Die Bundesregierung wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres die von ihr angekündigte „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ (kurz: Zukunftsstrategie) im Kabinett beschließen und der Öffentlichkeit präsentieren. Ein Jahr der aktuellen Legislaturperiode wird bis dahin schon vergangen sein. Ich hoffe, dass die verschiedenen Ministerien diese lange Vorbereitungszeit dazu genutzt haben, in enger Abstimmung eine umfassende Forschungs- und Innovationsstrategie aus einem Guss zu entwickeln. Ein Stückwerk aus Textbausteinen würde den Ansprüchen an eine moderne Forschungs- und Innovationspolitik nicht gerecht und wäre mir nicht ambitioniert genug.
Mit Missionen zu Innovationen
Wir stehen vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen: Klimawandel, Verlust biologischer Vielfalt und die demografische Entwicklung. Die Zeit drängt. Deshalb muss die Bewältigung dieser Herausforderungen im Zentrum der geplanten Zukunftsstrategie stehen. Ohne technologische und soziale Innovationen wird es uns nicht gelingen, die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse in der erforderlichen Geschwindigkeit voranzubringen und sie sozial verträglich sowie ökonomisch tragfähig zu gestalten.
Zur Verdeutlichung möchte ich ein fiktives Beispiel heranziehen. Eine Mission könnte sein, dass eine bestimmte Anzahl von Modellkommunen bis 2030 Klimaneutralität erreicht. Diese Mission soll dann, im Rahmen einer missionsorientierten Politik durch Forschungs- und Innovationsprojekte, möglichst technologieoffene Fördermaßnahmen und geeignete Rahmenbedingungen verfolgen.
Wenn es in der Forschungs- und Innovationspolitik um die Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen geht, ist eine missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik das Mittel der Wahl. Was ist damit gemeint? Bei diesem Politikansatz werden sogenannte Missionen formuliert, die messbare Ziele enthalten.
Was die Politik jetzt tun muss
Die Regierungsparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer missionsorientierten Politik bekannt. Ich erwarte nun von der Bundesregierung, dass sie in der Zukunftsstrategie ganz konkret aufzeigt, wie sie diesen Ansatz umsetzen und zum Erfolg führen will.
Eine erste Aufgabe besteht darin, ein geeignetes Verfahren zur Formulierung von Missionen zu etablieren. Aus der Zukunftsstrategie sollte hervorgehen, wie dies zeitnah geschehen soll. Ich erwarte, dass die verschiedenen Ministerien dabei eng zusammenarbeiten und Formate zur Einbindung der Gesellschaft einsetzen. Es ist sinnvoll, bei der Formulierung von Missionen verschiedene Akteursgruppen, Bürgerinnen und Bürger sowie Länder und Kommunen einzubeziehen. Missionen können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie von den politisch Verantwortlichen, breiten Teilen der Gesellschaft und vor allem auch von den durch die Missionen direkt Betroffenen getragen werden.
Bei der missionsorientierten Politik gilt es, politische Maßnahmen auf die konkreten Ziele der gewählten Aufgabe zuzuschneiden. Und hier kommen wir zu einem ganz entscheidenden Punkt: Es genügt nicht, allein auf einzelne forschungs- und innovationspolitische Maßnahmen zu setzen. Wir brauchen vielmehr einen inhaltlich, zeitlich und räumlich aufeinander abgestimmten Mix an Maßnahmen, der politikfeldübergreifend angelegt ist. Das heißt, die verschiedenen Ministerien müssen Hand in Hand arbeiten.
Dies zeigt auch mein fiktives Beispiel: Um in einer Kommune Klimaneutralität zu erreichen, müssen bei vielen unterschiedlichen Akteuren Forschungs- und Innovationsaktivitäten angestoßen werden. Neue Lösungen müssen aber nicht nur entwickelt, sondern auch in die Anwendung gebracht werden. Hieran scheitert es oft. So sind viele für die Klimaneutralität wichtige Technologien und Geschäftsmodelle eigentlich marktreif, setzen sich aber nicht durch, weil die Rahmenbedingungen – wie etwa steuerliche Regelungen oder der CO2-Preis – nicht stimmen.
Quantensprung durch funktionierende Koordinierung
Ich möchte bei meinem Beispiel gar nicht weiter ins Detail gehen, sondern wieder den Bogen zur Zukunftsstrategie schlagen. Wenn die Bundesregierung ihr Bekenntnis zu einer missionsorientierten Politik ernst nimmt, muss sie einen echten Qualitätssprung bei der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ministerien erreichen. Nur so wird es möglich sein, den Zuschnitt von Fördermaßnahmen und die Ausgestaltung von Rahmenbedingungen enger als bisher miteinander zu verzahnen. Das heißt, die Zukunftsstrategie muss unbedingt auch Aussagen dazu enthalten, welche Strukturen und Prozesse die Bundesregierung etablieren will, um die – für die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen – notwendige Politikkoordination zu gewährleisten.
Die bevorstehenden Veränderungsprozesse eröffnen neue Marktchancen für Unternehmen, werden aber auch in nicht unerheblichem Maße dazu führen, dass heute gängige Technologien und Geschäftsmodelle an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Ein solch tiefgreifender Strukturwandel kann nur aus einer Position der ökonomischen Stärke heraus erfolgreich bewältigt werden. Daher muss sich Deutschland als Innovationsstandort behaupten. Und das bedeutet, dass die Bundesregierung mit der Zukunftsstrategie neben der Verfolgung konkreter Missionen auch eine Reihe von Querschnittsaufgaben anzugehen hat.
Schlüsseltechnologien stärken, Resilienz erhöhen
Die Position Deutschlands in zentralen zukunftsweisenden Technologiefeldern – den sogenannten Schlüsseltechnologien – sollte gestärkt werden, denn hier besteht derzeit die Gefahr, international abgehängt zu werden. Zu den Schlüsseltechnologien gehören zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI), Robotik und Nanotechnologie. Die Zukunftsstrategie und die spezifischen Technologieprogramme wie etwa die Digitalstrategie und die Strategie Künstliche Intelligenz sind eng aufeinander abzustimmen. Die Bundesregierung sollte in der Zukunftsstrategie zudem darlegen, wie sie die Schlüsseltechnologien gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten voranbringen will, um die Kräfte auf diesem Feld zu bündeln.
Im Zuge der aktuellen geopolitischen Entwicklungen und der zunehmenden Gefahr, international in bedrohliche ökonomische Abhängigkeiten zu geraten, stellen sich Fragen der technologischen beziehungsweise digitalen Souveränität in einem neuen Licht. Es bedarf deshalb besonderer Maßnahmen und Anreize, die eigenen Kapazitäten in Deutschland zu erhöhen sowie einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Die Zukunftsstrategie hat sich explizit diesem Problembereich zu widmen.
In gleicher Weise ist die Resilienz der Wirtschaft im Allgemeinen und des Forschungs- und Innovationssystems im Besonderen mit Blick auf externe Schocks und krisenhafte Entwicklungen zu verbessern. Auch hierauf hat die Zukunftsstrategie einzugehen.
Fachkräfte und Innovationsakteure mobilisieren
Das Thema Fachkräftemangel wird in den kommenden Jahren weiter an Brisanz gewinnen. Die Zukunftsstrategie sollte Aussagen dazu enthalten, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen wird, um vorhandene Fachkräfte besser zu mobilisieren, um die berufliche Anpassungsfähigkeit zu stärken und um vermehrt ausländische Fachkräfte zu gewinnen.
Der Kreis der Personen, Unternehmen und Institutionen, die Innovationen hervorbringen, ist in den letzten Jahren kleiner geworden und muss wieder verbreitert werden. Die Antwort darauf, wie die Bundesregierung all dies erreichen will, sollte ebenfalls in der Zukunftsstrategie enthalten sein.
Last, but not least: Politikhandeln muss angesichts der Komplexität der anstehenden Aufgaben agiler werden. Ich erwarte, dass die Bundesregierung in der Zukunftsstrategie darlegt, auf welche Weise sie zu mehr Agilität kommen möchte. Es gilt, nicht nur schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Agiles Politikhandeln ist auch proaktiv, bindet relevante Akteure ein, überprüft die eingeleiteten Maßnahmen kontinuierlich und passt sie gegebenenfalls an. Es geht letztendlich um eine kluge Balance zwischen langfristiger Planung und kurzfristiger Anpassung.
Uwe Cantner ist Vorsitzender der, von der Bundesregierung eingesetzten, Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre/Mikroökonomik an der Universität Jena.