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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Warum sechs von zehn Partnerschaften scheitern

Constantin Gall, Leiter der Automotive Practice für die Region Europa bei EY
Constantin Gall, Leiter der Automotive Practice für die Region Europa bei EY Foto: promo

Kooperationen sind mehr denn je „mission critical“, um in einer sich global verändernden Industrie erfolgreich bestehen zu können. Damit Partnerschaften gelingen und Teil der DNA eines Unternehmens werden, sind fünf Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen.

von Constantin Gall

veröffentlicht am 11.04.2023

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Die Zeiten sind unbeständig und voller Veränderungen. Die jüngsten geopolitischen Umwälzungen haben vor allem eines ausgelöst: Unsicherheit. Auch die Automobilbranche bekommt diese Veränderungen zu spüren. Verschärfte Emissionsvorschriften, logistische Störungen und ein grundlegender Wandel der Verbraucherbedürfnisse stellen die Zulieferer seit geraumer Zeit vor Herausforderungen.

Die Automobilindustrie hat jedoch schnell reagiert und ihre Strategien angepasst. Wo früher Konkurrenz und Übernahmen an der Tagesordnung und Partnerschaften selten waren, hat sich das Verhältnis grundlegend gewandelt. Laut einer Studie von EY, die mehr als 1500 Partnerschaften im Automobilzuliefererumfeld untersucht hat, ist die Zahl der Kooperationen seit 2016 kontinuierlich gestiegen. 

Mittlerweile kommen auf eine Übernahme oder Fusion bereits sieben Partnerschaften. Dabei geht die Branche nicht nur vermehrt Partnerschaften mit großen Playern und Start-ups aus angrenzenden Technologiebereichen ein, sondern zunehmend auch mit Unternehmen aus gänzlich „artfremden“ Branchen – und sogar mit direkten Wettbewerbern. 

Zur Wahrheit gehört aber auch: Obwohl immer mehr Partnerschaften geschlossen werden, halten nicht alle, was sie versprechen. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche der größten Namen der Branche kostspielig getrennt. Einige waren nicht in der Lage, Gewinne zu erzielen oder es gab Unstimmigkeiten hinsichtlich der gemeinsamen Strategie. 

Andere wiederum trennten sich, um schließlich doch ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Und natürlich hat die Pandemie den Druck von außen erhöht. Die Analyse von Finanzberichten, Presseartikeln und einer Vielzahl von Expertenkommentaren zu den Partnerschaften zeigt, dass mehr als die Hälfte der eingegangenen Partnerschaften – 60 Prozent – scheitern. 

Partnerschaften als Katalysator der Transformation

Die Gründe für neue Allianzen sind spannend und vielfältig. Ob es darum geht, dem Ende des Verbrennungsmotors, schnelleren Produktzyklen, veränderten Kundenbedürfnissen und gestörten Lieferketten zu begegnen oder neue Umsatzströme und Geschäftsmodelle zu etablieren – gemeinsame Anstrengungen zahlen sich aus.

Einige Zulieferer suchen gemeinsam nach Lösungen für Umweltprobleme, andere beschäftigen sich mit Digitalisierung, Datensicherheit und Datenschutz. Partnerschaften sind der Schlüssel, um Innovationen voranzutreiben und den Wandel zu beschleunigen. Eine Umfrage unter Führungskräften der Branche hat ergeben, dass 60 Prozent der Befragten bereits mit der Umsetzung ihrer Pläne für den technologischen Wandel begonnen haben, wobei mehr als die Hälfte auf Partnerschaften setzt.

Ohne Vorbereitung keine Partnerschaft

Was braucht es also, damit Unternehmenskooperationen auf Dauer erfolgreich sind? Gewinner erkennt man zumeist bereits am Start. Deswegen ist es notwendig, die Partnerschaft von Anfang an ganzheitlich bis zum Ende zu denken. Fünf Grundsätze sollten beachtet werden, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit funktioniert.

Die wichtigsten Fragen, die sich ein Unternehmen stellen sollte, bevor es eine Partnerschaft eingeht, sind, ob diese mit seiner Vision und seinen Zielen übereinstimmt und ob eine Partnerschaft der beste Weg ist, diese Ziele zu erreichen. Ist man sich darüber im Klaren, muss genügend Zeit in die Vorbereitung investiert werden. 

Unternehmen sollten so früh wie möglich an ihrer Attraktivität beziehungsweise „Kompatibilität“ arbeiten. Dazu können sie bereits vor der Partnerschaft selektiv zielgerichtete Strukturen und Prozesse erarbeiten, die sie bestmöglich für die angestrebte Partnerschaft und deren Erfolg vorbereiten. Das schafft bei potenziellen Partnern Vertrauen und steigert die eigene Attraktivität.

Gemeinsame Ziele als entscheidender Erfolgsfaktor

Neben wirtschaftlichen Faktoren wie Umsatz- und Ergebniswachstum, geografischer Reichweite und Stärkung der technologischen Kompetenz sollten bei der Auswahl von Kooperationspartnern auch gemeinsame Werte in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG), digitale Reife und geopolitische Risiken sowie insbesondere Übereinstimmung in der Unternehmenskultur berücksichtigt werden. 

Vor allem Letzteres wird häufig immer noch unterschätzt: Denn selbst wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen, kann eine unterschiedliche Unternehmenskultur das Scheitern einer Kooperation bedeuten. 

Das effektive Zusammenspiel aller Aspekte erleichtert die Entwicklung einer gemeinsamen Vision und damit verbundenen klaren KPIs und einer klaren Governance für die Partnerschaft – es gilt, tragfähige und gemeinsame Grundsätze zu definieren, ohne dabei die eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren. Ein ungewohnter, aber bedeutsamer Aspekt ist es, von Anfang an festzulegen, wie die Zusammenarbeit enden soll. Soll es eine Liquidation, einen Börsengang oder eine unbefristete Fortsetzung der Partnerschaft geben?

Der letzte Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen Partnerschaft ist die Umsetzung der gemeinsamen Vision in eine konkrete Governance, Prozesse und Abläufe, was häufig auch eine klare Abnabelung des Partnerschaftsvehikels von den beteiligten Mutterunternehmen bedeutet; dies ist später allzu oft einer der größten Konfliktherde. Eine funktionierende Kooperation erfordert auch die Harmonisierung unterschiedlicher Unternehmenskulturen, Vertrauen und Wertschätzung für die Leistungen des Partners sowie Investitionen in das Partnerschaftskonzept.

US-Unternehmen sind aufgeschlossener

Es wird deutlich: Partnerschaften im Automobilsektor haben das Potenzial, die Leistungsfähigkeit beider Seiten zu steigern. In Zeiten zunehmenden Wettbewerbs bieten solche Kooperationen die Chance, Herausforderungen gemeinsam zu meistern und Innovationen voranzutreiben. Vorhandene Ressourcen – seien es operative oder Kapitalressourcen – können bestmöglich skaliert werden, um die sich aus der Transformation ergebenden Chancen verstärkt zu nutzen oder Risiken selektiv zu minimieren. 

Mittelfristig wirkt sich dies auch auf die finanzielle Performance aus, was in Zeiten eines disruptiven Marktumfeldes eine wichtige Komponente für die Zukunftsplanung ist. Wer Partnerschaften noch skeptisch gegenübersteht, tut gut daran, kurzfristig und grundlegend umzudenken, um nicht hinter der Konkurrenz zurückzufallen, sondern als Vorreiter in die Zukunft zu gehen – vor allem im internationalen Vergleich tun sich US-Unternehmen wesentlich leichter damit. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund jüngster geopolitischer Maßnahmen wie der IRA in den USA oder der zunehmenden Abschottung des chinesischen Marktes. 

Mitautoren: Kevin Rebbereh und Sebastian Binder (beide EY)

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