Der Güterverkehr in Europa ist (noch) eine Welt des Papiers. Denn der Datenaustausch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert: Transportinformationen werden überwiegend in Papierform niedergelegt und kontrolliert. Die Kontrollaufgaben teilen sich in Deutschland das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM), die Landespolizei und der Zoll. Einen Rahmen für den digitalen Austausch von Frachtbeförderungspapieren in und zwischen den 27 Mitgliedsländern gab es bislang nicht.
Im Juli 2020 erließen das Europäische Parlament und der Rat der EU die sogenannte eFTI-Verordnung (EU) 2020/1056 über elektronische Güterverkehrsinformationen. Das Kürzel eFTI steht für Electronic Freight Transport Information. Am 21. August 2024 trat die vier Jahre junge eFTI-(Durchsetzungs-)Verordnung in Kraft.
Der Gesetzesentwurf schafft den dringend benötigten Rechtsrahmen, der die digitale Übermittlung von Informationen über die Beförderung von Gütern im Straßen-, Schienen- und Luftverkehr sowie auf Binnenwasserstraßen innerhalb der EU zwischen den Wirtschaftsbeteiligten und Vollzugsbehörden möglich macht. Auf den Punkt gebracht: eFTI schafft Rechtssicherheit im digitalen öffentlichen Raum! Denn jeder der 27 EU-Staaten kann andere Transportdokumente und -nachweise verlangen. eFTI zielt darauf ab, das Dokumentationschaos bei grenzüberschreitenden Verkehren innerhalb der EU zu digitalisieren und zu vereinheitlichen.
eFTI kann 27 Milliarden Euro einsparen
Dies bringt sowohl den Behörden als auch den Logistikunternehmen erhebliche Vorteile. Nach Schätzungen der EU-Kommission lassen sich durch eFTI allein bei den Verwaltungskosten im Bereich Verkehr in den kommenden 20 Jahren bis zu 27 Milliarden Euro einsparen. Spürbar wird dies für Logistiker etwa bei Kontrollen des Güterverkehrs durch die zuständigen Behörden der EU-Staaten.
Denn der Austausch, die Sichtung und die Prüfung von Papierdokumenten gestalten sich im Tagesgeschäft äußerst zeitintensiv: Die Kontrolle eines ausländischen Lkw kann 45 Minuten, wenn nicht länger dauern. Sind sämtliche relevanten Transportdaten zukünftig mit einem Mausklick verfügbar, dauern die Kontrollen nur noch wenige Minuten. Schneller wird durch den eFTI auch die Arbeit von Polizei und Feuerwehr: Wenn zum Beispiel ein Lkw havariert, können sie in Zukunft sämtliche Daten zum Fahrzeug und seiner Ladung digital abrufen und umgehend die richtigen Maßnahmen einleiten.
Datenaustausch über eFTI-Plattformen
Das alles klingt schön und gut – ist aber von einem harmonisierten und vertrauenswürdigen Informations- und Kommunikationstechnikumfeld abhängig. Nur dann lassen sich Transportdaten zwischen Behörden und Logistikunternehmen sicher und reibungslos austauschen. Angestachelt von der eFTI-Durchsetzungsverordnung arbeiten die Mitgliedsstaaten der EU bereits mit Hochdruck an der technischen Umsetzung. Im Mittelpunkt steht hierbei die Architektur für den Datenaustausch.
Grundsätzlich sollen Unternehmen in Zukunft sogenannte „eFTI-Plattformen“ betreiben. Dort sind behördenrelevante Informationen gespeichert. Die Behörden selbst werden „eFTI-Gates“ entwickeln, die ihnen den Zugriff auf die Plattformen ermöglichen. Jede Plattform eines Unternehmens ist genau mit einem Gate verbunden, über das die Kommunikation mit verschiedenen Behörden läuft. Die Transportinformationen verbleiben dabei auf der Plattform und können nur in klar definierten Prüffällen von Behörden eingesehen werden.
Kein Unternehmen darf draufzahlen
Die neuen technischen Vorkehrungen rund um eFTI stellen für Logistikunternehmen durchaus einen Eingriff in ihre bisherige Praxis dar. Viele von ihnen – allen voran die größeren – verfügen bereits über eine funktionierende Softwarearchitektur für Transportdokumente. Warum sollten sie nun eine neue Lösung einführen, für die sie erhebliche interne (IT-)Ressourcen aufwenden oder bei externen Softwareanbietern einkaufen müssten?
Ganz einfach: Der eFTI soll für alle da sein – für große wie kleine Unternehmen. Unter den Speditionen und Logistikdienstleistern gibt es neben den internationalen Konzernen viele kleine und mittlere Unternehmen. Daher muss die Umsetzung der eFTI-Verordnung für alle Unternehmen in der Logistik praktikabel sein – egal, welche Ausgangsposition sie haben. Keiner darf draufzahlen!
Mitgestaltung via Open-Source – Beispiel eCMR
Unternehmen jeder Größe haben nun eine riesige Chance, den künftigen eFTI-Prozess selbst mitzugestalten und frühzeitig zu implementieren. Und das nicht allein, sondern zusammen. Erklärtes Ziel ist es, dass gemeinsam kompatible Systeme auf europäischer Ebene geschaffen werden.
Eine aktuelle Blaupause für ein solches Vorgehen ist der digitale Frachtbrief (eCMR) im internationalen grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr. In einem Projekt der Open Logistics Foundation arbeiten 20 Unternehmen und Organisationen an einer Open-Source-Lösung für den digitalen Frachtbrief. Das Besondere ist, dass hier Marktbegleiter zusammenwirken – Großkonzerne sowie kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) als auch IT-Dienstleister aus dem Bereich Logistik. Durch freie Open-Source-Komponenten ist die Teilhabe von Unternehmen jeder Größe möglich: Niemand wird ausgeschlossen!
eFTI gibt eCMR massiven Rückenwind
Die Digitalisierung des eCMR vereinfacht es der Logistik, auch die Anforderungen der neuen eFTI-Verordnung zu erfüllen. Es gilt an diesem Punkt jedoch klar festzustellen: Die eFTI-Verordnung deckt die Digitalisierung von privatwirtschaftlichen Beförderungsdokumenten wie dem eCMR nicht ab. Doch sie verleiht der Einführung des digitalen Frachtbriefs massiven Rückenwind. Schließlich werden durch die eFTI-Verordnung neue Datenstandards geschaffen und die Komplexität der zu entwickelnden technischen Lösungen verringert.
Am besten und am einheitlichsten lässt sich dies mit Hilfe von Open-Source umsetzen. So auch im Großforschungsprojekt „Silicon Economy“ des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, geleitet vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, einem strategischen Partner der Open Logistics Foundation.
Open-Source-Teamwork statt europäischer Alleingänge
Im Rahmen der Entwicklungsarbeit werden bereits Grundlagen für eine Open-Source-Lösung geschaffen: Genauer eine exemplarische Umsetzung einer eFTI-Plattform am Beispiel des eCMR. Der digitale Frachtbrief wird dabei genutzt, um automatisch Daten für die eFTI-Schnittstelle zu liefern.
Dieser deutsche Open-Source-Ansatz ist längst kein Alleingang mehr. Im Forschungsprojekt „eFTI4EU“ haben sich inzwischen neun EU-Länder zusammengefunden, die eine gemeinsame Architektur vorantreiben wollen – und diese als Open-Source-Software veröffentlichen wollen. Nicht nur die Unternehmen, auch die Behörden der Mitgliedsstaaten müssen untereinander zusammenarbeiten. Dies beschleunigt die Umsetzungszeiten enorm.
Es sind keine 27 Einzellösungen gefragt. Mit Hilfe von Open-Source lassen sich die Grundkomponenten vereinheitlichen. Etwa die Implementierungen eines eFTI-Datenmodells und eines eFTI-Gates. Es braucht Schnittstellen, damit sich jedes Unternehmen an die eFTI-Gates andocken kann. Und Open-Source ist ein wichtiger Hebel dafür, dass sich eFTI wirklich verbreitet. Fest steht: eFTI ist eine Grundvoraussetzung für die weitere Digitalisierung der Branche und wird sich nicht mehr aufhalten lassen!
Co-Autor: Raoul Wintjes, Leiter internationaler Straßengüterverkehr beim Bundesverband Spedition und Logistik