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Standpunkte Schließungen alleine keine gute Krisenpolitik

Achim Wambach ist Präsident des ZEW
Achim Wambach ist Präsident des ZEW Foto: ZEW

Covid-19 breitet sich in Regionen mit einem höheren Sozialkapital signifikant langsamer aus als in solchen mit geringeren Sozialkapital, schreibt ZEW-Präsident Achim Wambach im Standpunkt, und erklärt, was es mit dem Konzept auf sich hat.

von Achim Wambach

veröffentlicht am 16.12.2020

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Vor einem Jahr hat sich der erste Patient in Wuhan mit dem Corona-Virus angesteckt. Mittlerweile sind weltweit über 65 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, etwa 1,5 Millionen sind im Zusammenhang mit dem Virus verstorben, und die Weltwirtschaft erlebt den größten Einbruch seit Kriegsende.

Die moderne Gesellschaft hat mit ihren vielfältigen Verflechtungen zwischen Menschen, Unternehmen und Staaten einen hohen Komplexitätsgrad erreicht. Das Corona-Virus hat dieses Geflecht in unerwartete und ungewünschte Richtungen gezerrt. Seit Beginn der daraus resultierenden Krise wird weltweit versucht, die Virusausbreitung möglichst gering zu halten, ohne dabei die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler übermäßig zu schmälern und die Wirtschaft zu sehr einzuschränken. Den richtigen Mix an Maßnahmen zu finden, seien es Unternehmens- oder Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen, oder auch wieder selektive Lockerungen, ist eine Kunst. Dabei schneidet die Bundesrepublik im Vergleich bislang recht gut ab.

Wenn man als Maß für die Schwere der Pandemie die Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 betrachtet, so ist Deutschland zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags mit unter 250 Todesfällen pro eine Million Einwohner im Vergleich zur Gesamtheit der EU-Staaten mit circa 620 pro eine Million Einwohner weit weniger stark betroffen. Gleichzeitig ist der erwartete BIP-Einbruch 2020 nach Prognose des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom November dieses Jahres mit 5,1 Prozent geringer als der im Euro-Raum mit 7,0 Prozent. 

Für diese Ergebnisse sind nicht allein die Politikmaßnahmen verantwortlich. So sind etwa Länder mit einem höheren Tourismusanteil an der Volkswirtschaft wie Italien und Spanien wirtschaftlich stärker betroffen. Und ein wichtiger Faktor, der zur Eindämmung des Virus beiträgt, ist das Sozialkapital einer Region. Sozialkapital ist ein Begriff aus den Sozialwissenschaften und beschreibt die Bereitschaft der Menschen, kollektiv zu handeln und sich mit ihrem individuellen Verhalten für die Gemeinschaft einzusetzen. Maßgrößen für die Höhe des Sozialkapitals sind etwa die Beteiligung bei regionalen Wahlen oder der Anteil der regionalen Bevölkerung, der regelmäßig Blut spendet.

Studien: Hohes Sozialkapital, langsamere Ausbreitung

Forscher aus dem ZEW haben den Zusammenhang zwischen Sozialkapital und Ausbreitung des Virus untersucht. Es zeigt sich, dass sich unter anderem in Italien, Deutschland und Großbritannien Covid-19 in Regionen mit einem höheren Sozialkapital signifikant langsamer ausbreitete als in solchen mit geringeren Sozialkapital. Studien für die USA kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. 

Das Vertrauen in die Politik spielt dabei eine wichtige Rolle. So konnte mithilfe von Mobilfunk-Bewegungsdaten beobachtet werden, dass in Regionen, in denen das Vertrauen in die Politik höher ist, ein stärkerer Rückgang der Mobilität stattfand als in solchen Regionen, in denen weniger Menschen der Politik vertrauen. Insofern ist es sowohl eine Konsequenz des Erfolgs, als auch konstitutiv für sein Zustandekommen, dass seit März die Zustimmung zum Corona-Krisenmanagement der Politik in Deutschland überwiegend zwischen 60 und 70 Prozent ist, allerdings mit abnehmender Tendenz. Vergleichbare Werte in Frankreich und Großbritannien liegen bei unter 40 Prozent. 

Bei der Bekämpfung der Ausbreitung des Virus steht Deutschland in den Wintermonaten vor schwierigen und schwerwiegenden Entscheidungen. Der Erfolg der Krisenpolitik hängt aber auch von Faktoren ab, die Politik nicht anordnen kann. Geschäfte und Schulen können per Verordnung geschlossen werden, aber die Effektivität dieser Maßnahmen wird durch die Menschen vor Ort bestimmt. Die Maßnahmen sind umso erfolgreicher, je höher das Sozialkapital ist und je mehr der Politik vertraut wird. Hierauf können Regierungen von Bund und Ländern, wie der Sachverständigenrat betont, noch mehr Einfluss nehmen, indem sie klarer kommunizieren, nach welchen Kriterien Einschränkungen getroffen oder wieder aufgehoben werden. 

Professor Achim Wambach ist seit April 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. 

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