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Standpunkte Disease Management Programm ist nötig

Henrik Emmert ist Mitgründer und Geschäftsführer aidhere GmbH
Henrik Emmert ist Mitgründer und Geschäftsführer aidhere GmbH Foto: privat

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung hat kürzlich die Grundlage für eine strukturierte Versorgung von Adipositas gelegt. Ein Schritt, auf den viele Fachleute lange gewartet haben. Denn die Versorgungslage für Menschen mit Adipositas ist seit Jahren unzureichend. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an – ohne digitale Modelle wird es nicht gehen.

von Henrik Emmert

veröffentlicht am 04.10.2021

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Die Behandlung von Adipositas ist herausfordernd: Eine wirksame Therapie adressiert verschiedene Lebensbereiche und schließt mehrere Disziplinen ein. Diese wiederum müssen in stetigem Austausch stehen. Hausärzt:innen können eine solche interprofessionelle Therapie in ihrem Alltag nur schwer leisten. Auch eine Fachversorgung vor Ort, zum Beispiel in einer Schwerpunktpraxis, ist nur für einen Teil der Patient:innen erreichbar. Es fehlt an Spezialist:innen und Ressourcen. Diese aufzubauen kostet Zeit. Zeit, in der zahlreiche Betroffene weiter auf eine Behandlung warten müssen. 

Für andere chronische Erkrankungen, die eine komplexe Therapiesystematik erfordern, existieren deshalb seit Jahren strukturierte Behandlungsprogramme, zum Beispiel ein Disease Management Programm (DMP) Diabetes. Für Adipositas dagegen fehlt ein solches Programm bis heute. Angesichts der starken Verbreitung ist das schwer nachvollziehbar: Etwa 25 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind adipös. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung wurde in diesem Jahr endlich der Beschluss gefasst, auch für Adipositas ein solches DMP zu entwickeln. Ein erster Schritt ist damit getan, jetzt kommt es auf das Wie und eine konsequente Umsetzung an.

Digital gestütztes, modulares Programm als Lösung

Bereits vor einigen Jahren gab es einen ersten Anlauf für ein DMP Adipositas. Doch die Bemühungen scheiterten. Begründet wurde dies mit der Komplexität der Behandlung: Sie hätte die Interpretation von Daten zur Wirksamkeit einzelner Behandlungskomponenten erschwert. Dabei ist die strukturierte Behandlung gerade deshalb so wichtig: Therapien, die nur einzelne Elemente der Erkrankung fokussieren, sind nachweislich weniger wirksam. Wer Adipositas erfolgreich behandeln will, muss individuell auf jede:n einzelne:n Betroffene:n eingehen.

Eine Lösung kann ein digital gestütztes, modulares Programm sein: Mithilfe einer digitalen Anwendung erfolgen Anamnese und Erstaufnahme in der hausärztlichen Praxis bereits datengetrieben. Digital unterstützt folgen dann eine Einschätzung der Situation der oder des Betroffenen und eine erste Therapieentscheidung. Patient:innen mit hoher Eigenmotivation können anschließend mit einer digitalen Therapie zügig in eine erste Behandlung einsteigen. Bei komplexeren Anforderungen findet eine Überweisung an Fachkolleg:innen statt oder weitere Maßnahmen werden eingeleitet. Der Handlungsspielraum von Hausärzt:innen ließe sich damit deutlich erweitern.

Individuelle Therapie statt „One Size Fits All“

Im Mittelpunkt steht das Ziel, die ärztliche Expertise durch digitale Tools zu unterstützen und neue Möglichkeiten zu eröffnen. Ein digitales Behandlungsprogramm kann und soll den persönlichen Kontakt nie ersetzen. Aber es kann Versorgungslücken schließen und erstmals einen datengetriebenen Stepped Care-Ansatz bieten: Auf Basis der Daten aus dem Programm erhalten Patient:innen individuelle Unterstützungsangebote (digitale und analoge), wie es in klassischen Behandlungen bislang nicht möglich ist. Das digitale Programm ist außerdem rund um die Uhr verfügbar und bietet so eine engmaschige Begleitung.

Die Grundversorgung der Patient:innen besteht also aus einer Kombination aus persönlicher und digitaler Behandlung. Auf Basis der erhobenen Daten wird ein individueller Therapiepfad erstellt. Wenn erforderlich, kann dann eine Intensivierung der Therapie erfolgen.

Anstatt Betroffenen „One-Size-Fits-All“-Behandlungen zu empfehlen, ermöglicht dieses hybride Modell einen schnellen Einstieg in die Behandlung sowie eine schrittweise Weiterentwicklung – immer am Bedarf der oder des Einzelnen orientiert.

Versorgung in Zukunft nicht ohne Digitales

Die Anforderungen an eine qualitative Adipositas-Behandlung sind hoch. Ganz ohne digitale Ansätze wird sich die Versorgungsproblematik künftig nicht lösen lassen. Dafür stehen zu wenig Ressourcen zur Verfügung, sei es im Bereich Ernährungsmedizin, Allgemeinmedizin oder Verhaltenstherapie. Digitale Tools können eine individuelle und interdisziplinäre Behandlung heute deutlich einfacher gestalten. Diese Potenziale nicht zu nutzen, wäre demnach doppelt nachlässig.

Statt die Komplexität einer Adipositas-Behandlung als Problem zu sehen, müssen jetzt alle Bemühungen auf eine zeitnahe und praxisorientierte Umsetzung eines strukturierten Behandlungsprogramms gerichtet werden. Ein zeitgemäßes DMP Adipositas muss daher unbedingt auf hybride Modelle setzen. Andernfalls drohen die Ansätze erneut ins Leere zu laufen. Im Interesse der Menschen mit Adipositas können und dürfen wir eine solche Situation nicht erneut riskieren.

Henrik Emmert ist Mitgründer und Geschäftsführer der aidhere GmbH.

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