Ein Staat, der nicht funktioniert, verliert seine Legitimation. Diese Einsicht hat sich über Parteigrenzen hinweg durchgesetzt. Die Wahlprogramme von CDU, SPD und Grünen zeigen, dass es eine übergroße Koalition für dieses entscheidende Zukunftsthema gibt. Eine Staatsreform, die mit der Verwaltung beginnt, wird damit zum Kernprogramm jeder kommenden Koalition.
„Für die Herausforderungen im Heute und Morgen wollen wir unseren Staat besser aufstellen und bieten dafür den demokratischen und föderalen Partnern die Hand für eine Staatsreform“, so formulieren es die Grünen – und auch wenn CDU und SPD diesen Begriff vermeiden, eint sie doch der Pragmatismus, mit dem sie diese zentrale Zukunftsfrage angehen und letztlich doch an einer Staatsreform arbeiten.
Wirkungswoche für den Haushalt
Wesentliche verbindende Elemente aus den drei Wahlprogrammen sind die Stärkung der Rolle der Kommunen im komplexen föderalen Gefüge, ein Gesetzgebungsprozess, der die „kommunale Praxiserfahrung“ berücksichtigt, wie es bei der CDU heißt; eine One-Stop-Verwaltung, wie es die SPD vorschlägt; und eine Deutschland-App, mit der wichtige staatsbürgerliche Angelegenheiten wie die Beantragungen eines Personalausweises oder die Ummeldung der Wohnung bequem erledigt werden können.
Die grundlegenden Veränderungen verstecken sich dabei hinter eher neutralen Formulierungen. Wenn die CDU etwa von „wirkungsorientierter Haushaltsführung“ spricht, dann bedeutet das in der Umsetzung einen radikalen Bruch mit der bisherigen Praxis: Die einzelnen Ressorts müssen im Haushaltsausschuss im Zuge einer Wirkungswoche darlegen, wie ihre Programme auf die im Kabinett gesetzten Ziele einzahlen, um Gelder aus dem Haushalt für das Folgejahr zu bekommen. Unterschiedliche Haushaltstitel, die auf das gleiche Wirkungsziel einzahlen, müssen zukünftig strategisch ineinandergreifen. Einheiten, die nicht überzeugend darlegen können, wie sie auf eines der Wirkungsziele einzahlen werden und keine Basisfunktion erfüllen, werden aufgelöst.
Neue staatliche Logik
Es geht bei all dem nicht nur darum, das staatliche Arbeiten zu verändern – sondern um eine neue staatliche Logik: Die Genehmigungsfiktion etwa ermöglicht schnellere und sichere Planung, was für Industrie und Mittelstand wichtig ist genauso wie etwa für staatliche Bauvorhaben. Die Missionsorientierung, die die SPD in die Diskussion bringt, ermöglicht ein sehr viel ziel- und wirkungsorientiertes staatliches Handeln – so sieht es auch die CDU, die auch die Digitalisierung nutzen will „für eine strategischere und stärker datenbasierte Politik“ und insgesamt einen „lernenden Staat“ will.
Das alles ist nicht selbstverständlich – es ist schon eine kleine Sensation. Noch vor kurzem waren Staat und Verwaltung eher Randthemen der politischen Debatte, wenn überhaupt. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs – übersehen wurde dabei, dass es schon zahlreiche Ideen und Initiativen aus der Verwaltung selbst gibt, die an der Zukunft des Staates arbeiten. Die Kommission, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu dem Thema Staatsreform eingesetzt hat, gibt dem Ganzen nochmal etwas Gravitas – die Dynamik in Richtung wirkungsvolle Praxis aber kommt nun durch die Parteien.
Kann der Staat flexibel, digital und menschlich sein?
Fügt man die Vorschläge aus den Wahlprogrammen zusammen, dann ergibt sich das Bild eines ziemlich anderen, sehr viel besseren Staates – ein vorausschauender, ermöglichender Staat, der zugleich präsent ist und flexibel, digital und menschlich. Ein bürgerzentrierter Staat, der seine Praxis vom Einzelnen aus denkt – das Gegenteil eines hierarchischen Staates der immer noch Wilhelminischen Tradition. Ein Staat für das 21. Jahrhundert, der experimentiert und Fehler macht und dabei transparent und zugänglich wird.
Die Vorschläge gehen auch sehr konstruktiv in eine andere Richtung als die Staatsskepsis manch anderer Parteien – es ist mehr von Umbau die Rede als von Abbau. CDU, SPD und Grüne machen klar, dass der Staat eine zentrale Rolle spielen muss in den kommenden Transformationsprozessen, die durch den Klimawandel, die technologische Revolution und den demographischen Wandel auf uns zukommen. Es wird eine andere Gesellschaft sein, die auch einen anderen Staat braucht. Die Rolle der Parteien wird dabei ergänzt durch eine starke Zivilgesellschaft.
Das wesentliche Element eines solchen Staates ist die Gestaltung, die durch klare Zielsetzung erfolgt, durch eine flexible und ergebnisorientierte Prozesssteuerung und durch messbare Wirkung – die wiederum in die Zielsetzung einfließt. Es ist ein Staat, der ständig kommuniziert, in Feedback-Schlaufen innerhalb der Verwaltung und mit der Gesellschaft als Ganzes. Ein Staat auch, der ein attraktiver Arbeitgeber ist – das Beamtenrecht ist eines der großen Themen, das die Parteien bislang vermeiden, genauso wie eine konkrete Aussage zu einer anderen Form des Föderalismus.
Kommunen eine Stimme geben
Aber es ist mehr als ein Anfang. Es ist ein Paradigmenwechsel, weil diese Parteien begriffen haben, wie entscheidend es ist, dass der Staat sich der Logik unserer Zeit anpasst – umgekehrt klappt es eher schlecht. Die nächsten Schritte sind nun in den Koalitionsverhandlungen zu machen, die Basis ist gelegt. Die Fragen bleiben groß: Wie können Kommunen anders finanziert werden? Sollen die Kommunen eine Stimme im Bundesrat bekommen oder anders ihren Interessen Gehör verschaffen?
CDU, SPD und Grüne haben mit dem Bekenntnis zu einer grundlegenden Staatsreform nun aber auch die Verantwortung, dieses entscheidende Demokratieprojekt umzusetzen. Die Zeit drängt, die richtige Arbeit beginnt nach den Wahlen. Dafür braucht es politischen Mut. Auch und gerade von den Kanzlerkandidaten.
Tiaji Sio und Arne Treves sind Mission Leads „Reform“ bei Project Together, einer gemeinnützigen Organisation für gesellschaftliche Transformation. Philipp von der Wippel ist Geschäftsführer bei Project Together.