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Covid-19 Risikoanalyse hat Corona-Pandemie vorhergesagt

Coronafälle

Hätte Deutschland besser auf die Corona-Pandemie vorbereitet sein können? Schon 2012 wurde die Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ veröffentlicht. Parallelen zur aktuellen Coronakrise ließen sich FDP-Politiker und Infektiologe Andrew Ullmann zufolge nicht leugnen. Er kritisiert, dass die Pläne jetzt erst angepasst werden.

veröffentlicht am 13.03.2020

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Das Coronavirus bahnt sich seinen Weg durch Deutschland und macht auch vor dem Bundestag keinen Halt. Unter den mehr als 2.000 bestätigten Fällen befindet sich auch der FDP-Abgeordnete Hagen Reinhold. Fraktionskollege Andrew Ullmann, Professor und Infektiologe, hat seine Mitarbeiter vorsorglich ins Homeoffice geschickt und verzichtet auch persönlich auf Wahlkampfveranstaltungen in seiner Heimat Würzburg, den Besuch seiner Eltern sowie Theateraufführungen, auf die er sich gefreut hatte. „Ich appelliere an alle, jetzt Verantwortung zu übernehmen und die Kontakte gerade auch in der Öffentlichkeit weitgehend zu meiden. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass man zu Hause bleibt, wenn man krank ist“, so Ullmann am Telefon zum Tagesspiegel Background. 

Der Mediziner glaubt, dass wir gerade erst am Anfang der Pandemie stehen und sagt: „Ich vermute, dass die Zahl der Infizierten in Deutschland wesentlich höher liegt, als die, die offiziell bekannt ist.“ Für eine hohe Dunkelziffer gibt es eine Menge Hinweise. In Berlin etwa werden lediglich bekannte Infektionsketten verfolgt, getestet wird nur, wer auch Symptome zeigt. Was fahrlässig erscheinen könnte, sei Ullmann zufolge richtig. „Screenings wie bei Tuberkulose etwa machen keinen Sinn. Wir haben ja aktuell auch keine Antikörpertests“, so der Infektiologe. Für 80 Prozent werde Covid-19 harmlos sein, doch auf der anderen Seite stünden eben die 20 Prozent, für die es potenziell lebensgefährliche Verläufe nehmen könnte. Darauf müsse sich Deutschland vorbereiten.

Im Unterausschuss „Globale Gesundheit“, in dem Ullmann stellvertretender Vorsitzender ist, ging es am Mittwoch um die Ausbreitung des Coronavirus in der Welt. Zu den Gästen zählte der Charité-Virologe Christian Drosten. „Wir haben darüber diskutiert, wie der saisonale Einfluss ausfallen wird“, so Ullmann. Man befürchtet, dass die Corona-Pandemie „bis in den Sommer hineinschwappt“ und im Herbst erneut Fahrt aufnimmt. Seinen vorsichtigen Optimismus, dass es im Sommer zumindest etwas besser wird, stützt Ullmann auf die Entwicklungen in China: „Dort sehen wir, dass die Kurve etwas abflacht.“  

Risikoanalyse: Ein Blick in die Zukunft?

Der Infektiologe und Politiker macht gleichzeitig deutlich, dass es nun um eine bestmögliche Vorbereitung auf den Herbst gehen muss: „Für diesen Herbst sollten wir vorübergehend eine allgemeine Impfpflicht gegen Influenza einführen“, so Ullmann. Ziel sei es, so viele Kranke wie möglich zu vermeiden und Krankenhausbetten für Corona-Infizierte mit schweren Verläufen frei zu halten. „Außerdem müssen unsere Pandemiepläne vor Ort angepasst werden“, sagt der Arzt mit Verweis auf die Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ aus dem Jahr 2012. Darin würde man einige Parallelen zu der Ist-Situation mit Blick auf SARS-CoV-2 erkennen können.

Das beschriebene Szenario stellt ein außergewöhnliches Seuchengeschehen dar, das auf der Verbreitung eines neuartigen Erregers basiert: dem „Modi-SARS“, das sehr eng an das SARS-Virus angelehnt ist. Laut der Analyse habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Erreger mit neuartigen Eigenschaften sehr plötzlich auftreten können. Verwiesen wird auf das SARS-Coronavirus [CoV], das H5N1-Influenzavirus, den Chikungunya-Virus sowie HIV.

In dem Szenario geht man von Millionen von Infizierten in Deutschland aus und einer zehnprozentigen Sterblichkeitsrate. „Die enorme Anzahl Infizierter, deren Erkrankung so schwerwiegend ist, dass sie hospitalisiert sein sollten beziehungsweise im Krankenhaus intensivmedizinische Betreuung benötigen würden, übersteigt die vorhandenen Kapazitäten um ein Vielfaches", heißt es in der Risikoanalyse. „Dies erfordert umfassende Sichtung (Triage) und Entscheidungen, wer noch in eine Klinik aufgenommen werden und dort behandelt werden kann und bei wem dies nicht mehr möglich ist. Als Konsequenz werden viele der Personen, die nicht behandelt werden können, versterben.“ Zu der Eintrittswahrscheinlichkeit einer solchen Pandemie hieß es: „bedingt wahrscheinlich“. Es handele sich um ein Ereignis, das statistisch gesehen einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintrete. Somit verschwand die Simulation wieder in der Schublade. Bis jetzt.

Droht ein Antibody Dependent Enhancement?

„Es ist so lange mit Neuerkrankungen zu rechnen, bis ein Impfstoff verfügbar ist“, heißt es weiter in der Analyse. Die jüngsten Aussagen, 2021 könnte es erste Testimpfungen gegen das Coronavirus geben, sieht Ullmann daher skeptisch. „Immunologie ist nicht ganz trivial“, sagt der Arzt. Beim Dengue-Fieber sorgen etwa die bei der Erstinfektion gebildeten Antikörper dafür, dass die Immunreaktion bei einer Zweitinfektion verstärkt werden können  und diese Immunreaktion bewirkt dann einen schweren Krankheitsverlauf. Auch bei einer Impfung gegen SARS-CoV-2 könnte das sogenannte Antibody Dependent Enhancement auftreten und für schwere Verläufe sorgen. Optimistischer ist Ullmann mit Blick auf Virostatika, die eine Ausbreitung der Viren im Körper verhindern. Entsprechende Studien könnten bereits im Herbst wirksame Medikamente hervorbringen.  

So lange gilt: Sozialer Rückzug bietet den besten Schutz. Die Absagen von Veranstaltungen gehen dieser Tage weiter, auch in der Politik. In einem Brief an alle Mitglieder hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gerade mitgeteilt, dass alle Fraktionsveranstaltungen mit externen Gästen bis Ende April 2020 abgesagt sind. Alle anderen Fraktionen würden in gleicher Weise verfahren.

Alle Details zur Risikoanalyse hat Alexander Fröhlich für Sie zusammengefasst.

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