An einem heißen Sommertag im August trat ich meinen wohlverdienten Urlaub an. Im Eifer des Gefechts überprüfte ich zugegeben etwas verspätet erst am Berliner Hauptbahnhof, ob ich die drei wichtigsten Dinge dabeihabe: Handy, Schlüssel, Portemonnaie. Das Handy hatte ich schon benutzt, um zu überprüfen, ob der Zug, der mich auf meine Lieblingsinsel bringen sollte, möglicherweise verspätet ist. Der Schlüssel war in der Reisetasche verstaut, aber das Portemonnaie fehlte.
In der modernen digitalen Welt könne man ohne Geldbeutel – also ohne Bargeld und Kreditkarten, dafür aber mit einem Handy – in den Urlaub fahren, dachte ich. Da war ich zu optimistisch: Manche Restaurants akzeptieren nur Barzahlung, andere lediglich Kreditkarten. Dort scheinen dafür die Bezahlgeräte störanfällig zu sein und erwarten die physische Kreditkarte mit PIN. Auch in viele Kneipen und Bars konnte ich nur mit Scheinen bezahlen. Das Eis am Strand ebenfalls.
Ich hatte Glück. Denn ich war mit Freunden auf der Insel, die für mich eingesprungen sind oder mich dort, wo es möglich war, mit dem Handy bezahlen ließen und mir dafür Bargeld zurückgaben. Oder ich leihte mir Geld von ihnen und überwies es sofort elektronisch zurück. Praktisch ist es auch, dass einige der lokalen Supermärkte inzwischen Cashback anbieten. So kann ich meine Einkäufe nicht nur mit dem Handy bezahlen, sondern bekomme zusätzlich ein paar Geldscheine zurück.
Ohne Portemonnaie hatte ich keine Kredit- oder Debitkarte dabei, mit denen ich am Geldautomaten Bargeld hätte abheben können. Bisher ist mir kein Automat begegnet, bei dem das vorinstallierte NFC-Feld zur Verifizierung durch Auflegen der Karte oder des Handys aktiviert war. Warum eigentlich nicht?
Ich muss also feststellen, dass ich nur mit dem Handy nicht weit komme und immer wieder in unangenehme Situationen gerate. Nicht zuletzt auch deshalb, weil hinter den Dünen oft die Netzabdeckung fehlt. Im Durchschnitt kann man laut Bundesbank in Deutschland an 94 Prozent der physischen Zahlstellen mit Bargeld und nur an 80 Prozent mit elektronischen Zahlungsmitteln bezahlen. In Bars und Restaurants sind es sogar nur 70 Prozent.
Nun wird mancher Leser an dieser Stelle denken, dass diese Geschichte auf eine Klage über die mangelnde Digitalisierung in Deutschland hinausläuft. Ich möchte aber gewissermaßen das Gegenteil erreichen und Sie dafür sensibilisieren, Bargeld zu nutzen und zu hüten. Schließlich hat auf meiner Reise an die Nordsee bis auf wenige Bezahlterminals alles funktioniert. Das Mobilfunknetz war zumindest in den größeren Orten jenseits des Strandes stabil oder strahlte von Dänemark aus. Strom gab es dank Wind und funktionierendem Stromnetz. Man konnte also mit dem Handy dort einkaufen, wo der Händler es anbot. Das muss nicht immer so sein.
Blackouts, Cyberangriffe oder einfache Softwarefehler bei den digitalen Finanzdienstleistern oder Mobilfunknetzbetreibern machen das elektronische Bezahlen sofort oder nach kurzer Zeit unmöglich. Auch wenn die Nutzung von Bargeld in Deutschland und den meisten anderen westlichen Ländern rückläufig ist, sollten wir auf dieses Zahlungsmittel nicht verzichten.
Redundanz im Geldverkehr ist für eine widerstandsfähige Gesellschaft unabdingbar. Und Redundanz bedeutet hier nicht, neben der American Express noch eine Visa oder Master Card zu besitzen. Und tatsächlich, als hätte ich es bestellt, warnt das BSI auf X während ich hier schreibe, „Bundesweite Störungen bei Kartenzahlungen“. Grund für die Störung sind laut Heise Probleme bei dem IT-Dienstleister Tele Cash und bei an diesen angeschlossenen Anbietern. Eine Cyberattacke könne nach aktuellem Kenntnisstand ausgeschlossen werden. Na immerhin diesmal nur eine technische Panne.
Besonders in Not- und Krisensituationen steigt die Nachfrage nach Bargeld sprunghaft an. In unsicheren Zeiten will man handfeste Sicherheit in Form von Bargeld bei sich haben. So ist während der Corona-Pandemie die Nachfrage nach Bargeld im Euroraum um 550 Euro pro Bürger angestiegen. Daran wird auch der digitale Euro, so er denn kommt, kaum etwas ändern.
Im Jahr 2022 werden nach Angaben der Bundesbank in Deutschland Banknoten im Wert von 61 Milliarden Euro im Zahlungsverkehr eingesetzt. Ein weitaus größerer Teil, nämlich 372 Milliarden Euro, wurde im Inland gehortet, also quasi unter dem Kopfkissen (oder besser im Safe) für schlechte Zeiten gespart. Der Umfrage zufolge bewahrten Privatpersonen in Deutschland im Jahr 2023 durchschnittlich Bargeld in Höhe von 1.417 Euro zu Hause oder im Bankschließfach auf. Im Portemonnaie hingegen befanden sich im Schnitt nur gut 100 Euro. Bei mir wäre es etwas mehr gewesen, wenn ich es denn mitgenommen hätte.
Wer also seinen persönlichen Beitrag zu mehr Resilienz leisten und sich im Krisenfall nicht nur auf Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und Bundeswehr verlassen will, sollte zum einen im Notvorrat neben Wasser und Nahrungsmittel auch Bargeld in kleinen Scheinen an einem sicheren, aber zugänglichen Ort aufbewahren. Dann ist man eben nicht nur auf Barmherzigkeit Dritter angewiesen, so wie ich bei meinen Freunden an der Nordsee, sondern der Tauschpartner hat einen marktwirtschaftlichen Anreiz. Der Zivil- und Katstrophenschutz kann sich auf andere Aufgaben konzentrieren und zumindest für Sie nicht mehr Erbseneintopf kochen.
Zum anderen sollte man ein Interesse daran haben, dass Bargeld in Zukunft als Zahlungsmittel erhalten bleibt und die dazugehörige Infrastruktur vorhanden ist. Digitales Bezahlen mag bequem, schnell und zuverlässig sein. Letzteres aber nur, wenn Daten- und Stromnetze sowie das Bezahlterminal funktionieren, eine Akzeptanz durch den Händler vorausgesetzt. Und über das Thema Anonymität im elektronischen Zahlungsverkehr und die Vorteilhaftigkeit von Bargeld brauche ich hier nicht mehr zu schreiben. Das hat Kirsten Bock an dieser Stelle ja kürzlich schon getan. Ich selbst werde in Zukunft vor (!) dem Verlassen der Wohnung den Handy-Schlüssel-Brieftaschen-Check machen.
Tim Stuchtey ist geschäftsführender Direktor des Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS).
In unserer Kolumnenreihe „Perspektiven“ kommentieren unsere Autor:innen regelmäßig aktuelle Entwicklungen, Trends und Innovationen im Bereich Cybersicherheit. Zuletzt von Tim Stuchtey erschienen: „Gleichgültigkeit, Zweifel und glaubhaftes Drohen“