Wer den Mangel bekämpfen will, der sollte die Produktion erhöhen – darauf können sich vermutlich viele Stakeholder in der Corona-Krise einigen. Über die Strategien zur Produktionssteigerung jedoch gehen die Ansichten auseinander. Ein Vorschlag lautet: Das geistige Eigentum an den Patenten für zugelassene Covid-19-Impfstoffe solle – untechnisch gesprochen – aufgehoben werden, um in der aktuellen Notsituation eine schnelle Immunisierung der Bevölkerung zu befördern. Begründet wird dies unter anderem damit, dass die Entwicklung von Vakzinen zum Teil mit öffentlichen Geldern gefördert worden sei.
Ob eine solche Maßnahme, die in Deutschland zuletzt die Grünen und die Linkspartei gefordert haben, die beabsichtigte Wirkung erzielen würde, muss jedoch bezweifelt werden. Ein wesentlicher Grund ist nur allzu offensichtlich: Die Entwicklung von Vakzinen – und auch von Medikamenten – ist aufwendig und teuer. Sie verschlingt zahlreiche Ressourcen im Unternehmen. Zwangslizenzen können dazu führen, dass die erforderlichen Investitionen in Impfstoffe teilweise frustrierend werden. Künftig könnten Hersteller von Impfstoffen und Medikamenten deswegen weniger Anreiz haben, in die Entwicklung neuer Impfstoffe und Medikamente zu investieren, selbst wenn sie hierfür staatliche Unterstützung erhielten.
Fertigungsanlagen und Produktion aufwendig
In der aktuellen Situation wären Zwangslizenzen aus einem weiteren Grund wenig zielführend: Eine Lizenz allein befähigt bei weitem nicht zur zuverlässigen Produktion und Verteilung des Impfstoffs. Das Einrichten von Fertigungsanlagen, die Umsetzung der Produktion sowie die Organisation von Zuliefer- und Distributionsketten sind zeitaufwendig und erfordern Erfahrung mit dem jeweiligen Impfstoff. Das erforderliche Know-how jedoch wird durch eine Zwangslizenz nicht vermittelt. Es verwundert deshalb nicht, dass Zwangslizenzen, obwohl als Instrument seit vielen Jahren im Patentrecht verankert, bislang in der Praxis keine große Rolle gespielt haben.
Im Übrigen gibt es Alternativen zu Zwangslizenzen: Kooperationen, die Unternehmen auf eigene Initiative schließen. BioNTech arbeitet nach eigenen Angaben bereits mit 13 Unternehmen zusammen. Wichtigster internationaler Kooperationspartner ist Pfizer. Laut Pressemitteilung hat der französische Pharmakonzern Sanofi zugesagt, den BioNTech-Impfstoff in seinen Anlagen unter anderem in Frankfurt am Main zu produzieren und beim Vertrieb des Vakzins zu unterstützen. Gleichzeitig teilt Sanofi mit, weiterhin zusammen mit GSK und Translate Bio an eigenen Impfstoffkandidaten zu arbeiten. Anfang Februar haben CureVac, der zweite deutsche Hersteller, der wie BioNTech auf die mRNA-Technologie setzt, und Bayer eine Impfstoff-Partnerschaft bekannt gegeben.
Dies sind nur einige wenige Beispiele von Kooperationen zur Bekämpfung der Pandemie. Sie zeigen: Die Industrie hat bereits Lösungen entwickelt, um den Impfstoffmangel zu bekämpfen. Gleichwohl gibt es Risiken, gegen die weder (Zwangs-) Lizenzen noch finanzielle Zuwendungen etwas ausrichten können: Technische Probleme beim Aufbau oder im laufenden Betrieb der Produktion können jederzeit auftreten, genauso wie neue Wirksamkeits- oder Sicherheitsbedenken bei bereits zugelassenen Impfstoffen. Dagegen hilft nur eines: Die schnelle Entwicklung und Zulassung weiterer Vakzine, damit zusätzliche Hersteller Produktionsausfälle ausgleichen können. Zwangslizenzen dagegen sind in der aktuellen Situation wenig zielführend.
Dr. Ulrich Worm ist Partner im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltskanzlei Mayer Brown und Leiter der Praxisgruppe Intellectual Property.