Standpunkte Der Trade-on-Ansatz als Antwort auf globale Unsicherheit

Ökologische und ökonomische Interessen widersprechen sich nicht – sie verstärken sich, wenn Unternehmen Dekarbonisierung und zirkuläre Wirtschaft als Wachstumschance nutzen, argumentiert Andreas Wagner, Deutschland-Geschäftsführer von Mitsubishi Electric. Nachhaltigkeit schützt vor externen Schocks, senkt operative Risiken und stärkt das Vertrauen von Kunden, Partnern, Investoren und Regulierungsbehörden.
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Jetzt kostenfrei testenDas Thema Nachhaltigkeit erlebt in der politischen Arena gerade turbulente Zeiten. Die USA blockieren, China investiert – und in Deutschland wird Nachhaltigkeit je nach politischer Konstellation unterschiedlich priorisiert. In einem politisch zunehmend volatilen Umfeld wächst für viele Unternehmen der Druck, strategische Entscheidungen unter unsicheren Rahmenbedingungen zu treffen.
Aus meiner Sicht kann es nur eine Antwort geben: Nachhaltigkeit darf keine Reaktion auf politische Stimmungen sein, sondern fester Teil der unternehmerischen Strategie. Wer auf politische Eindeutigkeit wartet, verliert nur wertvolle Zeit.
Trade-on statt Trade-off: Nachhaltigkeit als Wachstumsfaktor
Nachhaltigkeit ist kein moralischer Luxus, sondern ein strategisches Mittel zur Sicherung von Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz. Sie schützt vor externen Schocks, senkt operative Risiken und stärkt das Vertrauen von Kunden, Partnern, Investoren und Regulierungsbehörden. Ein klarer strategischer Vorteil in einem Umfeld, das von Unsicherheit, Klimarisiken und geopolitischen Spannungen geprägt ist. Das sogenannte ‚Trade-on‘-Prinzip beschreibt diese Entwicklung treffend: Ökologische und ökonomische Interessen widersprechen sich nicht – sie verstärken sich, wenn Unternehmen Dekarbonisierung und zirkuläre Wirtschaft als Wachstumschance nutzen.
Europa verfolgt diesen Kurs mit wachsender Konsequenz. Der Clean Industrial Deal und der Net Zero Industry Act machen deutlich: Nachhaltigkeit ist nicht nur Klimaschutz, sondern Kern von Industrie-, Sicherheits- und Standortpolitik. Deutschland geht auch aktiv voran: Das Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur mit 100 Milliarden Euro auch für klimarelevante Investitionen sind ein Signal und Verantwortung zugleich der neuen Koalition, grüne Technologien zur Basis ökonomischer Souveränität werden zu lassen.
Für Unternehmen heißt das: Investitionen in nachhaltige Forschung und Entwicklung lohnen sich gleich doppelt. Wer innovative Lösungen fördert, die ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen adressieren, schafft die Produkte und Dienstleistungen von morgen. Und eine von vornherein nachhaltige F-und-E-Strategie ermöglicht es zugleich, regulatorischen Anforderungen voraus zu sein. Zirkuläre Technologien, die etwa Abwärme nutzbar machen, Materialien wiederverwertbar gestalten oder digitale Lösungen zur Effizienzsteigerung bieten, werden so zu wirtschaftlich attraktiven Zukunftsfeldern und Dekarbonisierungsantreibern.
Der Global Innovation Index 2024 der Weltorganisation für geistiges Eigentum und dessen Top-10-Unternehmen bestätigen, dass Patentaktivität ein wichtiger Indikator für die Innovationsqualität und strategische Ausrichtung eines Unternehmens sind, besonders in Bereichen wie Klima, Gesundheit und digitale Infrastruktur. In einer entsprechenden Studie aus dem Jahr 2023 zeigte die Organisation, dass patentintensive Firmen während wirtschaftlicher Schocks wie der Covid-19-Pandemie seltener vom Markt verschwinden oder starken Schaden nehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn sie zusätzlich in Forschung und Entwicklung und immaterielle Vermögenswerte investieren.
Patente erhöhen zudem die Kreditwürdigkeit kleiner und mittelgroßer Unternehmen und ermöglichen strategische Flexibilität, etwa durch Lizenzierung oder Reallokation von Ressourcen. Eine starke Patentbasis ist somit ein zentraler Faktor unternehmerischer Widerstandsfähigkeit. Unternehmen mit starken, zukunftsgewandten IP-Portfolios sichern sich so Wettbewerbsvorteile in zukunftsträchtigen Märkten.
Strukturen schaffen, Verantwortung leben
Diesen Gedanken konsequent umzusetzen, erfordert strukturelle Verankerung im Unternehmen. Dazu braucht es klare Zuständigkeiten, definierte Ziele, belastbare Daten und eine kontinuierliche Überprüfung der Fortschritte. Im Dschungel der nachhaltigkeitsbezogenen Berichtspflichten kann man zwischen CSRD, CSDDD, EUDR und CBAM leicht den Überblick verlieren – auch wenn mit dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Omnibuspaket die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich vereinfacht werden sollen. Eine begrüßenswerte Entwicklung, die jedoch noch nicht in trockenen Tüchern ist. Genauso bieten neue Ansätze, CO2-Fußabdrücke über digitale Produktpässe zu erfassen, interessante Hebel, um zirkuläres Denken und innovatives Handeln zu fördern.
Dies zeigt, dass es umso wichtiger ist, Strukturen zu schaffen, die Nachhaltigkeit nicht nur als Nebenschauplatz behandeln. Wir bei Mitsubishi Electric haben deshalb bereits früh Nachhaltigkeitsgremien etabliert, um ESG-Maßnahmen (Environmental, Social, Governance) strategisch einzubinden. Hierbei haben wir pro-aktiv Kernherausforderungen als sogenannte „Materiality“ identifiziert, um langfristig gezielt Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen, Verantwortung in der Wertschöpfungskette und stetigen technologischen Fortschritt im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu schaffen und gleichzeitig das Geschäftswachstum zu sichern – inklusive klar formulierter Ziele und Performanceindikatoren (KPIs) – alles im Sinne des „Trade-on“-Gedankens.
Das erlaubt proaktives Handeln anstelle von hektischem Nachsteuern. Denn auch hier gilt: Wer Nachhaltigkeit von vornherein mitgedacht hat, wird durch neue Regularien nicht so leicht aus der Bahn geworfen.
Nachhaltigkeit rechnet sich – auch an den Finanzmärkten
Die Finanzmärkte haben längst erkannt, dass Nachhaltigkeit kein Kostenfaktor, sondern ein strategischer Hebel ist. Immer mehr Investoren – von großen Vermögensverwaltern bis zu Banken und Versicherungen – integrieren ESG systematisch in ihre Anlageentscheidungen. Unternehmen mit überzeugender Nachhaltigkeitsstrategie erhalten nicht nur mehr Aufmerksamkeit von nachhaltigkeitsorientierten Fonds, sondern können auch von günstigeren Kreditkonditionen profitieren. Green Bonds – also Anleihen, die ausschließlich zur Finanzierung ökologisch sinnvoller Projekte dienen – haben sich am Kapitalmarkt längst etabliert. Ebenso gewinnen sogenannte Sustainability-Linked Loans an Bedeutung, bei denen die Zinssätze an die Erreichung bestimmter Nachhaltigkeitsziele gekoppelt sind.
Auch ESG-Ratingagenturen wie MSCI, Sustainalytics oder ISS ESG bewerten Unternehmen nach umfassenden Nachhaltigkeits-Kriterien. Diese Ratings fließen in die Entscheidungen institutioneller Anleger ebenso ein wie in die Risikobewertungen von Banken. Ein gutes ESG-Rating kann daher unmittelbar zu niedrigeren Finanzierungskosten führen, während schwache Bewertungen zunehmend als Warnsignal gewertet werden.
Wer ökologische und soziale Verantwortung glaubhaft nachweisen kann, verbessert also nicht nur sein Image – sondern konkret seine Finanzierungsbedingungen. Das ist der Kern des „Trade-on“-Prinzips: Wer nachhaltig wirtschaftet, wird wettbewerbsfähiger.
Gerade in Europa wird dieser Zusammenhang politisch gestützt: EU-Taxonomie, Green Bonds und strenge ESG-Vorgaben machen aus nachhaltigem Wirtschaften einen Vorteil auf dem Kapitalmarkt. Damit unterscheidet sich Europa deutlich vom US-amerikanischen Ansatz, wo ESG-Investments immer häufiger zum politischen Zankapfel werden. Während dort Nachhaltigkeit vermehrt als ideologische Bürde empfunden wird, versteht Europa sie als Zukunftsdividende – und als zentrales Kriterium für langfristige Resilienz und Investitionsfähigkeit.
Fazit: Zukunftssicherheit braucht Haltung
Nachhaltigkeit ist kein politischer Trend, sondern ein Ausdruck wirtschaftlicher Vernunft und zukunftsorientierter Unternehmensführung. Wer heute handelt, verschafft sich morgen Handlungsspielraum. Wer strukturell denkt, wird unabhängiger von kurzfristigen politischen Richtungswechseln. Und wer Nachhaltigkeit als Chance und nicht als Last begreift, wird auch unter veränderten Rahmenbedingungen stabil bestehen können.
Das Prinzip "Trade-on" zeigt: Ökologische und ökonomische Ziele lassen sich vereinen. Die Zeit des Abwartens ist vorbei – jetzt ist die Zeit für unternehmerische Weitsicht.
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