Eine Frage der Priorität? Mentale Gesundheit bekommt in Deutschland endlich mehr Aufmerksamkeit! So viel Aufmerksamkeit, dass selbst TV-Entertainer Jan Böhmermann das Thema aufgriff und die Missstände in der psychotherapeutischen Versorgung, also der Verfügbarkeit von Behandlung, anprangerte. Wir sind dankbar, dass sich die Öffentlichkeit vermehrt mit mentaler Gesundheit beschäftigt und auch der Koalitionsvertrag dem Thema einen höheren Stellenwert einräumt. Fakt ist aber auch, dass die Wartezeit für einen Psychotherapieplatz immer noch viel zu lang ist. Menschen mit einer psychischen Belastung, wie einer Depression oder Angststörung, müssen im Schnitt über fünf Monate auf einen Therapieplatz hoffen und warten.
Die große Frage lautet: Wie können wir die beschriebene Problematik lösen und Menschen, die dringend eine Therapie brauchen, schnell und effektiv helfen? Denn es ist unbestreitbar, dass die Hürden, um überhaupt an Hilfe zu gelangen, sehr hoch sind. Genau hier kommen Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) ins Spiel, die Online-Unterstützung via App anbieten, um so den Betroffenen eine schnell verfügbare Hilfe ermöglichen.
App ist nicht gleich App
In Bezug auf DiGA kommt es immer wieder zu Kritik, so auch bei Böhmermann: „Apps könnten keine Psychotherapeut:innen ersetzen.“ Das stimmt, aber trotzdem müssen wir differenzieren. Denn anders als der TV-Satiriker suggeriert, ist App nicht gleich App.
Um als DiGA zugelassen zu werden, sind eine nachgewiesene Wirksamkeit der Online-Therapie und ein langwieriges Prüfverfahren durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte notwendig. Alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für DiGA. Gesundheitsapps gibt es unzählig viele, aber nur um die 30 vom BfArM zugelassen DiGA. Das ist ein großer Unterschied.Weil es mehr als nur eine Lösung braucht
Natürlich ist nicht jede betroffenen Person mit einer DiGA geholfen. DiGA können immer nur ein Teil der Lösung sein, keine Ultima Ratio. Es braucht auch mehr Kassensitze, um die Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz zu verkürzen. Das wird gerade auch vermehrt in der Ampelkoalition und Gesellschaft diskutiert, die Problematik ist endlich transparenter geworden. Aber: Auch nicht jedem Menschen ist mit einer Psychotherapie optimal geholfen. Niederschwellige digitale Angebote erreichen Menschen frühzeitig und können schnelle, wirksame Hilfe leisten wenn – aus welchem Grund auch immer – keine Psychotherapie zugänglich ist oder gewollt wird. Viele Menschen, die Selfapy nutzen, schätzen gerade die Vorteile einer digitalen Therapieoption. Da sie die therapeutischen Inhalte flexibel von zu Hause auf ihrer Couch bearbeiten können, da sie nicht kilometerweit in die Praxis fahren müssen und da sie an sich arbeiten können, ohne sich bereits komplett einem Menschen zu öffnen.
Klar ist, wir sollten uns bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen keinesfalls in eine „Entweder-oder-Situation“ begeben. Die Versorgung ist komplex und es braucht diverse Lösungen, um den wachsenden Bedarf und den individuellen Lebenssituationen von Betroffenen zu begegnen. Kurz gesagt: Therapieplätze und Digitale Anwendungen – ja, bitte. Und: Wir freuen uns natürlich über jede weitere evidenzbasierte Hilfe für betroffene Menschen.
Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft in Gänze offener gegenüber neuen Lösungsvorschlägen ist. Dies schließt ein, digitale Lösungen auch im Gesundheitsbereich zunächst einmal einmal anzuschauen, die guten Studien zur Wirksamkeit zu lesen, anstatt sie direkt, ohne triftigen Grund, abzulehnen. Am Ende sollte es in erster Linie darum gehen, den Patient:innen einen schnellstmöglichen Zugang zu therapeutischer Hilfe zu ermöglichen. Und dies muss sowohl über mehr Kassensitze als auch über evidenzbasierte DiGA passieren. Es sollte keine Rolle spielen, sofern die jeweilige Lösung eine Verbesserung herbeiführt.
Wann Online-Unterstützung Sinn macht
Generell ist es ratsam, zwischen den verschiedenen Dimensionen psychischer Erkrankung zu unterscheiden. Je nach Schweregrad der Erkrankung (z.B. leichte, mittelschwere und schwere Depression) haben die Patient:innen unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten, wie eine klassische Psychotherapie oder digitale Unterstützung. Gerade im Bereich der leichten bis mittelschweren psychischen Erkrankung können Online-Kurse einen nachweislich positiven Effekt auf den weiteren Verlauf der Erkrankung haben und Symptome abmildern. Digitale Therapieangebote sind nicht die Universallösung für jeglicher Ausprägung einer psychischen Erkrankung. Das sollen sie aber auch nicht sein. Bei sehr schweren Depressionen oder gar Suizidabsichten sind ambulante Psychotherapien, Medikamente oder gar ein stationärer Aufenthalt die Methoden der Wahl.
Anbietern von digitalen Therapieangeboten geht es vielmehr darum, aufzuzeigen, dass schon frühzeitig gearbeitet werden kann, um gar nicht erst eine Verschlechterung der Symptome zu riskieren. Beispiel: Bei der Diagnose einer leichten Depression kann die Verschreibung einer DiGA wie Selfapy effektiv helfen, einer Verschlechterung entgegenzuwirken, die Symptome zu reduzieren und bestenfalls eine Psychotherapie obsolet zu machen.
Eine allumfassende Generallösung für psychische Erkrankungen gibt es nicht. Jede:r Patient:in und jede:r Betroffene hat eine ganz eigene Geschichte, die Problemursachen und die Lebenssituation variieren sehr stark. Eine Frage zum Schluss: Warum werden digitale Lösungen teils von vornherein verteufelt, wenn am Ende doch alles auch eine Frage der Entscheidung des Patienten sein sollte? Wichtig ist und bleibt: Wer Hilfe braucht, muss sie schnell bekommen. Das ist unsere gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung.
Nora Blum ist Co-Founder und CEO von Selfapy.