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Standpunkte Daseinsvorsorge revisited?

Gerald Swarat, Leiter des Berliner Kontaktbüros am Fraunhofer-Institut IESE
Gerald Swarat, Leiter des Berliner Kontaktbüros am Fraunhofer-Institut IESE Foto: Foto: Paul Probst

Wie soll Daseinsvorsorge in einer digitalisierten Welt aussehen? Wie kann die Politik es schaffen, gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Einwohnerinnen und Einwohner zu schaffen – egal, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen? Smart-City-Experte Gerald Swarat hat Ideen für das neue Regierungsprogramm gesammelt.

von Gerald Swarat

veröffentlicht am 02.11.2021

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Daseinsvorsorge ist den Ampel-Parteien offenbar wichtig. Das war schon im Sondierungspapier zu lesen. „Wir wollen für gute Lebensbedingungen in Stadt und Land sorgen. Gerade in den ländlichen Räumen gilt es, die Daseinsvorsorge zu stärken. Bürgerinnen und Bürger sollen ihren Alltag in ihrer Region gut leben können“, heißt es dort. Diese Kernbotschaften sind im Papier völlig zu Recht an prominenter Position festgehalten. Einerseits geht es dabei um die Bereitstellung beziehungsweise Organisation digitaler Infrastrukturen wie leitungsgebundenes, aber auch mobiles Breitbandinternet als Aufgabenbereich der Daseinsvorsorge. Andererseits aber auch darum, wie wir in einer digitalisierten Welt Daseinsvorsorge weiterschreiben müssen – und zwar im Sinne von Zugang und Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen, von Chancengerechtigkeit und Zukunftsperspektive, gerade auch auf dem Land.

SPD, FDP und Grüne haben erkannt, dass sich die Daseinsvorsorge wie die Welt auch im Wandel befindet. Und um dem Rechnung zu tragen, sollte eine neue Bundesregierung zunächst Vorannahmen treffen, aus denen sie dann Strategien ableiten kann. Das wären beispielsweise:

  • Die gestaltende Rolle des Staates anerkennen und wahrnehmen: Es ist eine öffentliche Aufgabe, den Rahmen zu setzen und Verantwortung für Ziele zu übernehmen. Wer innerhalb dieses Rahmens die Daseinsvorsorge herstellt, ist eine andere Frage. Das kann die Kommune sein, das kann auch über Ehrenämter passieren. Aber die Debatte muss aktiv geführt werden.
  • Nachhaltigkeit als Prämisse der Daseinsvorsorge in einer digitalisierten Welt definieren: Dienste der Daseinsvorsorge heute und in Zukunft werden immer in der Balance der Nachhaltigkeit zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem entwickelt werden müssen. Hinzu kommt als viertes Merkmal der Nachhaltigkeit die Technologie selbst.

Aus diesen Vorannahmen lassen sich nun konkrete Ideen entwickeln, die in einem Regierungsprogramm auftauchen könnten.

Dazu gehören zum Beispiel:

  • Daseinsvorsorge neu definieren: Es braucht ein Konzept, das es ermöglicht, einen definierten Kernbereich von digitalen Angeboten und Leistungen für die Menschen in ganz Deutschland vorzuhalten.
  • In regionalen Beteiligungsformaten die Fragen diskutieren: Was sehen wir als Gemeinschaft als digitale Aufgabenbereiche des Staates an? Um was soll sich der Staat digital kümmern, was soll er bereitstellen, bereitstellen lassen oder aktiv unterstützen? Hier geht es darum, innovative Prozesse und Formate gesamtgesellschaftlicher Foresights zu etablieren, um beständig neu zu eruieren, was Daseinsvorsorge für die Menschen ist und wie sich neue Technologien darauf auswirken. Das wird erstmals umfassend möglich durch die Digitale Transformation (Analytik, Daten, Kommunikationstechnologien) und den damit verbundenen methodischen Wandel zu individualisierten, nutzerfokussierten Managementansätzen.
  • Fortsetzung des Förderprogrammes „Smart Cities made in Germany“ des Bundesinnenministeriums: Dabei sollte der Schwerpunkt auf Daten im Sinne einer souveränen und nachhaltigen Datennutzung für die lebenswerte Stadt der Zukunft liegen.
  • Ein neues Förderprogramm für die Umsetzung von digitalen Diensten der Daseinsvorsorge: Das sollte im Sinne des Open-Government-Prinzips die Entscheidung über die Use Cases der Bevölkerung vor Ort übertragen und übersichtlich dokumentieren.
  • Daseinsvorsorge in regionalen Ökosystemen als kommunale Wirtschaftsförderung und Regionalentwicklung verstehen: Das geschieht beispielsweise durch die Förderung sozialer Innovationen in ländlichen Räumen, wie Coworking-Spaces, plattformbasierter Lösungen wie dem Dorffunk, Experimentierräumen wie dem Verschwörhaus in Ulm, Bildungseinrichtungen wie dem Campus für lebenslanges Lernen in Osterholz-Scharmbeck oder Projekten wie „SeniorTrainerInnen“ in Schleswig-Holstein. Denn Lebenslanges Lernen und moderne Lehrangebote und Lernorte sind ein Motor, um die Wettbewerbsfähigkeit der Kommunen als Wirtschaftsstandort zu sichern, Fachkräfte anzuziehen, Älteren die Chance zu geben, sich weiterzubilden und zu engagieren sowie Zugezogene bestmöglich zu integrieren. All das zahlt auf die Resilienz der Kommunen ein und ist somit ein innovatives Werkzeug der Regionalentwicklung.

Widmen wir den ländlichen Regionen unsere Aufmerksamkeit

Einen Schwerpunkt auf die Daseinsvorsorge in der digitalen Welt zu setzen, stünde der Koalition gut an und ist zugleich ein Thema, mit dem Menschen positive Signale gesendet werden können. Die Bundestagswahlen haben noch einmal verdeutlicht, dass ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung das Gefühl hat, an den großen Fortschrittserzählungen der digitalen Moderne nicht teilzuhaben und aus dem Blickfeld der Politik zu geraten.

Insbesondere den ländlichen Regionen gilt es, große Aufmerksamkeit zu widmen. Wäre unser Land nicht um ein Vielfaches ärmer und weniger vielfältig ohne die lokalen Tradierungen, Dialekte, Erzeugnisse und Eigenarten? Ein Großteil der KMU und Hidden Champions finden sich in ländlichen Regionen und auch der Großteil der Bevölkerung in Deutschland lebt und arbeitet außerhalb der großstädtischen Ballungszentren. Daseinsvorsorge und die Sicherung der gleichwertigen Lebensverhältnisse sollten der Kitt sein, der unsere Gesellschaft im Umbruch in das Digitale Zeitalter mit all den großen und kleinen Krisen, Komplexitäten und Ungewissheiten zusammenhält.

Gerald Swarat ist studierter Historiker und Germanist. Er leitet das Berliner Kontaktbüro des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE). Im Jahr 2018 veröffentliche er das Buch „Smartes Land – von der Smart City zur Digitalen Region“. Er ist Gründungsmitglied und Co-Vorsitzender des Vereins Co:Lab, ein Denklabor für Gesellschaft & Digitalisierung.

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