Standpunkte Deutschland, Europa und die WHO unter dem Wandel in globaler Gesundheit

Gesundheit, Umwelt und Sicherheit sind eng verknüpft, schreibt Roland Göhde. Deshalb müssten Deutschland und Europa auch weiterhin in die Weltgesundheitsorganisation und die globale Gesundheit investieren – und nach dem Austritt der USA noch mehr als zuvor. Der Vorstandsvorsitzende der German Health Alliance beschreibt, warum das wichtig ist und wie eine Neuaufstellung möglich wäre.
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Jetzt kostenfrei testenDie Trump-Administration hat in beispielloser Weise Werte aufgegeben, die uns in der Vergangenheit verbunden haben und die wir in Deutschland und Europa nach wie vor in hohem Maße teilen: Empathie, Respekt, Solidarität, gegenseitiges Vertrauen, langfristige Verlässlichkeit – alles eng miteinander verbunden und Grundlage für echte, humanitär orientierte Partnerschaften.
Als US-Außenminister Rubio Ende März die vollständige Auflösung von USAID ankündigte, führte er aus: „Die Auslandshilfeprogramme werden so umgestaltet, wie es für die Vereinigten Staaten am besten ist.“ Auf einen ausschließlichen Eigennutzen setzen zu wollen, widerspricht jeglichem üblichen Geist von Zusammenarbeit und Partnerschaft. Dabei ist diese erschreckende, Millionen von Menschenleben weltweit aufs Spiel setzende „Wette“ für die USA selbst zum Scheitern verurteilt.
Die Welt und wir können diese abrupte Einstellung von Diensten und Programmen im Umfang von Milliarden US-Dollar sowie der Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht hinnehmen. Was müssen wir also tun? Wie können Deutschland und die EU die WHO künftig noch stärker unterstützen – finanziell wie auch darüber hinaus mit gesundheitsbezogener und medizinischer Spitzenforschung sowie innovativen Technologien, Lösungen, Produkten und Konzepten?
Gesundheitsnetzwerke in Deutschland
Deutschland zeichnet sich traditionell durch eine exzellente, international bestens vernetzte Wissenschaft aus. Lediglich ein Beispiel diesbezüglich ist die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, besonders eng an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientiert und mit deutlich wachsender Rolle in moderner Prävention.
Deutsche Akteure aus allen Sektoren und die Bundesregierung haben mit Weitsicht ein aktives Ökosystem des deutschen globalen Gesundheitsengagements geschaffen: Der World Health Summit bringt seit 15 Jahren mit großem Erfolg Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus aller Welt zusammen, im Jahr 2022 gemeinsam organisiert mit der WHO.
Neben der Deutschen Allianz für Globale Gesundheitsforschung GLOHRA, dem Global Health Hub Germany, dem Charité Center für Globale Gesundheit, der Virchow Foundation mit ihrem international hochrangigen, mit 500.000 Euro dotierten Virchow-Preis, und weiteren Organisationen umfasst das auch die multisektorale GHA – German Health Alliance. Hervorgegangen ist diese unter anderem aus einer gemeinsam von Bundesverband der Deutschen Wirtschaft (BDI) und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für sektorübergreifende Zusammenarbeit etablierten Initiative.
Woran die Verbünde arbeiten
Mit den breit gefächerten, weit über Pharma, Medizintechnik und Diagnostik hinausgehenden Expertisen ihrer 120 Mitgliedsorganisationen und gemeinsam mit den Verbänden vfa und Spectaris hat die GHA das Konzept der „Gesundheitspartnerschaften“ entwickelt, um in enger Zusammenarbeit mit Partnerländern einen transformativen Beitrag zur Gesundheitssystemstärkung zu leisten – insbesondere in den Bereichen der stark ansteigenden nichtübertragbaren und kardiovaskulären Erkrankungen, in Frauen-, Mütter- und Kindergesundheit, Pandemievorsorge, -resilienz und -reaktion und über den Aufbau von lokalen Kapazitäten für Ausbildung und Produktion.
Das unter dem Schirm der Virchow Foundation operierende Global Health Policy Lab, in dem unter anderem Charité – Universitätsmedizin Berlin und Harvard School of Public Health eng zusammenarbeiten, hat zum Ziel, die führende KI-gestützte Plattform für gesundheitspolitische Entscheidungen zu werden und über die Umsetzung wissenschaftlicher, evidenzbasierter Empfehlungen in konkrete Gesetze, politische Maßnahmen und Sensibilisierungskampagnen zu besserer Gesundheit für alle beizutragen.
Was jetzt zu tun ist
Um die von den USA hinterlassene Lücke zu schließen, muss die Europäische Union in Bezug auf ihre Strategie für Globale Gesundheit von 2022 nun in die konsequente Übersetzung in konkrete Maßnahmen gehen. Die Initiative „One Europe for Global Health“ mit breiter europäischer Beteiligung von Dutzenden von Organisationen aus allen Sektoren engagiert sich diesbezüglich für ein Vorzeigeprojekt zur Errichtung eines „World Network of One Sustainable Health Institutes“. Eine starke finanzielle Unterstützung durch die EU wäre sinnvoll und notwendig für ein solches Netzwerk, das bei der erforderlichen Integration der engen Interdependenzen der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt in europäische und internationale Gesundheitsstrategien von zentraler Bedeutung sein wird.
Sich über die genannten und weitere Aktivitäten stärker als bisher auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen eine enge Zusammenarbeit besondere Synergien schaffen kann, würde eine zielgerichtete, äußerst effektive Unterstützung der WHO in diesen kritischen Zeiten bedeuten.
Was sich bei und für die WHO verändern müsste
In dem Gesamtkontext kann und muss die WHO eine noch wichtigere, aktivere Rolle bei der Skalierung erfolgreicher Blueprints weltweit spielen, insbesondere im Rahmen ihres Mandats, Arzneimittel, Impfstoffe, Diagnostika und andere Gesundheitsprodukte für alle Bevölkerungsgruppen qualitätsorientiert, sicher und wirksam zugänglich zu machen. Gleichzeitig soll sie die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung robuster, widerstandsfähiger und zuverlässiger regulatorischer Systeme unterstützen.
Dafür ist ein systematisch vertiefter, kontinuierlicherer Austausch der WHO mit allen Sektoren Grunderfordernis, ebenso ein wesentlich intensiveres Mapping und die konsequente Nutzung bereits vorhandener Initiativen. Die nun diskutierte Teilverlagerung von Strukturen und Personal von der WHO-Zentrale in Genf nach Berlin wäre eine kosteneffiziente Maßnahme, würde zudem auch eine weitaus wirksamere Schnittstelle zum agilen deutschen Global-Health-Ökosystem schaffen. Es gilt für alle in Globaler Gesundheit engagierten Organisationen und Akteursgruppen, nicht nur für die WHO, sich über gemeinsame Innovationen von Strukturen und Mechanismen Reformen zu unterziehen.
Welche Rolle Deutschland einnehmen muss
Deutschland wird in den nächsten zwölf Jahren insgesamt eine Billion Euro für zivile Infrastruktur und Klimaschutz, Militär und Verteidigung ausgeben. Ein Land, stark genug, derartige Investitionen zu tätigen, hat selbstverständlich die Möglichkeiten und die Verantwortung, eine Führungsrolle bei der Schließung der gravierenden Finanzierungslücke der WHO zu übernehmen. Ein entsprechender Mitteleinsatz – etwa 0,3 Prozent des oben genannten Betrags in dem betreffenden Zeitraum erscheinen angemessen – wäre besonders effizient, wenn ein Teil zur weiteren Verbesserung der erwähnten Kooperationen und Synergien mit bestehenden Institutionen und Initiativen verwendet würde.
Das wäre eine äußerst lohnende Investition für Deutschland. Damit könnten erhebliche Risiken minimiert, wirtschaftliche Potenziale gehoben und maßgebliche Beiträge zu resilienten Gesundheits-, Wirtschafts- und Finanzsystemen sowie zur globalen Gesundheitsentwicklung geleistet werden. Davon würde sowohl die eigene Sicherheit als auch die sozioökonomische Entwicklung im Globalen Süden profitieren, die unerlässlich für eine tragfähige, nachhaltige Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort sind.
Die Unterstützung der WHO ist eine in hohem Maße wirksame, mehr denn je zwingend notwendige Investition in unsere gemeinsamen Werte. Darüber hinaus wäre es ein entscheidender Beitrag zur Konsolidierung multilateraler Strukturen. Angesichts der Verflechtung von Gesundheit, Umwelt und Sicherheit – inhärent global beeinflusst und global wirksam – wäre es zweifelsohne ein unverantwortliches Versagen im Systemdenken, wenn wir nicht genug für die Globale Gesundheit und die WHO tun würden. Das können, das dürfen wir uns nicht leisten.
Roland Göhde ist Vorstandsvorsitzender der German Health Alliance (GHA) sowie Stifter und geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes der Virchow Foundation.
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