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Energie & Klima

Standpunkte Ein deutsches Aus für russisches LNG ist notwendig und durchsetzbar

Svitlana Romanko (Razom We Stand), Petras Katinas (CREA)
Svitlana Romanko (Razom We Stand), Petras Katinas (CREA) Foto: Razom We Stand, CREA

Trotz des Krieges in der Ukraine und breiter Sanktionen gegen Russland bleibt der indirekte Import russischen Erdgases nach Deutschland eine beunruhigende Realität, konstatieren die ukrainische Aktivistin Svitlana Romanko und der Energieanalyst Petras Katinas. Sie schlagen vor, wie Deutschland russisches Gas effektiv aus seinen Netzen verbannen kann.

von Svitlana Romanko und Petras Katinas

veröffentlicht am 07.10.2024

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Deutschland ist eine führende europäische Volkswirtschaft, aber äußerst abhängig von Energieimporten. Trotz des Krieges in der Ukraine und gravierender Sanktionen gegen den Kreml bezieht das Land weiterhin russisches fossile Brennstoffe inklusive regasifizierten Flüssigerdgases (LNG). Zwar ist Deutschlands (indirekter) Bezug von russischem LNG auf wahrscheinlich vier bis sechs Prozent seines Gesamtverbrauchs gesunken, doch führt dies immer noch zu erheblichen Finanzströmen nach Russland, die indirekt Putins Kriegskasse finanzieren und mit denen die Bomben bezahlt werden, die unablässig auf ukrainische Städte abgeworfen werden.

Zwischen dem 16. Mai 2023 und dem 16. Mai 2024 importierte Deutschland russische Ölprodukte im Wert von 182,4 Millionen Euro über türkische Raffinerien. 2023 importierte Europa insgesamt 18,5 Milliarden Kubikmeter russisches LNG, von denen ein Teil über Nachbarländer wie Belgien, Frankreich und die Niederlande in regasifizierter Form nach Deutschland gelangte. Forscher schätzen, dass bis zu sechs Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases, etwa 55 Terawattstunden, über indirekte Routen aus Russland stammen könnte, was die Rückverfolgung der Herkunft erschwert.

Die Trennung dieser Moleküle in den europäischen Import-Terminals von LNG aus anderen Lieferländern ist technisch kompliziert. Aber Deutschland hat eigene LNG-Terminals installiert, die in der Lage sind, einen Teil seines Bedarfs direkt zu importieren und damit zu verhindern, dass russisches Gas indirekt ins System gelangt. Diese Terminals könnten die Einspeisung von russischem Gas überflüssig machen.

Weiterhin indirekter Import russischer Brennstoffe

Seit Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine bis heute hat der Kreml über 194 Milliarden Euro mit der Ausfuhr fossiler Brennstoffe in europäische Länder verdient, wobei Deutschland vor allem vor der Verhängung der Sanktionen ein wichtiger Abnehmer war. Daten von CREA zeigen, dass Deutschland 2022 rund 15,8 Milliarden Euro für Gas und weitere 14,5 Milliarden für Öl an Russland zahlte. Seit der russischen Invasion zahlte Deutschland 32,5 Milliarden Euro für russische Kohle, Pipeline-Gas und Öl. Obwohl die direkten Käufe russischer fossiler Brennstoffe im April 2024 eingestellt wurden, werden weiterhin indirekte Importe getätigt.

Das meiste russische LNG, das Deutschland indirekt importiert, kommt von drei großen Verflüssigungsanlagen: Yamal, Portovaya und Vysotsk. Yamal ist mit einer Verflüssigungskapazität von 17,44 Millionen Tonnen pro Jahr das größte. Die beiden anderen Terminals haben wesentlich geringere Kapazitäten: Portovaya produziert 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr, Vysotsk 0,66 Millionen Tonnen. Alle diese Terminals bleiben trotz der Sanktionen für die Versorgung Europas mit russischem LNG von entscheidender Bedeutung.

Obwohl sich Deutschland öffentlich dazu verpflichtet hat, kein russisches LNG mehr zu importieren, gelangt das Gas immer noch über Transit-Terminals in Nachbarländern ins Land, was ein vollständiges Verbot des russischen Brennstoffs erschwert. Verbraucher und staatliche Stellen können die Herkunft des Gases, das in die deutschen Gasnetze gelangt, oft nicht genau nachvollziehen. Studien zeigen jedoch, dass ein solches Verbot durchsetzbar ist.

SEFE könnte Schlüsselrolle übernehmen

Die Beteiligung staatlicher Unternehmen wie SEFE am internationalen Gashandel führt eine weitere Ebene der Komplexität ein. SEFE, das hauptsächlich im Gashandel und in der Gasspeicherung tätig ist, hat sich mehrere langfristige Lieferverträge für fossiles Gas gesichert, darunter auch Gas von russischen Unternehmen. In Anbetracht seines Status als staatliches Unternehmen sollte die deutsche Regierung sicherstellen, dass SEFE wie auch andere Unternehmen Geschäfte mit russischem Gas gänzlich vermeiden.

Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) könnten Deutschland und die EU selbst bei einer bis 2030 anhaltenden hohen Gasnachfrage vollständig auf russisches Gas verzichten, indem sie die Produktion erneuerbarer Energien und die Energieeffizienz steigern und gleichzeitig LNG aus Ländern wie Katar, den USA und Australien importieren.

Die Bundesregierung arbeitet bereits aktiv daran, Deutschlands Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Ende 2023 stammten 65 Prozent der deutschen Nettostromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen. Diese Fortschritte zeigen, dass das Land über alle Mittel verfügt, die für ein vollständiges Embargo gegen russische Energieressourcen, einschließlich LNG, erforderlich sind.

Bedenken hinsichtlich der Energiesicherheit und steigender Preise haben ein vollständiges Verbot verhindert, aber die DIW-Analysten argumentieren, dass diese Bedenken unangebracht sind. Im Falle eines vollständigen Verbots von russischem Gas kann das Land seinen Bedarf aus alternativen LNG-Quellen und durch Importe über Pipelines etwa aus Norwegen decken. Außerdem führt der Rückgang der Gasnachfrage aufgrund der Einführung energieeffizienter Technologien, eines milderen Winters und des schrittweisen Übergangs zu grüner Energie dazu, dass Deutschland nicht mehr auf russisches Gas angewiesen ist.

Eine Frage der nationalen Sicherheit

Die frühere deutsche Abhängigkeit von russischem Gas geht auf langfristige Vereinbarungen zurück, die vor dem Krieg in der Ukraine geschlossen wurden. Vor 2021 importierte Deutschland mehr als 55 Prozent seines Gases aus Russland, hauptsächlich über Pipelines wie Nord Stream. Nach den Sanktionen und der Einstellung der Gaslieferungen durch Pipelines war das Land gezwungen, nach alternativen Quellen zu suchen. Infolgedessen ist der Anteil des russischen Gases an der Gesamtenergiebilanz Deutschlands deutlich zurückgegangen und macht nur noch wenige Prozent aus - was darauf hindeutet, dass ein vollständiger Ausstieg möglich ist.

Abgesehen von wirtschaftlichen Erwägungen hat Deutschland auch politische Gründe, die Energiezusammenarbeit mit Russland komplett einzustellen. Die ständige Bedrohung durch russische Spionage- und Sabotagegruppen, die mutmaßlich Sabotage an kritischen Infrastrukturen des Landes verübt haben, sowie die Einmischung in Wahlen erhöhen den Druck auf die Regierung, entschlossen zu handeln. Mögliche russische Sabotage an Militärbasen, Wasserversorgungssystemen und anderen wichtige Einrichtungen in Deutschland sind eine direkte Bedrohung für die nationale Sicherheit. Gleichzeitig finanziert Deutschland die Hintermänner, indem es weiterhin russisches Flüssigerdgas importiert.

Deutschland und die Europäische Union sind bereits auf diesen Winter vorbereitet, die Gasspeicher sind zu mehr als 95 Prozent gefüllt. Ein deutscher Importstopp für russisches LNG wäre bis Ende 2024 realisierbar und ist für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit Deutschlands und die Unterstützung der internationalen Bemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine unerlässlich. Die Finanzierung des russischen Krieges durch Energieimporte führt Deutschland an einen Scheideweg. Sie zwingt das Land, zwischen kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen und langfristigen strategischen Zielen zu wählen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass europäische Gelder weiterhin die Zerstörung der Ukraine und diesen scheinbar endlosen Verlust von Menschenleben finanzieren. Deutschland muss entschlossen handeln, um seine Abhängigkeit von russischem Flüssigerdgas zu beenden und dazu beizutragen, eine stabilere, sichere Zukunft für Europa zu schaffen.

Svitlana Romanko ist Gründerin und Exekutivdirektorin der ukrainischen Nichtregierungsorganisation Razom We Stand. Petras Katinas ist Energieanalyst bei der Denkfabrik Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA).

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