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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Wie geht es generationengerecht?

Foto: Jenny Sieboldt

Zehn Jahre mit vollen Kassen bleiben uns noch, sagt Luise Tavera, Vorsitzende der Initiative Denkschmiede Gesundheit. Für die Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme sei die Note unzureichend angemessen. Darum setzt sie sich für Generationengerechtigkeit ein.

von Luise Tavera

veröffentlicht am 26.03.2020

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Ich verteile keine negativen Zeugnisse an einzelne Akteure, da das den Arbeitsgrundsätzen der Denkschmiede Gesundheits (DeGe) widerspricht. Auf Missverhältnisse in der Zukunftsfähigkeit unserer Lebens- und Berufswelt aufmerksam zu machen, gehört trotzdem zu unseren Kernaufgaben. Um sich nicht im Klein-Klein zu verlieren, sei an dieser Stelle beispielhaft das Pflegeversicherungssystem gewählt, das besonders unter dem demografischen Wandel leiden wird. Wir werden bald einen neuen Ausdruck für den „Pflegenotstand“ finden müssen, da dieser Begriff bereits heute schon verwendet wird, aber kein Vergleich zu dem sein kann, was uns in 15 Jahren erwartet. Ich schlage „Pflegekatastrophe“ vor, bin aber offen für Gegenvorschläge. 

Wir haben mit den zahlenmäßig starken Babyboomern jetzt noch zirka zehn gemeinsame Jahre, in denen sie berufstätig sind und Steuern und Sozialabgaben zahlen. Um die Babyboomer in ihrer Rente und Pflege ausreichend versorgen zu können und damit die zugehörigen Sozialsysteme nicht kollabieren, müsste die Politik morgen erste Maßnahmen einleiten. Ob man eine altersspezifische, staatlich unterstützte Zusatzversicherung einführt, generationenbezogene Zusatzbeiträge erhebt oder das ganze System umbaut, muss von Experten beurteilt werden – wir kümmern uns grade primär um den Handlungsdruck, der sich verblüffenderweise nicht von selbst entwickelt.  

Was ist denn nun mit der Digitalisierung? 

Wir werden aufgrund der Babyboomer eines Tages Sozialabgaben von weit über 40 Prozent haben, mehr als jedes andere vergleichbare Land. Die Politik kommt hier ihrer Verpflichtung nicht nach, den sozialen Frieden zu sichern. Der einzige Politiker, der sich schon immer für Generationengerechtigkeit eingesetzt hat, ist Jens Spahn. In seiner Amtszeit erwarten wir den Gebrauch seiner Macht als Bundesgesundheitsminister für diesen ohnegleichen wichtigen Sachverhalt.  

Ich erwähnte es bereits: Zehn Jahre mit vollen Kassen bleiben uns noch. Die Antwort auf die in Angst erstarrte Frage, ob uns die Digitalisierung helfen kann, ist ein klares Ja. Sie kann das System effizienter, sicherer, qualitativ besser gestalten. Das ist aber maßgeblich von der Qualität der Angebote auf dem Markt abhängig. In meinem Hauptberuf im Technologietransfer von Charité und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) sehe ich, dass digitale Lösungen, die aus einer echten, tatsächlichen Versorgungslücke heraus entwickelt werden, oft die geeignetsten sind. Die Aufgabe der Politik und Selbstverwaltung mit ihren jeweiligen Budget-Töpfen ist es, gezielt und massiv in die besten digitalen Lösungen zu investieren. Dazu muss sie Grenzen abreißen: Unternehmensgröße und -form sowie Ländergrenzen oder Lobbystärke dürfen keine Erfolgskriterien mehr sein.  

Prüfkriterium Generationengerechtigkeit 

Apropos Politik. Ich profitiere mit der DeGe von einem Trend, den wir zwar nicht haben kommen sehen, der aber glücklicherweise drei Jahre nach unserer Gründung aufgeblüht ist: Die Klima-Proteste der Schülerschaft. Viele unserer DeGe-Gründungsmitglieder hatten zuvor im Jungen Gesundheitsparlament die Erfahrung gemacht, dass wir den Bundespolitikern im Ausschuss für Gesundheit und der Öffentlichkeit unsere jungen Ideen und Papiere regelrecht aufzwingen mussten. Mit Greta, Rezo und Alex (Jorde) hat die Stimme der Jungen Schlagkraft erhalten. Wir sind sehr stolz auf unsere Generation und unsere Mitstreiter in allen Branchen.

Unsere Partnerin ist die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Mit ihr und weiteren jungen Fachorganisationen haben wir das gesundheitspolitische Positionspapier der jungen Generation verfasst. Es wird immer wieder deutlich, dass auch Einzelpersonen wie Autor und Talkshow-Dauergast Wolfang Gründinger viel bewegen und die Interessen der Jungen öffentlichkeitswirksam vertreten werden können und dass sie gehört werden. Das motiviert mich und uns in der DeGe. 

Fachkräftemangel und Zusammenarbeit der Generationen 

Es ist die Aufgabe der jetzigen Chefinnen und Chefs, den Nachwuchs heranzuziehen. Wir jungen Berufstätigen müssen später, schon rein statistisch bedingt, die Tätigkeiten von vielen in einer Stelle vereinen. Das klappt in der Pflege nicht, aber für manche administrative und Büro-Jobs wird das nötig und sinnvoll sein. Wir müssen auch arbeitstechnisch effizienter werden. Dafür brauchen wir die Ausbildung und das Mentoring der alten Hasen. Gleichzeitig profitieren die alten Hasen dann vom frischen Wind der Jungen: Besonders in den großen Interessenvertretungen der Selbstverwaltung steigt die Anzahl der grauen Haare, gleichzeitig wird immer mehr über Digitalisierung gesprochen – warum also nicht die Digital Natives heranziehen?

Natürlich sehe ich auch Vorteile des Fachkräftemangels für uns, die jungen Berufstätigen. Ich prognostiziere, dass wir in 15 Jahren nicht nur unsere Chance auf den jeweiligen Traum-Job verbessern, sondern dass wir zudem wählen können zwischen einem Vollzeitjob mit einer sehr guten Vergütung (die dann hoffentlich auch die hohen, generationenungerechten Sozialabgaben erträglicher macht) und einem sehr flexiblen Job mit viel Zeit für die Familie. Wir stellen dann das knappe Humankapital Deutschlands dar und sollten uns nicht nur um die Kompromisse sorgen, die das mit sich bringt, sondern auch selbstbewusst unsere Forderungen vertreten.  

Luise Tavera ist Gesundheitsökonomin, Vorsitzende der Denkschmiede Gesundheit und studiert gerade MBA Innovatives Gesundheitsmanagement. 

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