Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wird von Verteidigungsstrategen gebannt verfolgt, da sich die Kriegsführung verändert hat. Unbemannte Systeme, Computing Power und Künstliche Intelligenz ergänzen den Kampf und werden manchmal sogar als primäre Wirkmittel eingesetzt. Die Lehre für Staaten, die bewaffnete Konflikte der Zukunft überstehen möchten, ist eindeutig: Streitkräfte müssen innovativ sein.
Es ist offensichtlich, dass die konservative Kultur von Armeen, die auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet sind, selten Raum für Innovationsgeist bietet. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Amir Peretz, der sich für die Entwicklung eines Raketenabwehrsystems einsetzte, um die aus dem Gaza-Streifen abgefeuerten Raketen abzufangen. Er wurde von der Generalität massiv kritisiert. Sie argumentierte, dass das System niemals schnell genug sein würde, um Raketen abzufangen, und dass es zu teuer sei. Da Peretz kein General war, könne er die Problematik nicht verstehen. Peretz setzte sich durch. Das System wurde Iron Dome genannt, erwies sich als äußerst effektiv und schützt Israel bis heute erfolgreich vor Kurzstreckenraketen.
Die Lehre daraus ist: Eine innovative Armee muss eng mit Unternehmen zusammenarbeiten, insbesondere mit Start-ups, den Paradebeispielen der „schöpferischen Zerstörung“. Allerdings stehen Start-ups, die sich für den Verteidigungssektor interessieren, vor mehreren Problemen.
Herausforderungen für junge Unternehmen
Zum einen gibt es naturgemäß sehr wenige Kunden im Verteidigungsbereich, und diese Kunden sind oft kompliziert. Denn Bürokraten favorisieren langwierige Prozesse, hassen Ausnahmen und betrachten Innovationen skeptisch. Bei Ausschreibungen können beispielsweise bestimmte Umsatzanforderungen, Unternehmensgröße oder bereits durchgeführte ähnliche Aufträge verlangt werden, was Start-ups keine guten Ausgangschancen bietet. Da die Auftragsvergabe auch ein zeitaufwändiger Prozess ist, melden Start-ups eher Insolvenz an, bevor sie einen Zuschlag erhalten.
Ein weiteres Problem für Start-ups ist die Finanzierung. Viele Investoren zögern, in Defense-Unternehmen zu investieren. Institutionelle Anleger schließen oft aus, Kredite für Unternehmen im Verteidigungsbereich zur Verfügung zu stellen. Die ursprünglichen Pläne der EU-Kommission, den Bereich Verteidigung in der sozialen Taxonomie als nicht-nachhaltig einzustufen, waren sicherlich nicht hilfreich, obwohl mittlerweile eine Kehrtwende in Brüssel erkennbar ist. Diese pazifistische Einstellung ist weltfremd.
Ein weiteres Problem besteht in der gesellschaftlichen Distanz zum Militär. Diese Kluft führt zu einem Mangel an Verständnis, Unterstützung und effektiver Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivilbevölkerung. Universitäten haben sogenannte Zivilklauseln unterzeichnet, in denen sie sich verpflichten, nur für zivile Zwecke zu forschen. Unternehmen haben ihre Verteidigungsbereiche ausgegliedert. Dabei entstehen Start-ups oft aus diesen Einrichtungen, aus forschungsstarken Universitäten und aus Kooperationen mit Unternehmen. Für Start-ups ist ein funktionierendes Ökosystem von großer Bedeutung, aber dieses fehlt in Deutschland.
Beschaffungsprozesse vereinfachen
Wie können wir also mehr Start-ups im Verteidigungsbereich fördern? Die Antwort ist komplex, aber hier biete ich einige Impulse.
Erstens: Die Beschaffungsprozesse müssen radikal vereinfacht werden. Es ist notwendig, Beschaffungsprozesse konsequent zu digitalisieren und die Komplexität und Anforderungen bei Ausschreibungen drastisch zu reduzieren. Dazu gehören Maßnahmen wie die Einführung einer digitalen Beschaffungsakte, die Schaffung digitaler Bieterprofile, schlankere und schnellere Entscheidungswege sowie die Bereitschaft der Beamten, Verantwortung zu übernehmen.
Obwohl dieser erste Punkt klein und unscheinbar erscheint, ist er von größter Bedeutung. Start-ups haben weder Zeit noch Ressourcen, um die langwierigen Prozesse eines Vergabeverfahrens zu bewältigen, sie haben Schwierigkeiten, die komplexen Ausschreibungen zu entschlüsseln oder den Nachweis von Referenzprojekten zu erbringen. Die aktuellen Bedingungen errichten eine Mauer zwischen den Streitkräften und den Start-ups.
Institutionen finanziell stärken
Zweitens: Die institutionelle Förderung muss finanziell gestärkt und ausgeweitet werden. Obwohl die Agentur für Sprunginnovationen (Sprind), die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit (Cyberagentur) und der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr auf dem Papier gut aufgestellt sind, sind sie immer noch gefesselt. Während der Cyber Innovation Hub strenge Kriterien für geförderte Projekte festlegt, sind die beiden Agenturen durch das Vergaberecht eingeengt. Die Sprind befreien wir momentan zumindest von ein paar Fesseln. Deutschland benötigt allerdings nichts weniger als eine deutsche Version der amerikanischen Darpa.
Kapital, technisches Gerät und Räumlichkeiten sind zwingende Voraussetzungen für die ersten Schritte eines Start-ups. Daher sollte die Förderung im Verteidigungssektor auch kreative Wege nutzen, um junge Unternehmerinnen und Unternehmer für die Bedürfnisse der Streitkräfte zu gewinnen.
Drittens: Der Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) muss explizit Mittel für innovative Projekte bereitstellen. Oft scheitern Projekte, die bereits erfolgreich ein Minimal Viable Product (MVP) entwickelt haben, daran, dass keine Haushaltsmittel für die Einführung in die Truppe vorhanden sind. Wenn ein Start-up, der Cyber Innovation Hub oder die Abteilung Innovation Management des IT-Dienstleisters BWI etwas Innovatives entwickelt hat, das für die Streitkräfte nützlich ist, sollte es nicht an der Finanzierung scheitern. Ein solcher Innovationstitel ist übrigens bereits im Haushalt unserer französischen Freunde verankert, daher wird es Zeit, dass wir nachziehen.
Wissenschaft stärker einbinden
Viertens: Das Potenzial der wissenschaftlichen Einrichtungen und der Gründergeist von Forscherinnen und Forschern sollten für unsere Verteidigung genutzt werden. Dieses Potenzial kann durch proaktive Maßnahmen des BMVg geweckt werden, beispielsweise durch Hackathons, Wettbewerbe, eine verstärkte Kommunikation und Ansprache, Förderung von Ausgründungen sowie ein proaktives Screening von Forschungsvorhaben. Darüber hinaus sollten Universitäten verstärkt auf das militärische Potenzial von Forschungsprojekten achten und diese gezielt fördern.
Es bleibt festzuhalten, dass die Kooperation der Streitkräfte mit innovativen Start-ups für unsere Sicherheit von großer Bedeutung ist. Nun gilt es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die besten Innovationen für die Verteidigung unserer Freiheit zu gewinnen.
Alexander Müller ist Verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Obmann im Verteidigungsausschuss.