Umbau ist nicht leicht. Natürlich kann man einfach Unzufriedenheit ausdrücken und es dabei belassen. Ich finde, das reicht nicht. Die ehemaligen CDU-Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und Julia Klöckner sind an der Aufgabe, die Nutztierhaltung umzubauen, gescheitert – und das lag nicht allein an ihnen. Massiver Lobbydruck von Verbänden und Industrie, die unterschiedlichsten Vorstellungen in der Politik, all das hat den Umbau eines jahrzehntelang zementierten Systems verhindert. Es kam also nicht von ungefähr, dass das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) so spät vor der letzten Bundestagswahl eingerichtet worden war und nur ein freiwilliges System vorschlagen sollte.
In der aktuellen Regierung haben wir uns nun mit Nachdruck auf den Weg gemacht, weil wir Bauernfamilien nicht weiter vertrösten, sondern ihnen Perspektiven bieten wollen. Zwischen dem Schreiben von Konzepten und ihrer Umsetzung liegen allerdings noch mal Welten: die Aufteilung in detaillierte Gesetze und Verordnungen, Notifizierung in der EU, Bundesratsverfahren – soweit zustimmungspflichtig – sowie die kurz- und langfristige Sicherstellung, dass bei den Produzent:innen eine ausreichende Honorierung ankommt. Jetzt ist im Gesetzblatt verkündet: Die Tierhaltungskennzeichnung kommt.
Mehr Fokus auf tier- und artgerechte Haltung
Das tut auch Not, denn die Herausforderungen, denen tierhaltende Betriebe sich jetzt stellen müssen, werden immer größer. Jüngere Tierhalter:innen fragen sich, ob und wie sie den Betrieb weiterführen sollen. Über Jahrzehnte hat die Agrarindustrie mit leider breiter politischer Unterstützung dafür gesorgt, dass sich die Tierhaltung an vermutlich erzielbaren Preisen auf dem Weltmarkt ausrichtet, statt sich an tier- und artgerechter Tierhaltung und Qualitätskampagnen zu orientieren.
Die Betriebe wurden größer, die Gewinnmargen kleiner. Das Trimmen auf Wachstum für den Weltmarkt und die ökonomische Abhängigkeit bei den Preisen hat sich als Irrweg herausgestellt. Die Nachfrage nach tierischen Produkten nimmt zudem ab. Die Akzeptanz der Kund:innen auch. Die Ausdehnung des Futtermittelanbaus in Südamerika vernichtet Regenwald und heizt die Erderwärmung an. Zudem sind diese Anbaugebiete akut großer Trockenheit ausgesetzt. Allein in Europa werden auf 70 Prozent der Ackerflächen Futtermittel für Tiere angebaut. Scharfe Konkurrenz um Anbauflächen wird daher sicher kommen. Denn derzeit verursacht die Herstellung von tierischen Produkten rund 17 Prozent aller Treibhausgase der EU.
Weniger Tiere und höhere Standards
Es ist also klar, dass wir all das umkehren müssen: Ohne eine Reduktion der Tierzahlen werden wir die Ziele des Klimaabkommens nicht erreichen können. Umso mehr müssen wir jetzt zeigen, wie wir in den ländlichen Räumen gerade die bäuerlichen Betriebe und einen hohen Tierschutzstandard für die Zukunft unterstützen.
Ja, dieses Gesetz regelt noch nicht alles. Das wurde aber auch nicht behauptet. Wir gehen jetzt schrittweise los, denn oft führt der Versuch, alles auf einmal zu schaffen, am Ende zu gar nichts. Ich vermute, manche hätten das auch gerne.
Statt in einem riesigen Gesamtpaket wieder alles zu zerreden, gehen wir also systematisch vor. Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz ist nun im Bundesgesetzblatt – so weit waren wir beim Umbau der Tierhaltung noch nie! Der Zug fährt. Das Gesetz hat die europäische Notifizierung und den Bundestag erfolgreich durchlaufen. Es schafft Fairness für die, die schon besser arbeiten und einen gangbaren Weg für die anderen.
Niemand soll sich verstecken können oder mit unzutreffenden Werbebildern einen Wettbewerbsvorteil haben. Die Kund:innen – egal ob Endverbraucher*innen oder Gastronomie – sollen erkennen, wofür sie mehr Geld ausgeben. Wer am Markt teilnimmt, hat das Recht auf volle Information.
Es reicht nicht aus, die Wertschätzung bäuerlicher Arbeit mit Worten zu beschwören. Aufgabe von Politik ist es, Wege gangbar zu machen, den Mut für Entscheidungen zu haben.
Blaupause und erste Schritte für den Umbau
Der erste Schritt des Umbaus ist getan. Die Blaupause ist da. Mit frischem Schweinefleisch wird begonnen. Die Gruppen Stall, Stall plus Platz, Frischluft, Auslauf/Weide und Bio sind gesetzt. Ja, mir reicht es auch nicht, dass Stall plus nur noch 12,5 Prozent mehr Platz hat – statt wie ursprünglich angedacht 20 Prozent. Wenn ein Koalitionspartner aber darauf besteht, lasse ich deshalb nicht das ganze Projekt scheitern. Die eine Milliarde Euro im Bundeshaushalt wird nun gezielt eingesetzt für Frischluft, Auslauf/Weide und Biohaltung. Sie bekommen investive Mittel und einen regelmäßigen Ausgleich für den laufenden Mehraufwand. Das ist der Kern.
Noch dieses Jahr folgt in einer ersten Novelle, dass Ferkel einbezogen werden, sprich der gesamte Lebenszyklus. Hört sich leicht an, dahinter stecken aber behördliche Prozesse, betriebliche Entscheidungen, strukturelle Änderungen. Unser Kennzeichen wird längst auch in Dänemark aufmerksam diskutiert, weil sie ihre Ferkelproduktion – zum Beispiel mit der Abschaffung der betäubungslosen Kastration – danach ausrichten möchten, um weiterhin in den deutschen Markt exportieren zu können. Ebenso sollen verarbeitete Produkte einbezogen werden; das wird kompliziert. Und die Gastronomie wird verpflichtet werden, wie der Handel zu kennzeichnen. Danach geht’s weiter mit Rindern und Geflügel.
Das aber ist noch lange nicht der ganze Werkzeugkasten. Wir nutzen alle Möglichkeiten, die Herkunft tierischer Erzeugnisse zu kennzeichnen. Bei Schweinen, Schafen, Ziegen und Geflügel gerade geschehen, weil die europäische Rechtslage das ausdrücklich zulässt. Warum war das nicht längst so? Von wem war es gewollt, dass wir beim Einkaufen oder Essengehen die Herkunft nicht erkennen? Oder sind all die Worte über Wertschätzung und Regionalität nur Schall und Rauch und in Wahrheit ging es Lobbyist:innen nur um das Interesse am möglichst billigen Export?
Gemeinschaftsverpflegung soll unterstützt werden
Zu Haltungskennzeichnung und Transparenz der Herkunft gehört zusätzlich der Umbau der Gemeinschaftsverpflegung. Dort wird finanziell unterstützt und Beratung geleistet. Ich bin mir sicher: Es wird die notwendige Nachfrage kommen für tierische Erzeugnisse mit höheren Tierschutzstandards.
Das Tierschutzgesetz wird zudem die Mindeststandards beenden. Logisch, Neuausrichtung muss finanziert werden. Eine Milliarde Euro stehen ab 2024 im Haushalt zur Verfügung. In der Koalition haben wir Fachpolitiker*innen eine Tierwohlabgabe gefordert, ich erwarte von den Partner*innen, dass das umgesetzt wird.
Wenn die Opposition es ernst meint, sollte sie angesichts der Größe der Aufgabe nicht nur klagen. Jetzt braucht es Entscheidungsfähigkeit und -bereitschaft. Ja, bei allen Koalitionären, aber auch bei Opposition und Bundesrat.
Renate Künast ist seit 2002 Mitglied des Bundestages für das Bündnis 90/Die Grünen. Von 2001 bis 2005 war sie Bundeslandwirtschaftsministerin. Derzeit ist sie Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und Sprecherin der Fraktion für Ernährung und Landwirtschaft.