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Standpunkte Globale Digitaldiplomatie 2025 – Konfrontation vs. Kooperation

Wolfgang Kleinwächter
Wolfgang Kleinwächter, Emeritierter Professor für Internationale Kommunikationspolitik und Regulierung der Universität Aarhus Foto: Promo

In den USA und der EU stehen neue Akteure an den Schaltknöpfen der globalen Digitalpolitik. Welche Einflüsse, welche Schwerpunkte können sie auf internationaler Ebene geltend machen? Was heißt das für die Digitalpolitik von G20, UNO oder BRICKS? Und was machen China und Russland? Wolfgang Kleinwächter wagt den Ausblick.

von Wolfgang Kleinwächter

veröffentlicht am 23.01.2025

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Als Ann Bradford 2023 ihr Buch „Digital Empires: The Global Battle to Regulate Technology“ veröffentlichte, identifizierte sie drei „digitale Imperien“: USA, EU und China. Zwischen allen drei Machtzentren gäbe es Bereiche der Kooperation und der Konfrontation. Da die Welt mittlerweile eine digitale Welt ist, würden sich die Auseinandersetzungen um die Gestaltung der digitalen Zukunft vertiefen und die Weltpolitik insgesamt prägen.

Wie wird sich dieses digitale Dreieck 2025 mit einem neuen US-Präsidenten und einer neuen EU-Kommission entwickeln? Wird es mehr Konfrontation geben, oder gewinnt die Kooperation wieder die Oberhand? Und wird aus dem Dreieck bald ein digitales Achteck? Indien, Brasilien, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und andere neue „digitale Imperien“ wachsen heran.

Eine neue US-amerikanische Digitalpolitik?

Bald werden wir sehen, was der Regimewechsel in Washington für die globale Internet-Governance-Debatte bedeuten wird. Die Biden-Regierung hat ein substanzielles digitales Erbe hinterlassen: Sie hat die „Erklärung zur Zukunft des Internets“ auf den Weg gebracht, unterstützte globale Initiativen zur Schaffung politischer und regulatorischer Rahmenbedingungen für KI und befürwortete den Multistakeholder-Ansatz für die Governance im digitalen Zeitalter. Sie versuchte, über den Handels- und Technologierat (TTC) eine gemeinsame Sprache mit der EU zu finden, und suchte nach neuen Partnerschaften im indopazifischen Raum mit Australien, Neuseeland, Indien, Korea und Japan.

Die Regierung Biden verabschiedete eine neue Cybersicherheitsstrategie und eine internationale digitale Strategie, die auf dem Prinzip der „digitalen Solidarität“ basiert. Sie initiierte die Ausarbeitung der „New Yorker Prinzipien“ zum Schutz von Unterseekabeln, investierte viel in eine neue Generation von KI-basierten Waffensystemen, aber drängte auch auf die Verabschiedung einer Empfehlung für die Anwendung von KI in der militärischen Sphäre. Chinas Internetpolitik stand sie kritisch gegenüber und ging gegen Tiktok und Huawei vor.

Was wird sich unter der Trump-Administration ändern? Erste Schritte und Nominierungen für neue Führungsposten deuten darauf hin, dass „Big Tech“ eine entscheidende Rolle bei „Making America Great Again“ (MAGA) spielen wird. Die CEOs von Meta, Alphabet, Apple, Microsoft und natürlich Elon Musk waren alle Ehrengäste bei Trumps Inauguration. „Big Tech“ im Weißen Haus kann Innovationen in der digitalen Welt einen neuen Schwung geben, es kann aber auch zu neuen Konfrontationen mit der EU führen, zu kontroversen Debatten innerhalb der G7, zur Ignoranz gegenüber dem, was in der UNO geschieht, und zu tieferen Konflikten mit China.

Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die neue US-Regierung bei der Überprüfungskonferenz zum UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS+20) und der Umsetzung des Global Digital Compact (GDC) positioniert. Wird Trump die neue UN-Konvention gegen Cyberkriminalität unterschreiben und der Schaffung neuer UN-Gremien für Cybersicherheit und künstliche Intelligenz zustimmen? Und wie wird die Trump-Administration dem WTO-Abkommen über digitalen Handel und dem BEPS-Abkommen der OECD/G20 mit Vorschriften für eine digitale Besteuerung großer Internet-Unternehmen umgehen? Was heißt „America First“ für die globale Digitaldiplomatie? Gibt es einen neuen amerikanischen digitalen Isolationismus? Trump präsentiert sich gerne als „Dealmaker“. Im KI-Zeitalter gibt es viele Möglichkeiten für „digitale Deals“.

Der „Brüssel-Effekt“ und die neue EU-Kommission

Und was ist mit der EU? Es gibt eine neue Kommissarin in Brüssel. Die ehemalige finnische Ministerin Henna Virkkunen hat Margarete Vestager abgelöst – die starke Dänin, die eine Geldstrafe nach der anderen gegen die großen US-Tech-Unternehmen wegen Nichteinhaltung von EU-Vorschriften verhängt hat.

2021 kündigte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, an, die EU zum „Digital Rule Maker“ zu machen. Die EU dürfe nicht passiver „Rule Taker“ sein, sondern sie müsse das „Digitale Gesetzbuch“ selber schreiben. Nach fünf Jahren kann man sagen, dass das weitgehend gelungen ist.

Das Problem ist, dass die EU zwar jetzt über ein umfangreiches digitales Regelwerk verfügt, ihr aber immer noch die starken europäischen Unternehmen auf dem globalen Markt fehlen, die mit „Big Tech“ aus den USA und China konkurrieren können. Der „Brüssel-Effekt“, der mit den EU-Verordnungen zum Datenschutz und zur Sicherheit (GDPR und NIS) begann, als viele Länder die EU-Gesetzgebung einfach kopierten, hat mit der Komplexität der Tausenden von Seiten des digitalen Regelwerks der EU an Anziehungskraft verloren. EU AI Act, Digital Service Act (DSA), Digital Market Act (DMA), Digital Resilience Act (DRA), NIS-2-Richtlinie, Data Governance Act (DGA), Media Freedom Act (MFA) und viele mehr – die schiere Menge an Rechtsakten hat zu einer Unübersichtlichkeit geführt, die immer schwieriger zu durchdringen ist.

Als im Oktober 2024 Henna Virkkunen vor dem Europäischen Parlament befragt wurde, versprach sie, nicht noch mehr Vorschriften hinzuzufügen, sondern die bestehenden Regeln zu vereinfachen. Es sei nun die Zeit für die Umsetzung der Regeln, nicht für neue Kapitel im digitalen Gesetzbuch. Vor allem wollten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments wissen, wie die EU sicherstellen will, dass die US-Tech-Unternehmen in Europa all die neuen Regeln auch befolgen. Als Marc Zuckerberg im Januar 2025 nun ankündigte, dass er das etablierte System der Inhaltsmoderation für soziale Netzwerke in den USA abschaffen würde, war daher die erste Frage in Brüssel: Und was ist mit Europa und dem DSA? Wird es Kollisionen mit dem DMA und dem EU AI Act geben? Wird der gemeinsame Handels- und Technologierat (TTC) weitergeführt? Oder führt der Neuanfang auf beiden Seiten des Atlantiks zu einer neuen transatlantischen digitalen Kontroverse?

China als „Freund des globalen Südens“

Auch Chinas Priorität wird es sein, zunächst nach innen zu schauen und die eigene Internetwirtschaft zu stärken. In der nationalen Strategie für 2030 ist Künstliche Intelligenz dabei das Thema Nummer eins. Und Peking stellt sich auf einen digitalen Handelskrieg mit den USA ein. Das hält aber China nicht davon ab, in der UNO digitale Projekte, etwa zur Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau von KI-Kapazitäten, zu starten. China präsentiert sich in New York als Unterstützer und Freund des globalen Südens.

Bei den UN-Verhandlungen über Cybersicherheit und den Global Digital Compact (GDC) nahm China im vergangenen Jahr eine moderate Position ein. Es unterstützte weder den russischen Vorschlag für ein neues Internet-Gremium in der ITU, noch lehnte es die Unterstützung des Multistakeholder-Modells im GDC ab, wie es Russland tat. China ist nun auch ein Befürworter des globale Internet Governance Forums (IGF) der UN. Im Dezember 2024, beim 19. IGF in Riad, war China zum zweiten Mal Gastgeber eines großen „Social Events“. Und die Cyber Administration of China (CAC), die direkt President Xi Jiping unterstellt ist, organisierte einen hochrangigen IGF-Workshop.

Als China vor zehn Jahren seine „Welt-Internet-Konferenz“ (WIC) in Wuzhen ins Leben rief, wurde das von einigen Beobachtern als Versuch gesehen, eine chinesische Alternative zum IGF zu schaffen. Dies hat sich geändert. Die WIC gibt es immer noch, aber sie ist keine „Weltkonferenz“ mehr, sondern mehr eine „Roadshow“ für Chinas Internetwirtschaft. China macht sich mehr und mehr in der UNO breit. Was also wird die Trump-Herausforderung mit Chinas globalpolitischen digitalen Engagement machen?

BRICS vs. G7?

Welche Folgen wird ein digitaler Handelskrieg zwischen den USA und China für die anderen, kleineren „digitalen Imperien“ haben? Brasilien ist im Jahr 2025 Präsident der BRICS. BRICS mit seinen mittlerweile zehn Mitgliedern repräsentiert mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Die Digitalminister der BRICS sind seit Jahren dabei, Projekte anzuschieben, die den „Global Süden“ in eine bessere Wettbewerbssituation bringen. Wird BRICS zu einer Herausforderung für die G7?

2024 hatte Brasilien den Vorsitz der G20 und organisierte die NetMundial+10-Konferenz in Sao Paulo. Die Internetpolitik von Präsident Lula ist dabei auf die nationalen Interessen Brasiliens ausgerichtet. „Brasilien First“ als Leitlinie zeigte sich auch an der Auseinandersetzung zwischen brasilianischen Gerichten und Elon Musks „X“.

Und dieses Herangehen, die nationalen Interessen an erste Stelle zu setzen, gilt auch für die anderen heranwachsenden digitalen Imperien wie Indien, Südafrika, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi Arabien. Saudi Arabien hatte 2021 den G20-Vorsitz, 2025 ist es Südafrika. Auch die G20 haben eine jährliche Konferenz der Digitalminister. Es wäre nicht überraschend, wenn 2025 die vom saudischen Kommunikationsminister Abdullah Alswaha beim IGF in Riad beklagte digitale Nord-Süd-Spaltung das Hauptthema würde.

All diese Ländern sind längst auf den KI-Zug aufgesprungen und haben in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Doch mit wachsender Digitalisierung wächst auch die Möglichkeit für Überwachung und Kontrolle. KI-gesteuerte Gesichtserkennung und Zensur in sozialen Netzwerken gehören dort zum digitalen Alltag, wo es keine unabhängigen Gerichte, keine unabhängigen Medien und keine starke Zivilgesellschaft gibt.

Demokratie, Autokratie oder Oligarchie?

Und was ist mit Russland? Im Dezember 2024 testete Roskomnadzor, die russische Aufsichtsbehörde für Digitalpolitik, in drei russischen Regionen, wie man sich vom globalen Internet abkoppeln kann. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ist das Internet seit jeher eine Bedrohung, die die russische Gesellschaft zu untergraben droht. Russland hätte am liebsten ein zwischenstaatliches UN-Aufsichtsgremium für das globale Internet. Und es war sehr verärgert, dass seine Bewerbung für das IGF 2025 abgelehnt wurde.

Putin will aber, dass Russland bei KI eine führende Rolle spielt. Im Oktober 2024 sagte er auf einer von der Sberbank organisierten KI-Konferenz in Moskau: „Durchbrüche auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz sind von enormer Bedeutung. Angesichts der erbitterten Rivalität zwischen den Ländern hängt Russlands Platz in der Welt, unsere Souveränität, Sicherheit und Lebensfähigkeit von den Ergebnissen ab, die wir erzielen“.

Vorhersagen, wie sich die globale Digitaldiplomatie 2025 entwickeln wird, sind schwierig. Wird es einen Dreikampf zwischen Demokratie, Autokratie und Oligarchie geben? Werden Bemühungen um den Aufbau eines globalen politischen Rahmens für die digitale Zukunft erfolgreich sein? Oder werden digitale Handelskriege und KI-Wettrüsten dominieren? Im besten Fall werden wir eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz des UN-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS+20) und neue globale Abmachungen zur Stärkung von Cybersicherheit und zur Entwicklung des digitalen Handels haben. Im schlimmsten Fall landen wir bei einem „Splinternet“, einer Zersplitterung des Internets, in dem Menschenrechte ignoriert werden und das Recht des Stärkeren herrscht.

Wolfgang Kleinwächter ist emeritierter Professor für Internetpolitik und Regulierung an der Universität Aarhus. Der Kommunikationswissenschaftler ist Internet-Governance-Experte und Mitglied des IGF.

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