Seit Juni 2021 arbeitet Anna-Katharina Stumpf für die Fraunhofer-Gesellschaft als Leiterin der Geschäftsstelle des Strategischen Forschungsfelds Bioökonomie. Ihre Kernaufgaben bestehen darin, Forschungsergebnisse und daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen in Politik und Industrie zu tragen und Akteure miteinander zu vernetzen. Die Kommunikation und Vermittlung von naturwissenschaftlicher Forschung ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Vita.
Wissenschaft und Kommunikation
Stumpf wuchs in Attendorn im Sauerland auf. Bereits als Kind, sagt sie im Gespräch mit Tagesspiegel Background, habe sie sich Gedanken über biologische Prozesse gemacht. Sie wollte wissen, wie Prozesse in der Natur ablaufen, Menschen mit der Natur interagieren und aus ihr lernen können. Ihre Mutter, eine pharmazeutisch-technische Assistentin, nahm sie oft mit zur Arbeit. „Ich bin schon früh mit der Apotheke in Berührung gekommen“, erzählt Stumpf. Früh stand für sie fest, dass sie entweder Forscherin oder Wissenschaftsjournalistin werden würde. Es wurde dann ein Zwischending aus beidem.
Die heute 34-Jährige studierte Biotechnologie in Bielefeld und promovierte am Institut für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie an der WWU Münster. Während des Studiums nahm sie an einer Studenteninitiative teil, bei der es darum ging, „wie man Studierende mit der Industrie verbindet und Forschung in die Gesellschaft bringt“. Im Kontext ihrer Promotion und als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete sie in einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt zur Wertschöpfung von pilzlichen Fermentationsabfällen durch die Herstellung von Feinchemikalien.
Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft
Mehr als 50 Staaten, darunter Deutschland, haben bereits eine eigene Bioökonomiestrategie entwickelt. Das zeigt die Signifikanz, die dieser Wirtschaftsform als Beitrag zu Ressourceneffizienz und Klimaschutz beigemessen wird. „Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie wirken hierbei synergetisch“, sagt Stumpf. Die Bioökonomie halte vielfältige technologische Innovationen bereit, die eine Etablierung einer emissions- und schadstoffarmen Produktion sowie kreislauforientierten Wirtschaft ermöglichen sollen. Dazu zählen unter anderem biobasierte Kunststoffe, Biowerkstoffe als Baumaterialien, CO2 als Rohstoff oder Chemierohstoffe und Kraftstoffe durch thermochemische Verfahren.
In der Bioökonomie werden biobasierte Ressourcen, biologisches Wissen und moderne Technologien in die Anwendung gebracht. Pilze, genauer Myzelwerkstoffe, sind ein gutes Beispiel: Pilzmyzel lässt sich als Dämmmaterial im Bausektor oder zur Herstellung von Werkstoffen vergleichbar mit Leder verwenden. Das macht sie zu einem zentralen Baustein einer Kreislaufwirtschaft. Biobasierte Kunststoffe andererseits kommen ohne Rohöl in der Herstellung aus und lassen sich theoretisch in perpetuum wiederverwerten.
Stumpf befasst sich genau mit diesen Prozessen und damit, wie man sie in die Gesellschaft tragen kann: „Wie schaffen wir es, die Technologien, die wir entwickeln, in die Industrie zu bringen? Was sind die Bedarfe der Industrie?“ Bereits nach ihrer Promotion konzentrierte sie sich für ihren Arbeitgeber Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie auf die „Vernetzung von Industrie, Politik, Forschung und Gesellschaft“. Eine Arbeit, die sie nun für die Fraunhofer-Gesellschaft fortführt – mit dem Fokus Bioökonomie.
Die Wirtschaft ist noch immer stark auf erdölbasierte Produktion eingestellt. Eine Transformation ist sehr kostspielig und braucht viele Innovationen. Vor rund einem Jahr stellte die Fraunhofer-Gesellschaft unter Federführung von Stumpf in diesem Zusammenhang eine Roadmap für eine zirkuläre Bioökonomie für die Politik zusammen. Stumpf fordert von der Politik, dass biobasierte Produkte auch „den Preis wert sein müssen, den sie wirklich wert sind“. Das heißt für sie im Umkehrschluss, emissionstreibende Technologien stärker zu besteuern und alternative Technologien gezielter zu fördern. Nur so könne die Transformation gelingen. Boris Messing
Wer rettet
das Klima? Die Politik oder die/der Einzelne?
Das
Klima kann nur durch gemeinsames Handeln von Politik und Gesellschaft gerettet
werden. Die Politik hat die Aufgabe, den Rahmen für eine in allen Dimensionen
(sozial, ökologisch, ökonomisch) nachhaltige und generationengerechte Entwicklung
zu schaffen. Entscheidend ist hierbei die Akzeptanz dieser Maßnahmen in der
Bevölkerung und die Bereitschaft, diese Veränderungen mitzutragen. Gleichzeitig
ist es jedoch unerlässlich, dass jede(r) Einzelne Verantwortung übernimmt und
im Alltag klimabewusst handelt.
Auf
welchen Flug würden Sie nie verzichten?
Generell
sollte zuerst dort angesetzt werden, wo es umweltfreundlichere Alternativen
gibt und kein direkter Verzicht notwendig ist, zum Beispiel bei Inlands- und
Kurzstreckenflügen auf die Bahn ausweichen. Darüber hinaus ist es unerlässlich,
dass neben den individuellen Entscheidungen des Einzelnen auch Politik und
Industrie den technologischen Fortschritt zur nachhaltigeren Mobilität
vorantreiben.
Wer in der
Energie- und Klimawelt hat Sie beeindruckt?
Mich
beeindrucken nicht einzelne Personen, sondern viele Akteure und Organisationen
wie beispielsweise Scientists for Future, wo unter anderem auch Wissenschaftler:innen
aus der Fraunhofer-Gesellschaft aktiv sind. Ihre Arbeit bringt den aktuellen
Stand der Forschung in verständlicher Form in die gesellschaftliche Debatte um
Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung ein. Das ist insbesondere vor dem
Hintergrund von Fake-News und dem hohen Maß an Emotionalität in den
Diskussionen zum Klimawandel enorm wichtig.
Welche
Idee gibt der Energiewende neuen Schwung?
Viele Technologien sind bereits vorhanden, um die Energiewende
voranzutreiben. Diese müssen aber oft noch aus dem Labor in die Industrie
überführt werden. Ein Beispiel ist „Carbon Capture and Utilization“ (CCU). Wo
CO2 nicht vermieden werden kann, sollte es stofflich genutzt werden. Schon
heute lassen sich niedermolekulare Grundstoffe über Wasserstoff und CO2 herstellen. Für komplexere Moleküle sollten auch biotechnologische Verfahren in
Betracht gezogen werden. So können wir das klimaschädliche Abfallprodukt CO2
als Rohstoff für Textilien, Kosmetika oder Kraftstoffe nutzen; alles Branchen, mit denen sich die Fraunhofer-Gesellschaft bereits befasst.