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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Plan für ein gemeinsames Automobilunternehmen der Europäischen Union

Gereon Meyer, Abteilungsleiter Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung bei der VDI/VDE Innovation und Technik GmbH
Gereon Meyer, Abteilungsleiter Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung bei der VDI/VDE Innovation und Technik GmbH Foto: promo

Der EU-Aktionsplan für die Autoindustrie sieht ein „Joint Undertaking“ vor, wie es schon im Luftverkehrs- und Halbleiterbereich existiert. Dieses Instrument könnte eine stärkere inhaltliche Mitsprache und finanzielle Beteiligung der Mitgliedstaaten erfordern. Gleichzeitig würde es einen Impuls für die Weiterentwicklung des Automobils durch Software- und Hardwareinnovationen setzen – ein Schritt, der angesichts des Wettbewerbs mit China und den USA längst überfällig ist.

von Gereon Meyer

veröffentlicht am 10.03.2025

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Die Insider der europäischen Automobil- und Zulieferindustrie waren schon ein bisschen nervös, als EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas am Mittwoch vergangener Woche in Brüssel den Aktionsplan für die Automobilbranche vorstellte. Dabei war die größte Neuigkeit ja eigentlich bereits vorher bekannt geworden: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst hatte schon am letzten Montag verkündet, dass Autohersteller zwei Jahre mehr Zeit bekommen würden, um die in diesem Jahr verschärften CO2-Flottengrenzwerte einzuhalten.

Doch das 19-seitige Dokument, das im Rahmen des Ende Januar gestarteten Strategiedialogs zur Zukunft der Automobilindustrie entstanden ist, enthält weit mehr: mehrere Maßnahmenpakete von Digitalisierung über Sicherung der Lieferketten bis Fachkräfteentwicklung – offenkundig unter Zeitdruck gestrickt, aber allesamt mit brisantem Inhalt.

Beim ersten Durchblättern dürften sich einige daran erinnert haben, dass von der Leyen vor ihrer CO2-Ankündigung zunächst von Innovationen als Schlüsselfaktor „zu allem“ für die europäische Autoindustrie gepocht hatte. Sie war da überraschend konkret geworden: Europa brauche einen „big push“ für Software und Hardware autonomer Fahrzeuge.

Passend dazu räumt der Aktionsplan der Säule „Innovation und Digitalisierung“ höchste Priorität ein. Geplant sind große Testfelder für autonomes Fahren in Städten und über Landesgrenzen hinweg, Reallabore für praxisnahe Erprobung unter Gewährung von gesetzlichen Ausnahmen und eine neue „Allianz für vernetzte und autonome Fahrzeuge“, die auf den europäischen Partnerschaften CCAM und 2Zero für automatisierte beziehungsweise emissionsfreie Fahrzeuge sowie der Initiative für softwaredefinierte und mit Chips unterstützte Fahrzeuginnovationen aufbaut.

Eine Milliarde Euro für das Auto der Zukunft

Eine Milliarde Euro will die EU in den Jahren 2025 bis 2027 gemeinsam mit der Industrie in Forschung und Innovation für das Auto der Zukunft stecken. Die Insider lässt das kalt – wer sich mit den seit Langem geplanten europäischen Förderbudgets für Batterietechnologie für Elektrofahrzeuge, Chips und Software und Start-ups auskennt und einen Taschenrechner zur Hand hat, ist nicht überrascht.

Was jedoch für Erstaunen sorgt, ist der Plan, die verschiedenen Innovationspartnerschaften unter einem „Joint Undertaking“ (JU) zusammenzufassen. Das wäre eine neue Dimension der Zusammenarbeit: ein europäisches Unternehmen für Automobilinnovation, gemeinsam getragen von der EU, der Industrie und möglicherweise den Mitgliedstaaten. Ein für die Automobilindustrie relevantes JU existiert bisher nur im Bereich Halbleiterchips, alle anderen Themen werden in den schlankeren Partnerschaften des aktuellen, siebenjährigen Forschungsrahmenprogramms Horizon Europe gefördert.

Dieser Punkt sorgt für Unruhe, denn Horizon Europe läuft bald aus, und die Debatte über dessen mögliche Nachfolge ab 2028 ist in vollem Gange. Schon der Bericht des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit brachte übergreifende Förderinstrumente für Innovationen wie ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) für Automotive-Innovationen ins Spiel. Allerdings war dieses als Ergänzung zu den bestehenden Partnerschaften gedacht – nicht als deren Ersatz.

Ein Auto-JU hingegen bedeutete einen Paradigmenwechsel, und zwar in zumindest dreifacher Hinsicht:

1. Innovationspolitisch:

Ein Auto-JU könnte Forschung, Entwicklung und Erprobung neuer Technologien strategisch vereinen und Synergien schaffen, die das Automobil aus Europa neu definieren. Das ist dringend nötig: Während in den USA Robotaxis mit Unterstützung durch Künstliche Intelligenz die Städte erobern und BYD aus China selbst den preisgünstigsten Kleinwagen mit automatisierten Fahrfunktionen ausstattet, stellt sich die Frage: Was hat Europa zu bieten? Der massive Einsatz von Software, KI und Daten und der dazu passenden, zentralen Chips- und Elektronikarchitektur wäre dafür sicher essenziell und von einzelnen Unternehmen nur schwer allein zu stemmen.

2. Organisatorisch:

Die Einrichtung eines JU ist kein Selbstläufer. Sie erfordert einen Ratsbeschluss nach 187 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), für den eine detaillierte Governance-Struktur, feste Finanzierungszusagen der Partner und eine strategische Forschungsagenda vorgelegt werden müssen. Das setzt umfangreiche Abstimmungen im Vorfeld und ein gutes Erwartungsmanagement voraus. Die bisherigen Automotive-Partnerschaften CCAM und 2Zero waren im Vergleich dazu schlanker und wohl auch weniger bürokratisch.

3. Europapolitisch:

Ein JU könnte neben der EU-Kommission auch die Mitgliedstaaten als finanzierende Partner einbinden. Das wäre fair, da die Länder aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen nicht gleichermaßen von einer Automobil-Förderung profitieren. Beim Chips-JU funktioniert das – aber es braucht einen starken politischen Willen und ausreichend nationale Mittel. Die Abstimmung der Ziele, Themen und Budgets könnte herausfordernd werden, denn der europäische Automobilsektor ist vielfältig fragmentiert.

Noch steht das Auto-JU unter dem Vorbehalt der Festlegungen für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union, aber sollte es kommen, dann ginge es für die Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie ums Eingemachte: Welche einzigartigen Wettbewerbsvorteile wollen sie zusammen entwickeln? Welche Kundenerwartungen soll eine europäische Innovationsstrategie gezielt ansprechen? Und welche technischen Lösungen – insbesondere im Bereich Software und Hardware – lassen sich gemeinsam, kosteneffizient und mit Open-Source-Ansätzen zur Marktreife bringen?

Im Vergleich zu den Investitionen der Firmen in Forschung und Entwicklung sind öffentliche Fördermittel immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das würde auch für das Auto-JU gelten, aber ohne eine offene Zusammenarbeit im Innovations-Ökosystem bleibt die Vision eines digital gestützten „gemeinsamen Autobauens“ in Europa, wie es der Aktionsplan skizziert, eine Utopie.

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