Standpunkte Klimaschutz in der Landwirtschaft muss ernsthaft angegangen werden




Klimaschutz wird in der Landwirtschaft bislang ungenügend adressiert. Es ist zu befürchten, dass sich daran in Deutschland auch in den nächsten vier Jahren wenig ändern wird. Warum das dramatisch wäre, und was in dieser Legislatur dringend angegangen werden muss, erläutern Konstantinos Tsilimekis und Felix Domke von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch in ihrem Standpunkt.
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Jetzt kostenfrei testenIm Wahlkampfgetöse und während der Koalitionsverhandlungen der letzten Wochen fand ein Thema auffällig wenig statt: der menschengemachte Klimawandel. Klimaschutz zur Eindämmung der mittlerweile unübersehbaren katastrophalen Folgen ist jedoch kein „Nice-to-have“, sondern zuallererst auch eine rechtliche Verpflichtung.
Maßgeblich ist in Deutschland das Klimaschutzgesetz, das die internationalen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auf nationale Klimaschutzziele herunterbricht: Treibhausgas-Neutralität bis zum Jahr 2045, mit Zwischenzielen zur Minderung der Emissionen um 65 Prozent bis 2030 und um 88 Prozent bis 2040.
Ebenfalls festgelegt wurden spezifische Sektorziele, die auch nach der zweiten Novelle des Klimaschutzgesetzes im Jahr 2024 weiterhin klare Richtschnur sind: Die Emissionen der Landwirtschaft sind bis zum Jahr 2030 auf 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu reduzieren. Das entspricht einer Reduktion von rund einem Drittel gegenüber dem Niveau von 1990 und ist das am wenigsten ambitionierte Minderungsziel aller Sektoren.
Wie ist der Stand?
Im Jahr 2023 entfielen laut offizieller Emissionsberichterstattung 63 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente auf den Sektor Landwirtschaft. Das entspricht gut neun Prozent aller deutschen Emissionen. Auf den Sektor Landnutzung und Landnutzungsänderung entfallen noch einmal 44 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. In dem Sektor sind beispielsweise die Emissionen erfasst, die entstehen, wenn Grünlandflächen umgebrochen oder Moore entwässert werden. Zusammen verursachen beide Sektoren 107 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente oder 16 Prozent der deutschen Emissionen.
Dabei macht Methan den Hauptanteil der Emissionen im Landwirtschaftssektor aus, maßgeblich durch die Verdauungsprozesse in der Tierhaltung und das Wirtschaftsdüngermanagement. Zwar liegt der Sektor damit derzeit noch innerhalb des Minderungspfades des Klimaschutzgesetzes bis 2030. In den letzten Jahren nahmen die Emissionen jedoch nur noch unwesentlich ab.
Wenig überraschend ist daher der relative Anteil der Landwirtschaft an den Gesamtemissionen Deutschlands von knapp sieben Prozent im Jahr 1990 inzwischen deutlich gestiegen. Und er wird auch künftig noch dramatisch zunehmen: So wird die Landwirtschaft ab dem Jahr 2044 voraussichtlich der Sektor mit den höchsten Treibhausgas-Emissionen sein.
Damit wäre sie in naher Zukunft für den größten Teil der Restemissionen verantwortlich, die aufwändig und teuer kompensiert werden müssen. Besonders alarmierend ist darüber hinaus, dass auch der Landnutzungssektor, der als einziger Sektor zugleich als Quelle und als Senke von Treibhausgasen wirkt, nach aktuellem Stand seine Ziele deutlich verfehlen wird: In den letzten Jahren zeigt sich ein klarer Wechsel von der Senke zur Quelle.
Die Implikationen? Die Landwirtschaft wird noch deutlich stärkere Minderungen realisieren müssen, da andernfalls die deutsche Klimaneutralität 2045 nicht erreicht werden kann.
Was oft übersehen oder zu einfach übergangen wird: Die Gesamtemissionen des Ernährungs- und Landwirtschaftssystems sind insgesamt sehr viel höher, als hier beschrieben. Wenn auch bislang keine offiziellen Berechnungen jenseits der starren sektoralen Grenzen des Klimaschutzgesetzes vorliegen, so weisen valide Schätzungen, die auch die Emissionen durch Futtermittelimporte, von landwirtschaftlichen Betrieben bezogene Vorleistungen (etwa Dünger, Ausrüstung), den Transport, die Lagerung und die Verarbeitung von Lebensmitteln miteinrechnen, mit einem Anteil von 26 Prozent bis 33 Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands deutlich über die bislang offiziell erfassten Mengen hinaus.
Klar ist aber auch abseits davon: Es wird in allen Sektoren von entscheidender Bedeutung sein, die Treibhausgas-Emissionen so schnell wie möglich auf null zu reduzieren. Das Absurde? Für die Landwirtschaft existieren bislang noch nicht einmal sektorspezifische Ziele für den Zeitraum nach 2030. Wann die Bundesregierung diese definiert? Unbekannt. Welchen Beitrag Landwirtschaft und Ernährung leisten sollen? Unklar.
Was ist zu tun?
Um der klimapolitischen Relevanz des gesamten Landwirtschafts- und Ernährungssystems gerecht zu werden, sollten also schnellstmöglich ambitionierte jährliche Emissionsminderungsziele für die Landwirtschaft ab 2031 bestimmt und mit effektiven Maßnahmen hinterlegt werden.
Die wichtigsten Stellschrauben wurden längst wissenschaftlich herausgearbeitet. Demnach sollte die neue Bundesregierung vor allem den Umbau der Tierhaltung angehen, verbunden mit einem Konzept für die deutliche Reduktion und auch besseren Verteilung der Tierbestände, einem verlässlichen Finanzierungsmodell sowie einer Förderung pflanzlicher Proteinproduktion und weiterer alternativer zukunftstragender Einkommensmodelle für Landwirt:innen.
Zugleich muss die neue Regierung auch auf der Nachfrageseite entschieden vorgehen und nachhaltigere Ernährungsweisen voranbringen, die insbesondere mit einem reduzierten Konsum tierischer Produkte einhergehen. Hierbei müssen endlich Kulturkämpfe überwunden werden, wie sie zuletzt vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder – wiederholt – ausgelöst wurden.
Stattdessen gilt es zuallererst nachhaltigere Ernährungsumgebungen und damit verbesserte Zugänge zu pflanzlicheren Angeboten zu schaffen. Mit einer schrittweisen Abschaffung der klimaschädlich wirkenden Mehrwertsteuerermäßigung auf tierische Produkte und zugleich einer niedrigeren Besteuerung pflanzlicher Lebensmittel könnten wirkungsvolle Anreize für eine klimaschonendere und auch gesündere Ernährung gesetzt werden.
Eine weitere enorm wichtige klimapolitische Maßnahme ist produktionsseitig die Wiedervernässung von Mooren, für die mit der im Koalitionsvertrag festgehaltenen Verstetigung des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz eine gute Grundlage geschaffen wurde, wenngleich noch ehrgeizige, explizite Ziele zur Wiedervernässung fehlen.
Was steht im Koalitionsvertrag?
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung lässt für Landwirtschaft und Ernährung keinen hochambitionierten Klimaschutz erkennen. Insbesondere für den Bereich der Tierhaltung liegen konsensfähige Vorschläge der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft auf dem Tisch. Es ist unverständlich, warum der Koalitionsvertrag nur unkonkret davon spricht, auf „vergangenen und laufenden Dialogprozessen aufbauen“ zu wollen.
Die angedachte Förderung des Umbaus der Tierhaltung mit 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ist zwar prinzipiell begrüßenswert, jedoch wurde der Umbau bislang nicht in einen klaren Klimaschutzrahmen eingeordnet, was eben auch die Abstockung von Tierbeständen erfordert und von einer nachhaltigeren Ernährungspolitik flankiert werden muss. Dies darf gerade auch hinsichtlich des agrarpolitisch oft gebrachten Aspekts der Planungssicherheit nicht ausbleiben.
Bei all dem muss das Rad nicht neu erfunden werden: das Chancenprogramm Höfe oder auch die Ernährungsstrategie der vergangenen Bundesregierung bieten gute Ansatzpunkte, die aufgegriffen werden könnten. In jedem Fall jedoch sollte der neue Landwirtschaftsminister Alois Rainer eine umfassende und integrierte Landwirtschafts- und Ernährungsstrategie auf den Weg bringen und dabei nicht zuletzt auch wirkliche Chancen und Zukunftsperspektiven für Landwirt:innen schaffen. Es braucht Weitsicht – und politischen Gestaltungswillen.
Die europäische und internationale Ebene
Landwirtschaft und Ernährung finden nicht national isoliert statt. Durch globale Lieferketten, Importe und Exporte bestehen vielfältige internationale Verknüpfungen. Die Transformation unserer Ernährungssysteme – mit dem übergreifenden Ziel der Ernährungssicherung innerhalb der planetaren Grenzen – erfordert eine globale Verständigung über die Notwendigkeit von Emissionsreduktionen.
Dafür sollte sich die Bundesregierung einsetzen und unter anderem in der EU ein ambitioniertes neues Klimaziel unterstützen, mit dem speziell auch das europäische Ernährungssystem adressiert wird. Im Juni findet die Zwischenkonferenz der UNFCCC-Vertragsstaaten in Bonn statt. Im November 2025 folgt die Weltklimakonferenz COP30 in Belém/Brasilien, auf der große Hoffnungen ruhen.
Um das angestrebte Ziel der Treibhausgasneutralität in Deutschland bis zum Jahr 2045 vorbildhaft und mit konstruktiven Impulsen in die Weltgemeinschaft zu erreichen, darf die klimagerechte Ausgestaltung des eigenen nationalen Ernährungssystems nicht ausbleiben. Alois Rainer, sind Sie dabei?
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