Klimawandel, Artensterben, wachsende soziale Ungleichheiten und nicht zuletzt die Corona-Pandemie verdeutlichen: Wir leben weit über unsere Bedürfnisse. Sie müssen in Zukunft aber ohne Beeinträchtigung der Möglichkeiten von künftigen Generationen befriedigt werden.
Ohne eine tiefgreifende Transformation der Wirtschaft wird dieses große Ziel nicht erreichbar sein. Und seien wir ehrlich – wir sind bereits mittendrin. Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren Geschäftsmodelle disruptiv verändert und tut es weiterhin: beispielsweise geht der Trend vom Besitzen eines eigenen Autos hin zur Mobilitätsdienstleistung, vom Plattenspieler zur Streaming-Plattform. Nun kommt zu dieser Transformation noch die Nachhaltigkeit hinzu: eine weitere große Chance für Unternehmen.
Sowohl politische Vorgaben als auch der gesellschaftliche Zeitgeist, der sich an Bewegungen wie Fridays for Future oder am nachhaltigen Konsum festmacht, werden derzeit intensiv vom Finanzmarkt aufgegriffen und verstärken die Anforderungen nach unternehmerischer Transparenz bezüglich Berichterstattung, Klassifizierung und Labels.
Erweiterung der ökonomischen Ziele: der neue Wertbeitrag
Unternehmen selbst reagieren bereits, indem sie ihre traditionellen ökonomischen Ziele um ökologische und soziale Ziele erweitern wie CO2-Footprint oder Weiterbildung. Das Verständnis der unternehmerischen Wertschaffung wandelt sich vom Shareholder- zum System-Value, von der Dividende zum Wertbeitrag für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt.
Was aber ist der gesamte Wertbeitrag eines Unternehmens? Die Antwort darauf ist vielschichtig. Die ökologische, die sogenannte grüne Komponente der Nachhaltigkeit, umfasst deutlich mehr als Klima: Zum Beispiel Wasser- und Luftverschmutzung sowie die Nutzung von natürlichen Ressourcen. Die Nutzung von Ressourcen und Verschmutzung der Umwelt generiert „Kosten“ für unsere Gesellschaft. Auf der anderen Seite führt zum Beispiel der Erwerb von neuen Fähigkeiten bei Mitarbeitern zu einem Wert, der auch der Gesellschaft zugutekommt. Solange der Markt diese Wert- und Kostenbeiträge nicht einpreist, besteht ein verkürztes Verständnis der Wertschaffung von Unternehmen.
Die VBA und das Konzept der Doppelten Materialität
Die Value Balancing Alliance (VBA) e.V., gegründet von großen, internationalen Unternehmen, verfolgt das Ziel, dass Unternehmen erstmalig ihren positiven und negativen Wertbeitrag umfassend und vergleichbar erfassen, danach das Geschäft steuern und ihre Leistungen offenlegen.
Grundlage ist eine Methodologie, die auf zwei Säulen steht und die sogenannte Doppelte Materialität widerspiegelt. Zum einen eine standardisierte Messung des Beitrages von Unternehmen beziehungsweise der Wirkung eines Geschäftsmodell auf Gesellschaft und Umwelt: Der Standard für das Impact Measurement and Valuation (IMV) – also die „inside-out Betrachtung“. Und zum anderen durch die Ausweitung der Bewertung eines Unternehmens über die klassischen Finanzkennzahlen hinaus und durch die Aufnahme von Human-, Sozial- und Naturkapital in die Bilanzierung eines Unternehmens: Der sogenannte erweiterte Enterprise Value – die „outside-in Betrachtung“.
Ein engagiertes Team von Praktikern aus den jeweiligen Mitgliedsunternehmen, unterstützt von den Experten der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und einem umfassenden Netzwerk an Akademikern, arbeitet daran, die wirkungsbezogenen Grundlagen aus der Wissenschaft und anderen Initiativen in eine pragmatische, nutzerorientierte und skalierbare Methodologie umzusetzen. Das dies in der Praxis bereits sehr gut funktioniert, hat die erste, erfolgreiche Pilotierungsphase unserer Mitgliedunternehmen bestätigt. Die Belastbarkeit und Qualität der Ergebnisse werden durch Erprobung im Unternehmensalltag selbst sichergestellt, aber auch durch die stetige Beteiligung der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.
Standardisierte Methode für die Rechnungslegung
Die VBA stellt damit eine standardisierte Methode zur Verfügung, die Unternehmen befähigt, Nachhaltigkeit direkt in die DNA und Blutbahnen der Unternehmen zu überführen: Die Rechnungslegung. Damit werden ökologische und soziale Aspekte in die Entscheidungsfindung und Steuerung der Unternehmen integriert. Daten werden genutzt, die Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens transparent darzustellen – auf Euro und Cent. Nachhaltigkeitsperformance und finanzielle Performance werden vergleichbar und reflektieren den gesamten unternehmerischen Wertbeitrag. Ein an sich unerhörter Vorgang, weil er die Grenzen der bisherigen Bilanzierung sprengt.
Zunehmende Berichtspflichten auf nationaler, europäischer (zum Beispiel EU-Taxonomie, Corporate-Sustainability-Reporting-Richtlinie CSRD) und internationaler Ebene (zum Beispiel IFRS International Sustainability Standards Board) verlangen verstärkt eine Berücksichtigung ganzheitlicher Unternehmensleistung. Die Berichtspflicht im Rahmen der CSRD könnte schon für die Berichtsperiode 2023 gelten. Dies lässt nicht viel Zeit für die Umsetzung.
Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit Themen wie der Doppelten Materialität ist daher essenziell für Unternehmen. Besonders die erwähnte „inside-out“-Betrachtung wird für viele Unternehmen neu sein. Durch die Pilotierung unserer Methodik konnten unsere Mitgliedsunternehmen letztes Jahr bereits analysieren und miteinander vergleichen, wie ihre Aktivitäten sich auf Gesellschaft, Umwelt und die Wirtschaft als Ganzes auswirken. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind öffentlich zugänglich.
Nicht zuletzt profitiert auch der Finanzmarkt von einer solchen Darstellung. Finanzmarktteilnehmern wird eine robuste, standardisierte und vor allem vergleichbare Berichterstattung geboten, die sowohl die Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft, aber auch die Abhängigkeiten von ebendiesen in der eigenen Geschäftsaktivität transparent darlegt. Darüber hinaus können sie sehen, welches Risikopotenzial von einzelnen Unternehmen und ihrer Wertschöpfungskette ausgeht. Denn, und das ist nichts Neues: Umwelt- und Klimarisiken gefährden heute schon Milliardenwerte in Unternehmen.
Es braucht eine pragmatische Lösung
Wir sind davon überzeugt, dass es eine pragmatische
Lösung braucht, um Nachhaltigkeit in die Rechnungslegung und
Entscheidungsfindung von Unternehmen zu integrieren. Dies ist auch die
Voraussetzung, um robuste Daten für eine vergleichbare Nachhaltigkeitsberichterstattung
zur Verfügung zu stellen. Innerhalb unserer Allianz, in Zusammenarbeit mit der
EU, der OECD, Standardsetzern, Wirtschaftsinitiativen und Wissenschaft,
erarbeiten und testen wir Lösungen aus der Praxis für die Praxis. Damit leisten
wir, in Kooperation mit vielen weiteren Partnern, unseren Beitrag, unsere
globale Wirtschaft nachhaltig und inklusiv auszurichten. Diese umfassende
Rechnungslegung stellt Unternehmen richtig auf „nachhaltig“.