Eine Tablette zu schlucken ist – unabhängig vom Wirkstoff – relativ einfach. Ungleich schwieriger ist die sichere Anwendung anderer Arzneiformen wie Inhalativa oder von Arzneimitteln, die sich Erkrankte selbst spritzen. Aus meinem Apothekenalltag weiß ich, dass hier vieles im Argen liegt – ohne dass die Patientinnen und Patienten das ahnen. Eine einmalige Beratung bei der Abgabe des Arzneimittels sichert auf Dauer nicht die richtige Selbstanwendung. Es reicht auch nicht aus, wenn sich Patienten ein Video ansehen, in dem allgemein erklärt wird, wie die komplizierte Anwendung eines Arzneimittels funktioniert. So viel Health Literacy vorauszusetzen, wäre je nach Sichtweise vermessen oder naiv.
Im Jahr 2020 gaben die Apotheken rund 181 Millionen Arzneimittel ab, die unabhängig vom Wirkstoff allein wegen ihrer Darreichungsform besonders beratungsintensiv sind. Das waren 28 Prozent aller zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Medikamente.
Vier von zehn betroffenen Patienten und Patientinnen, die dauerhaft drei oder mehr Medikamente brauchen, wenden auch Arzneimittel an, die nicht geschluckt werden. An erster Stelle stehen hierbei Arzneimittel zur Inhalation (14 Prozent), knapp gefolgt von Arzneimitteln zur Anwendung am Auge (13 Prozent) und Arzneimitteln, die selbst gespritzt werden wie beispielsweise Insulin (12 Prozent). Diese Ergebnisse stammen aus einer Forsa-Umfrage vom März 2021 im Auftrag der ABDA.
Keine Überprüfung der sicheren und richtigen Anwendung
Fast alle Patienten und Patientinnen, die schwierige Arzneiformen anwenden, fühlen sich im Umgang mit ihren Medikamenten recht sicher. Aber bei mehr als der Hälfte (53 Prozent) dieser Patienten und Patientinnen fand nie eine Überprüfung der sicheren und richtigen Anwendung durch eine medizinische oder pharmazeutische Fachkraft statt. Sie wähnen sich teilweise in falscher Sicherheit.
Die Apothekenteams melden Probleme mit Arzneimitteln auch an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, kurz AMK. Fehlerhafte Anwendungen werden auch als ‚Medikationsfehler‘ bezeichnet. Eine Auswertung der AMK aus dem Jahr 20161 zeigte, dass Medikationsfehler mit oder ohne Nebenwirkungen auch vom Applikationsweg und der Darreichungsform abhängen. Bei Medikationsfehlern trat der bronchopulmonale Applikationsweg besonders häufig auf, aber er führt nur selten zu Nebenwirkungen. Bei den Medikationsfehlern, die zu Nebenwirkungen beim Patienten führten, landete der bronchopulmonale Applikationsweg auf Platz drei hinter den peroralen und invasiven Anwendungen. Deshalb sollten Patient:innen, die Inhalatoren anwenden, bevorzugt geschult werden – unabhängig davon, um welchen Inhalator es sich handelt. Schaut man sich die Probleme je nach Darreichungsformen an, führen Fertigspritzen wie zum Beispiel Insulinpens die Listen der Medikationsfehler mit und ohne Nebenwirkungen an.
Es ist unerlässlich, dass Patient:innen bei der korrekten Anwendung kompliziert anzuwendender Arzneimittel besser unterstützt werden. Das kann nachhaltig nur funktionieren, wenn sich eine Fachkraft aus dem Apothekenteam die Selbstanwendung von den Patienten und Patientinnen zeigen lässt, anschließend auf mögliche Anwendungsprobleme individuell eingeht und sie behebt. Dieses Coaching gehört durch die Krankenkassen einmal pro Jahr als Hilfe zur Selbsthilfe dringend finanziert.
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände