitsanwendungen.

In der öffentlichen Debatte zur digitalen Gesundheitsversorgung kommt die Stimme der Patient:innen meiner Meinung nach zu kurz. Ich freue mich, wenn dieser Beitrag auch dazu beiträgt, dass sich Patient:innen und deren Interessenvertretungen in die Diskussion einbringen, ihre Forderungen an die Politik, an Leistungserbringer, Hersteller und Kostenträger richten und somit die digitale Gesundheitsversorgung von morgen patientensouverän, digital, sozial und gerecht mitgestalten!

Dr. Philip Heimann ist Geschäftsführer und Mitgründer der Vivira Health Lab GmbH. Das Berliner Digital-Health-Unternehmen entwickelt und vermarktet digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Bereich Muskel-Skelett-Erkrankungen. Die erste BfArM-gelistete DiGA der Vivira Health Lab GmbH ist Vivira, die meistverordnete App auf Rezept bei Rückenschmerzen.

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