Erweiterte Suche

Gesundheit & E-Health

Standpunkte Handytracking: Anreize schaffen

Dominik Rehse, Leiter „Design digitaler Märkte“ am ZEW
Dominik Rehse, Leiter „Design digitaler Märkte“ am ZEW Foto: ZEW

In der Coronakrise muss das öffentliche Leben eingeschränkt werden. Neben Kontrolle von Verboten sollte auch verantwortungsvolles Verhalten belohnt werden, fordert Dominik Rehse vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Prädestiniert dafür seien Mobilfunkgeräte und -systeme.

von Dominik Rehse

veröffentlicht am 07.04.2020

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Richtig gesetzte Verhaltensanreize können die Durchsetzung gesellschaftlicher Normen und staatlicher Vorgaben sinnvoll begleiten – insbesondere wenn Polizei und Ordnungsämter bei deren Durchsetzung an ihre Leistungsgrenzen kommen. Belohnungen sollten in der akuten Notsituation so schnell wie möglich zugänglich gemacht werden. Die größte Wirkung könnte durch die Nutzung bestehender Strukturen erzielt werden. Dafür würden sich insbesondere Mobilfunkgeräte und -netze anbieten, die von einem Großteil der Bevölkerung genutzt werden und ohne langen zeitlichen Vorlauf eingesetzt werden könnten.

Zum jetzigen Zeitpunkt der Pandemie ist die wichtigste Maßgabe Abstand zu halten. Halten sich Bürger daran, so könnten sie dafür über ihre Mobilfunkanbieter Prämien erhalten. Mobilfunkanbieter sind dafür besonders geeignet, da sie über umfassende, wenn auch geographisch unscharfe, Bewegungsdaten ihrer Kunden verfügen. Diese ergeben sich aus den genutzten Mobilfunkantennen. Bewegungsmuster vergangener Monate könnten mit aktuellen Bewegungsmustern verglichen werden. Eine größere durchschnittliche Distanz zu anderen Mobilfunknutzern, beispielsweise durch die Vermeidung von Menschenansammlungen, würde prämiert werden. Die Bewegungsdaten müssten dabei nicht die Datenzentren der Mobilfunkanbieter verlassen. Datenschutzvorgaben könnte so ohne Umwege Rechnung getragen werden. Zur raschen Verbreitung könnte auf bereits bestehende Kanäle der Kundenansprache, auf bereits etablierte Wege des Zahlungsverkehrs und auf bestehende Vertragsverhältnisse aufgebaut werden.

Freiwilligkeit geht vor

Die Teilnahme an einem solchen zeitlich beschränkt eingeführten Belohnungssystem sollte freiwillig sein. Nicht jeder Nutzer von Mobilfunknetzen wird gerne über die eigenen Bewegungsdaten nachdenken. Sie sollten sich jedoch im Klaren darüber sein, dass Bewegungsdaten gemäß staatlicher Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung in jedem Fall erhoben werden. Dies könnte eine der seltenen Gelegenheiten sein, davon zu profitieren.

Das Belohnungssystem sollte mit Blick auf die größtmögliche Wirkung gestaltet werden. Ein Element könnte eine anfängliche Belohnung für Verhaltensänderungen seit Ausbruch der Pandemie sein. Dies würde Aufmerksamkeit erregen und zur Teilnahme einladen. Die Belohnung könnte durch eine Erstattung von Mobilfunkgebühren oder durch Banküberweisungen erfolgen. Über die Dauer der Pandemie könnten diese verhaltensabhängig fortgeführt werden.

Der Blick muss dabei fest auf das unmittelbare Ziel gerichtet werden: Alle Bürger sollten so schnell wie möglich und so lange wie nötig mehr räumlichen Abstand voneinander halten. Im Gegensatz zu tatsächlichen Infektionsraten ist dieses Ziel ohne Zeitverzug messbar.

Prämien für Teilnahme an Infektionsweg-Identifizierung

Mit dem weiteren Verlauf der Pandemie wird es wichtiger werden, Infektionswege nachzuzeichnen und Kontaktpersonen auf Infektionen zu testen. Mit der weiteren Verbreitung der Infektion wird dies immer schwieriger durch Gespräche mit Infizierten erhoben werden können. Eine zeitnahe Teilautomatisierung ist geboten. Die Initiative „Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing (PEPP-PT)“ von Wirtschaft und Wissenschaft könnte die technologische Grundlage für eine solche Teilautomatisierung bieten. Dabei werden über eine spezielle Smartphone-App nicht Orte, sondern der Abstand zu Kontaktpersonen über Bluetooth erfasst. Vergleichbare Initiativen in Asien stehen dafür Pate. Im Infektionsfall können vergangene Kontaktpersonen informiert und weitere Schritte zur Unterbrechung der Infektionskette unternommen werden.

Kritisch für den Erfolg solcher Systeme wird allerdings die weite Verbreitung solcher Apps sein. Derzeit ist von einer Teilnahme auf freiwilliger Basis auszugehen. Ein Prämiensystem könnte die Teilnahmebereitschaft erheblich erhöhen. So könnten für eine schnelle anfängliche Verbreitung Anwerbeprämien gezahlt werden. Denkbar sind auch Treueprämien für eine langfristige, unterbrechungsfreie Nutzung der App. Auch bei einem solchen Prämiensystem könnten Belohnungen durch eine Erstattung von Mobilfunkgebühren oder durch Banküberweisungen erfolgen. Die Teilnahme könnte direkt durch die Mobilfunkanbieter beworben werden.

Prämien für Hilfsleistungen

Die Bereitschaft für solidarisches Handeln und praktische Hilfe für Dritte dürfte im Verlauf der Pandemie eher sinken. Wer kauft während der Arbeitszeit für die erkrankten Nachbarn ein, wenn der eigene Arbeitsplatz in Gefahr ist? Um Hilfsorganisationen und Staat zu entlasten, sollte auch hier über Prämien nachgedacht werden. Dazu könnte schützenswerten Gruppen unkompliziert ein Mobilfunkguthaben freigeschaltet werden, das nach dem Vorbild der kenianischen M-Pesa an hilfreiche Mitmenschen überwiesen werden kann. Dazu wäre nur eine Telefonnummer des Helfenden nötig. 

Die Finanzierung eines solchen Prämiensystems könnte aus verschiedenen Quellen erfolgen. Um schnell handlungsfähig zu sein, wäre eine anfängliche Finanzierung durch Staat und Mobilfunkunternehmen sinnvoll. Für den Staat wäre dies ein Teil der Krisenmaßnahmen. Für die Mobilfunkunternehmen wäre ein finanzieller Beitrag – neben moralischen Erwägungen – eine Marketinginvestition.

Wirkungsorientiertheit ist entscheidend

Die Einrichtung und der Betrieb eines Bonussystems sollte wissenschaftlich eng begleitet werden. Ökonomen beschäftigen sich intensiv mit der Wirkung verschiedener wirtschaftlicher Anreize und der Ausgestaltung digitaler Plattformen. Sie können wertvolle Beiträge zur Entwicklung wirkungsvoller Belohnungssysteme leisten. Daneben können Wissenschaftler auch als unabhängige Schiedsrichter dienen, welche die Wirkung der Belohnungssysteme verlässlich und fortwährend feststellen. Alle Bausteine des Belohnungssystems müssen von vornherein überprüfbar ausgerollt werden.

Die Ausgestaltungsdetails müssen gut durchdacht werden. So könnten Menschen ihre Handys bei Ausgängen schlicht zu Hause lassen und Abstand zu anderen Menschen vortäuschen. Die Überprüfung des Mitführens von Mobilfunkgeräten sollte durch regelmäßige Kontaktaufnahmen per Kurznachricht oder durch automatisierte Anrufe organisiert werden.

Weiterhin könnten mit dem Betrieb der kritischen Infrastruktur betraute Personen benachteiligt werden. Durch ihren Kriseneinsatz dürften sich ihre Bewegungsmuster eher hin zu mehr Mobilität und zu größerer Nähe zu anderen entwickeln. Dadurch könnten sie in einem Bonussystem, das Immobilität und Abstand halten belohnt, eher benachteiligt werden. Dagegen müssten entsprechende Vorkehrungen getroffen treffen. Durch den kurzen zeitlichen Vorlauf wird allerdings kein wie auch immer ausgestaltetes Belohnungssystem von Anfang an perfekt sein. Nachbesserungen werden nötig sein. Schnelles und pragmatisches Handeln steht in dieser schwierigen Situation jedoch vor Perfektion.

Dominik Rehse ist Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe „Design digitaler Märkte“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen