Als im März 2020 die erste Welle der Covid19-Pandemie Deutschland erreichte, haben viele Menschen zum ersten Mal erlebt, wie gut das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich aufgestellt ist. Natürlich: Auch bei uns lief und läuft nicht alles rund, aber die dramatischen Bilder und Berichte aus anderen Ländern sind uns glücklicherweise erspart geblieben.
Diese Zufriedenheit ist auch messbar. Das zeigt die aktuelle Ausgabe des jährlich durchgeführten Healthcare-Barometers von PwC, für das wir 1.000 Bürger:innen um ihre Einschätzung gebeten haben: 72 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass unser deutsches Gesundheitssystem zu den drei besten der Welt zählt. Fast drei Viertel schätzen die Versorgung im Krankenhaus als gut oder sehr gut ein. 88 Prozent sind mit ihrer Krankenkasse zufrieden. Allesamt starke Zahlen, und im Vergleich mit den Jahren zuvor auch noch einmal ein deutlicher Anstieg.
Aber natürlich ist auch das deutsche Gesundheitssystem keine Insel der Seligen. Im Gegenteil. Ich interpretiere die hohe Zufriedenheit eher als Dankbarkeit angesichts der aktuellen Mammutaufgabe. Tatsächlich bin ich der Überzeugung, dass wir das gesamte System auf den Prüfstand stellen müssen – vor allem bei der Finanzierung.
Die Krise legt dieses Problem schonungslos offen, in Form des Fachkräftemangels und den damit verbundenen Arbeitsbedingungen. Die Krankenhäuser bekommen die notwendige Personaldecke nicht mehr finanziert: Zum einen werden bestimmte Bereiche personell stärker beansprucht als sonst, zum Beispiel die Intensivpflege. Zum anderen bricht eine Einkommensquelle weg, weil elektive Operationen aufgeschoben werden, um mehr Platz für Intensivpatienten zu schaffen. Die Folge sind Kurzarbeit und Entlassungen – obwohl der Bedarf an Fachkräften steigt. Dies vor dem Hintergrund des demografischen Wandels: Die Menschen leben länger, außerdem gehen ab 2023 sehr geburtenstarke Jahrgänge in Rente. Wir werden also in absehbarer Zeit mehr Rentner:innen und gleichzeitig weniger Arbeitskräfte haben. Das spannt die Lage noch weiter an, selbst wenn die aktuelle Krise hinter uns liegt.
Finanzierung über Einwohner:innenpauschale
Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt in der Krankenhausfinanzierung. Diese ist in Deutschland dualistisch organisiert, Bundesländer und Krankenkassen teilen sich die Kosten: Die Länder sind für die Bereitstellung von Investitionsmitteln zuständig, während die Kassen die laufenden Betriebskosten übernehmen. Eine Vergütung für letztere findet allerdings erst dann statt, wenn es zu einem Krankheitsfall kommt oder eine Behandlung vorgenommen wird. Wohin diese Aufteilung führen kann, hat uns der Wegfall der elektiven Operationen gezeigt. Wenn die Leute gesund bleiben oder nicht ins Krankenhaus müssen, fließt immer weniger Geld in den laufenden Betrieb und die Arbeitsbedingungen werden schlechter. Im Grunde eine bizarre Situation: Den Krankenhäusern geht es erst dann gut, wenn genug Menschen krank werden.
Aus wirtschaftlicher, aber auch humanistischer Sicht wäre ein Finanzierungsmodell besser, das die Prävention in den Mittelpunkt stellt. Das unter Plan A versteht, den Menschen gesund zu halten, während ein funktionierender Plan B für den ungewollten Krankheitsfall vorgesehen ist. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir die Finanzierung von Krankenhäusern zukünftig einheitlich regeln, und zwar mit einer Einwohner:innenpauschale. Dieser sogenannte Capitation-Ansatz sorgt dafür, dass Krankenhäuser für die Gesundheitsversorgung in einem bestimmten Einzugsgebiet einen fixen Pauschalbetrag pro Einwohner:in bekommen – unabhängig von den tatsächlich erbrachten Leistungen, die sie aus den bereitgestellten Mitteln finanzieren müssen. Damit wird es für Krankenhäuser wirtschaftlich sinnvoll, möglichst viele Menschen durch Präventivmaßnahmen gesund zu halten. Die Nachhaltigkeit der Behandlung und die anhaltende Gesundheit der Menschen hätte einen direkten, positiven Einfluss auf die Bilanz.
Vorteile für Fachkräfte und Digitalisierung
Eine solche Finanzierung hätte viele Vorteile. Unter anderem würden wir den Fachkräftemangel entschärfen: Eine Personalreserve für Belastungsspitzen muss nämlich nicht durch medizinische Leistungen finanziert werden, die wiederum ihrerseits Personal beanspruchen würden. In der aktuellen Krise wären den Krankenhäusern mit so einem Modell keine Einnahmen verloren gegangen, sie hätten also keine Kurzarbeit anmelden müssen.
Eine Reform der Finanzierung würde aber auch ein Hindernis bei der digitalen Transformation aus dem Weg räumen. Denn Ausgaben für digitale Innovationen sind in der bisherigen Finanzierung nicht eindeutig zuzuordnen. Einerseits führen digitale Strukturen langfristig zu Kosteneinsparungen im laufenden Betrieb, fallen also in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen. Die Anschaffung von technischem Equipment ist jedoch rein formell gesehen eine Investition – also eigentlich Ländersache. Würden Krankenhäuser einheitlich pro Einwohner finanziert, würde dieser Konflikt aufgelöst und die Digitalisierung um einiges leichter. Das wiederum würde die Arbeit effizienter gestalten, zum Beispiel in der Verwaltung oder durch Innovationen entlang des Patientenpfads. Von der steigenden Attraktivität als Arbeitgeber ganz zu schweigen.
Michael Burkhart ist als Leiter Gesundheitswirtschaft bei PwC Germany tätig.