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Standpunkte Medizinische Ersteinschätzung ist wirksam

Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi
Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi Foto: axentis.de / Lopata

Über SmED wird ein Viertel aller Anrufenden bei den Arztrufzentralen der Kassenärztlichen Vereinigungen in die Notaufnahmen vermittelt. Dominik von Stillfried vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung erklärt den Nutzen der Patientensteuerung.

von Dominik von Stillfried

veröffentlicht am 04.06.2020

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Aus Sorge vor einer Covid-19-Infektion meiden derzeit viele Patienten Arztbesuche in Praxen und Kliniken. Ein Blick auf die Fakten schärft den Blick: Laut Robert Koch-Institut (RKI) gibt es derzeit rund 8.000 offiziell Covid-19-Infizierte. Zum Vergleich: An einem normalen Tag werden rund 3,9 Millionen Menschen in der vertragsärztlichen Versorgung behandelt. Von diesen sind ein Drittel älter als 75 Jahre, über die Hälfte davon leiden an mindestens einer oder mehreren chronischen Krankheiten. Eine geordnete Rückkehr zur Normalität unter Berücksichtigung besonderer Vorsichts- und Hygienestandards ist im Gesundheitswesen daher eine medizinische Notwendigkeit. 

Wer sich unsicher ist, ob und wann mit bestimmten Beschwerden ärztliche Hilfe benötigt wird, erhält über die telefonische Patientenservicenummer 116117 Rat (medizinische Ersteinschätzung) und Tat (Terminvermittlung). Die medizinisch geschulten Disponenten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) nutzen dafür die im Auftrag des Zi entwickelte Software SmED (Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland). Damit bewerten sie die Dringlichkeit des Behandlungsbedarfs und die angemessene Versorgungsebene und können so direkt am Telefon eine klare Handlungsempfehlung über Ort und Zeit der weiteren Behandlung geben. Für lebensbedrohliche Notfälle gilt weiterhin die 112. In den nächsten Monaten soll eine digitale Selbsteinschätzung mit anschließender Buchung eines geeigneten Arzttermins per Website oder Smartphone-App ergänzt werden. Schließlich soll SmED auch zum Beispiel Rettungsdienstmitarbeitern im mobilen Einsatz zur Verfügung gestellt werden. 

SmED ist ein neuronales Netz 

Technische Grundlage für SmED ist ein neuronales Netzwerk. Immer wenn ein Patient eine Ersteinschätzung im Gespräch mit einem Disponenten erhält oder auf digitalem Wege selbst erstellt, greifen die Anfragen auf die gleiche Software zurück. Zuerst wird geprüft, ob Anzeichen eines lebensbedrohlichen Zustands vorliegen. Ausgehend von den Angaben zum Alter, Geschlecht und zur akuten Beschwerde liefert das System eine Auswahl von Fragen und Antwortoptionen. Anhand der ausgewählten Antwortoptionen kann schnell und sicher erkannt werden, ob ein Notfall vorliegt. Am Ende steht eine Empfehlung, zur Dringlichkeit sowie zur angemessenen Versorgungsebene. Wenn notwendig, buchen die Terminservicestellen der KVen kurzfristig Termine in einer Arztpraxis oder eine Telekonsultation. 

Noch ist SmED kein selbstlernendes System. Der Vorteil des neuronalen Netzes besteht aber darin, dass eine große Anzahl unterschiedlicher individueller Beschwerden und Risikofaktoren sehr schnell erfasst, dokumentiert und sicher bewertet werden können. Zugleich bleibt das System flexibel, die Fragefolge reagiert dynamisch. Meist endet sie nach wenigen Fragen, die nach Dringlichkeit gegliedert werden. Insgesamt hält SmED mehr als 48 Millionen unterschiedlicher Abfragepfade bereit. Inwieweit es durch selbstlernende Algorithmen zu verbessern ist, überprüfen wir gerade. 

75 Prozent an Niedergelassenen vermittelt 

Erste Zwischenergebnisse in Deutschland zeigen, dass SmED mindestens 75 Prozent aller Anrufenden in die ärztliche Beratung vermittelt. Bei bis zu 24 Prozent empfiehlt die Software eine Behandlung in der Notaufnahme, nur etwa ein Prozent wird als Notfall ausgewiesen. Diese Größenordnungen entsprechen internationalen Erfahrungen. Für eine effektive Steuerung durch SmED wird viel davon abhängen, wie viele Versicherte das System auch tagsüber nutzen und ob Arztpraxen künftig vorzugsweise Termine für ersteingeschätzte Patienten vergeben. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass die telefonische und digitale Ersteinschätzung die Notaufnahmen weiterhin spürbar entlasten und den Patienten mehr Sicherheit geben wird. Deshalb ist es folgerichtig, eine vergleichbare Ersteinschätzung künftig auch am Tresen integrierter Notfallzentren und in den Gemeinsamen Notfallleitsystemen von Rettungsleitstellen und KVen einzusetzen. 

SmED ist auch Basis für weitere Angebote. So zum Beispiel die Webapplikation COVID-Guide, mit dem Patienten ihre gesundheitliche Situation bei möglichen Beschwerden im Zusammenhang mit dem Coronavirus selbst qualifiziert ersteinschätzen können. Um sich bei Infekt-Symptomen beraten zu lassen, können Versicherte bald auch mit einem KI-System telefonieren, das sie mit Hilfe von SmED ausführlich zu etwaigen Beschwerden befragt und eine erste medizinisch Einschätzung vornimmt. 

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