Am morgigen Mittwoch wird sich Ihnen ein ungewohntes Bild zeigen. Tausende Apotheken in ganz Deutschland werden geschlossen bleiben – aus Protest. Hinzukommen große, zentrale Kundgebungen und Protestmärsche – unter anderem in Berlin und Düsseldorf. Glauben Sie mir, uns ist es nicht leichtgefallen, diesen 14. Juni zum bundesweiten Protesttag zu erklären und die Schließungen zu unterstützen. Denn eigentlich sind die Apotheken wie Strom aus der Steckdose – wir sind immer da, wenn man uns braucht, auch nachts und am Wochenende. Doch die gesundheitspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung lassen uns keine andere Wahl.
Lassen Sie mich dies kurz erklären: In der Coronavirus-Pandemie haben die Apothekenteams erneut gezeigt, wie unersetzbar sie für die Bevölkerung sind. Wir haben Desinfektionsmittel hergestellt, als es keine mehr gab. Wir haben eine Test-Infrastruktur aufgebaut, die Menschen mit Masken und die Arztpraxen mit Impfstoff versorgt. All das geschah im Auftrag der Politik – die Bundesregierung wusste also ganz genau, auf wen sie sich verlassen kann. Nach vielen Dankesreden und netten Ansprachen hat die Ampel-Koalition dann aber, quasi als erste gesundheitspolitische Amtshandlung, mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beschlossen, unseren Apotheken das Honorar zu kürzen. Sie können sich nicht vorstellen, wie niederschmetternd sich diese Maßnahme auf die Moral in unseren Teams ausgewirkt hat.
Nach der Pandemie sind wir direkt in die nächste Krise gestürzt: Die Arzneimittel-Lieferengpässe stellen unsere Teams, aber auch die Patientinnen und Patienten vor Herausforderungen, die wir noch nie erlebt haben. Umfragen zufolge ist inzwischen jedes zweite Rezept nicht mehr komplikationslos belieferbar. Tag für Tag suchen die Apotheken teils stundenlang nach Möglichkeiten, alternative Präparate zu finden. Wir können die Lieferengpässe nicht beheben, allerdings finden wir in den meisten Fällen Lösungen und schaffen es, unsere Patientinnen und Patienten zu versorgen. Aber ich frage mich: Ist das ein Zustand, den wir als Industrienation für uns akzeptieren wollen? Wir als Expertinnen und Experten der Arzneimittelversorgung finden, dass wir unser System grundlegend verändern müssen.
„Das gesamte Rabattvertragssystem überarbeiten“
Die Antwort der Bundesregierung ist das sogenannte Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG). Das Gesetz, das jetzt in die entscheidende Phase geht, wird die Probleme in der Arzneimittelversorgung leider nicht lösen. Mit dem ALBVVG wird sich weder die Liefersituation noch die wirtschaftlich schwierige Lage der Apotheken verbessern. Die Bundesregierung will mit dem Vorhaben zwar das Rabattvertragssystem nachhaltiger machen, indem die Diversifizierung der Lieferketten bei der Vertragsvergabe mit einbezogen wird. Aber warum soll das nur für den Bereich der Antibiotika gelten? Wir sollten das gesamte Rabattvertragssystem überarbeiten, exklusive Verträge zwischen Herstellern und Kassen verbieten und die Sparwut der Krankenkassen unterbinden. Kurzum: Bei der Vergabe von Rabattverträgen darf es künftig nicht mehr nur um den niedrigsten Preis gehen.
Doch nicht nur die Arzneimittelpreisbildung und die Arzneimittelbeschaffung kranken. Auch die Apotheken selbst stehen massiv unter Druck. Denn in diesem Jahr greifen gleich mehrere Mechanismen, die in Summe dazu führen, dass die Apothekenzahl zuletzt immer schneller sank. Erstens sind die Pandemie-bedingten Mehreinnahmen inzwischen komplett weggebrochen, zweitens wirkt sich die Honorarkürzung direkt negativ auf die Betriebsergebnisse aus. Und drittens drücken auch die allgemeine Kostenentwicklung sowie die Inflation unsere Erträge. Alleine im vergangenen Jahr mussten die knapp 18.000 Apotheken nur für gesteigerte Lohnkosten 590 Millionen Euro mehr stemmen. Seit 2004 sind die Tariflöhne sogar um 52 Prozent gestiegen, der Verbraucherpreisindex um knapp 46 Prozent und die GKV-Einnahmen haben sich verdoppelt. Das Honorar für die Apotheke vor Ort ist im gleichen Zeitraum nicht einmal um ein Fünftel gestiegen. Während bestimmte Arztpraxen, Pflegeheime und Kliniken erst kürzlich Ausgleiche für die gestiegenen Energiekosten bekamen, tut sich bei uns nichts. Die letzte minimale Erhöhung unseres Fixhonorars ist elf Jahre her.
Unsere wichtigste Forderung ist, dass sich die Bundesregierung nach dieser Dürreperiode zu ihrem Koalitionsvertrag bekennt und die Apotheken vor Ort stärkt – indem sie den Apothekern mehr flexible Entscheidungskompetenzen zubilligt, das Fixhonorar auf 12 Euro erhöht und die Bürokratielast senkt. Wir müssen die Arbeit in der Apotheke vor Ort wieder attraktiver machen, indem wir massiv entbürokratisieren. Unzählige Kontrollmechanismen, die teilweise redundant sind, blockieren das Tagesgeschäft. Hinzukommen die sogenannten Nullretaxationen, bei denen die Kassen in ihrem Sparwahn teilweise schon externe Dienstleister beauftragen, nach formellen Fehlern auf Rezepten zu suchen, um uns das Honorar und die Erstattung des Medikamentenpreises zu streichen. Die Ampel-Koalition muss das Lieferengpass-Gesetz dazu nutzen, uns vor solcher Gängelung zu schützen.
Junge Approbierte wandern ab
Wenn die Arbeit in den Apotheken nicht schnell wieder attraktiver wird, werden wir als Arbeitgeber schlechte Karten haben. Schon jetzt bilden die Universitäten zu wenige Pharmaziestudierende aus, immer mehr junge Approbierte wandern in Richtung Pharmaindustrie und Kliniken ab. Auch deswegen haben wir von der ABDA unter dem Namen „Zukunftsklau“ erstmals eine Initiative mit unserem Berufsnachwuchs gestartet. Gemeinsam mit den jungen Apothekerinnen und Apothekern fordern wir die Politik auf, die Apotheken endlich zu stärken! Denn die Kolleginnen und Kollegen, die ihre Patientinnen und Patienten auch in 20 Jahren noch verlässlich versorgen wollen, haben ein Recht auf eine sichere Zukunft als freie Heilberufler.
Der Protesttag am kommenden Mittwoch ist nur ein Puzzleteil in unserer Kommunikationsstrategie. Wir werden nicht lockerlassen. Wir werden die Politik immer wieder daran erinnern, wie wichtig die Apotheken auch als soziale Instanz für die Bevölkerung sind. Die Apotheken kaputtzusparen ist keine Lösung. Apotheken jetzt zu stärken, muss die Antwort sein.