Der Datenverkehr verläuft größtenteils durch die weltweite Seekabelinfrastruktur. Die Übertragung größerer Datenmengen über Satelliten ist derzeit noch ausgeschlossen: Höhere Paketlaufzeiten und Kosten sowie größere Störungsanfälligkeiten sprechen gegen eine grundlegende Verlagerung ins Extraterrestrische.
Seekabel vor (hybriden) Bedrohungen schützen
Umso wichtiger erscheint es die Kritische Infrastruktur der Seekabel zu schützen. Vor allem Einwirkungen durch menschliches Handeln (Schifffahrt oder Fischerei), Sabotage (so beispielsweise im Oktober 2022 bei Aix-en-Provence in Frankreich) und Spionage (wie die nachrichtendienstliche Operation Ivy Bells 1971) lassen sich verhindern.
Die Infrastruktur ist mittlerweile auch ein ausgewiesenes Ziel von hybriden Bedrohungen im Rahmen von Abschreckungsstrategien und Prozessverzögerungstaktiken. Immer mehr Nationen nehmen Seabed Warfare (Kriegsführung am Meeresboden) daher in ihre strategischen Überlegungen auf. Zugleich rüsten sie ihre militärischen Fähigkeiten entsprechend auf. Vor allem zwischen China, Russland und den USA ist ein Wettrüsten entstanden. So hat China unbemannte Unterwasserfahrzeuge (UUV) für größere Tiefen in Dienst gestellt, Russland verfügt über tiefseetaugliche nuklear betriebene U-Boote und die USA entwickeln derzeit innerhalb des Projektes Cognitive Lethal Autonomous Weapons System die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in UUV.
Big Tech und die Datenkontrolle
Außerdem bereitet eine andere Entwicklung zunehmend Sorgen. Die Big-Tech-Konzerne wie etwa Alphabet, Meta, Amazon oder Huawei investieren enorm in die Erneuerung und den Ausbau der Kabelinfrastruktur. Prognosen zufolge könnte der Eigentumsanteil von US-Tech-Konzernen in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf 80 Prozent anwachsen. Zugleich geht man von einem Marktanteil chinesischer Unternehmen bis 2030 in Höhe von circa 20 Prozent aus. Europäische Unternehmen (bis auf Nokia und Orange) und die Europäische Union investieren bisher wenig in die Kabelinfrastruktur unter Wasser. Dies verdeutlicht: Europa ist stark auf Kabelinfrastruktur von nicht europäischen Tech-Unternehmen angewiesen.
Diese Unternehmen – von denen vor allem Huawei eine extrem enge staatliche Nähe aufweist – können den Verkehr überwachen und den Datenfluss kontrollieren. Größere Datenübertragungsraten rücken perspektivisch ebenfalls stärker in den Vordergrund des Wettbewerbs um die Kabelinfrastruktur. Denn Daten suchen sich immer den schnellsten Weg. Wer demnach Leitungen mit einer höheren tatsächlichen Datenübertragungsrate baut, kann in kürzerer Zeit mehr Daten durch die eigene Kabelinfrastruktur leiten.
Kritische Infrastruktur besser überwachen
Immerhin beabsichtigt das Bundesinnenministerium (BMI), den Übergang von Seekabeln zu nationalen Netzen in die Kritisverordnung aufzunehmen – kurz gesagt: mehr digitaler Schutz. Dem All-Gefahren-Ansatz, nach dem alle Arten von Gefahren wie Naturkatastrophen, technologische Gefahren, kinetische Einwirkungspotenziale und problematische Abhängigkeiten mitgedacht werden, wird hierbei allerdings noch nicht Rechnung getragen. Deutschland und Europa brauchen ein umfassendes Schutzkonzept.
Die maritime Infrastruktur verläuft über Landesgrenzen hinweg und durch verschiedene ausschließliche Wirtschaftszonen europäischer Länder. Durch vollumfängliche Lagebilder über Satellitenaufzeichnung, Unterwasserüberwachung sowie Patrouillen kann sich ein Überblick über Aktivitäten verschafft, äußere Eingriffe verhindert, Angriffe erkannt und gegebenenfalls zugeordnet werden. Für die Überwachung unter Wasser kann die Kabelinfrastruktur mit Seitensichtsensoren, Infrarotkameras, Flächenecholoten oder mit akustischen Sensorsystemen (Distributed Acoustic Sensoring) ausgestattet werden.
Nur über eine europäisch koordinierte Zuständigkeitsverteilung kann die Infrastruktur gemeinschaftlich geschützt und die Betreiber beim Schutz unterstützt werden. Hierbei müssen die Fähigkeiten der Deutschen Marine und Polizei ausgebaut und eng verknüpft werden. So bedarf es vor allem mehr U-Boote, Flottendienstboote oder UUVs, wie die Seekatze, sowie Polizeihubschrauber. Ungeachtet dessen, wäre auch eine verstetigte Einbindung der Nato in Schutz und Überwachung der Infrastruktur – etwa über eine Anti-Submarine Warfare – denkbar. Erhöhte Wachsamkeitsaktivitäten (enhanced Vigilance Activities) reichen nicht aus.
Da ein 100-prozentiger Schutz völlig unmöglich ist, bedarf es auch des Aufbaus von Redundanzen. Europa sollte vermehrt eigene Investitionen in die Kabelinfrastruktur anstreben. Über eigene europäische Satellitentechnik müsste zudem eine Notdatenübertragung garantiert werden.
Durch die konsequente End-to-End-Verschlüsselung der Kommunikation können zumindest im Zeitalter vor der Quantum-Kryptographie Spionagemöglichkeiten verringert werden.
Die Bedeutung der Kabel ist unumstritten. Zum Totalausfall der Datenübertragung kam es noch nicht, zu groß sind bisher noch die Ausweichmöglichkeiten des Datenverkehrs innerhalb des Infrastrukturnetzes. Doch nimmt die Vulnerabilität zu und die Abhängigkeit Europas von wenigen Big-Tech-Unternehmen verschärft sich. Noch ist es nicht zu spät, um die Infrastruktur proaktiv zu schützen, die Abhängigkeiten zu verringern und das Risiko zu diversifizieren.
Ferdinand Gehringer ist Experte für Cybersicherheit in der Abteilung Internationale Politik und Sicherheit der Konrad-Adenauer-Stiftung