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Sustainable Finance

Standpunkte Energy Sharing und Crowdsourcing für die Bürgerenergiewende

Felix Auspurg ist Head of Operations bei der nachhaltigen Investmentplattform Wiwin
Felix Auspurg ist Head of Operations bei der nachhaltigen Investmentplattform Wiwin Foto: WIWIN

Um die Energiewende mit voller Kraft voranzubringen, braucht es vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger: von der finanziellen Partizipation bis hin zur lokalen Nutzung des grün erzeugten Stroms. Doch gerade das sogenannte Energy Sharing wird politisch noch immer stiefmütterlich behandelt, beklagt Felix Auspurg von der Investmentplattform Wiwin.

von Felix Auspurg

veröffentlicht am 20.07.2023

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Das Ziel ist klar gesteckt: Bis 2030 soll der Bruttostromverbrauch in Deutschland zu mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Damit uns das tatsächlich gelingt, muss beim Ausbau der regenerativen Energiequellen wirklich in jeder Hinsicht der Turbo gezündet werden. Immerhin reden wir hier von einer notwendigen Verdreifachung der bisherigen Ausbaugeschwindigkeit von Wind- und Solarenergie.

In den vergangenen Monaten hat die Bundesregierung einige gesetzliche Rahmenbedingungen verankert, die die Energiewende nun beschleunigen sollen, zum Beispiel das EEG 2023 und das Wind-an-Land-Gesetz. Beide Initiativen stellen richtige und wichtige Weichen für eine grünere Zukunft. Gleichzeitig gibt es aber nach wie vor noch eine große Stellschraube, der auf dem politischen Parkett zu wenig Aufmerksamkeit gezollt wird: dem Potenzial vielfältiger Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten.

Leichtere Gründung von Bürgerenergiegesellschaften

Aus meiner Sicht werden wir langfristig nur dann klimaneutral leben und wirtschaften können, wenn wir in diesem Punkt auch wirklich gesamtgesellschaftlich an einem Strang ziehen. Dafür müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung stellen, wie sie am Ausbau der erneuerbaren Energien partizipieren können. Das EEG 2023 sieht hier zwar bereits vor, beispielsweise die Gründung von Bürgerenergiegesellschaften zu erleichtern und so die aktive Teilhabe der Bevölkerung an der Energiewende zu fördern. Damit ist die Gestaltungsmöglichkeit von Bürgerbeteiligungen aber bei Weitem noch nicht erschöpft.

Auf der einen Seite sind Bürgerenergiegesellschaften zwar eine schöne Möglichkeit, um überhaupt noch mehr EE-Projekte zu realisieren und den Bürgerinnen und Bürgern zumindest eine gewisse Form der finanziellen Teilhabe zu gewähren. Auf der anderen Seite ist eine Mitgliedschaft – gerade an genossenschaftlich organisierten Gesellschaften – aber auch mit verschiedenen Rechten und Pflichten verbunden, die nicht unbedingt jede und jeder von uns zu tragen bereit sind. Ein Thema ist beispielsweise eine mögliche Nachschusspflicht im Falle einer Insolvenz der Bürgergenossenschaft, die abschreckend wirken kann.

Einfacher Zugang zu alternativen Finanzierungsformen

Was wir also in Zukunft noch mehr brauchen, sind weitere finanzielle Partizipationsmöglichkeiten mit niedrigeren Einstiegshürden. Denn auch Direktbeteiligungen an Windparks & Co. mögen zwar für Einzelpersonen durchaus attraktiv sein; für die notwendige Mindestanlagesumme muss man aber häufig erst einmal mehrere tausend Euro auf der hohen Kante haben. Anders beim Crowdinvesting: Hier können Bürgerinnen und Bürger schon ab wenigen hundert Euro in ein EE-Projekt investieren und vom festverzinslichen Investment profitieren.

Wichtig bei dieser alternativen Finanzierungsform ist jedoch, dass die Projekte vorab eingehend untersucht und die Ergebnisse transparent dargestellt werden. Darüber hinaus ließe sich der Zugang zu Crowdinvesting-Projekten im Erneuerbare-Energien-Bereich zusätzlich erleichtern, indem sich auch etablierte Kreditinstitute – gerade im regionalen Umfeld – dieser Anlagemöglichkeit gegenüber öffnen. Denn so könnten Privatpersonen sogar in ein EE-Projekt vor ihrer Haustür investieren, ohne dafür zwingend zu einer Crowdinvesting-Plattform wechseln zu müssen.

Energy Sharing – ein echtes Win-win-Konzept

Neben diesen verschiedenen finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten ist das sogenannte Energy Sharing der aus meiner Sicht größte, leider aber noch nicht realisierte Hebel für die Energiewende. Dahinter verbirgt sich das Prinzip, dass Privatpersonen nicht nur Windkraft- und Solaranlagen in ihrer Region mitfinanzieren, sondern auch den sauber produzierten Strom selbst beziehen können. Obwohl die Europäische Union das Energy Sharing bereits seit vielen Jahren in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II 2018/2001) verankert hat, ist das Konzept noch immer nicht in Deutschland verwirklicht – und das, obwohl die Umsetzungsfrist bereits vor zwei Jahren abgelaufen ist.

Zumindest in der Theorie ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zwar vorgesehen, die Rahmenbedingungen für das Energy Sharing zu verbessern. In der Praxis liegt jedoch bis heute noch kein konkretes Konzept dafür vor. Besonders bitter ist das ausbleibende politische Engagement an dieser Stelle vor allem mit Blick auf die vielfältigen Potenziale, die das Energy Sharing birgt: Zum einen könnten Bürgerinnen und Bürger bares Geld sparen, wenn sie den grünen Strom lokal günstig einkaufen.

Zum anderen würde das Prinzip die Infrastruktur erheblich schonen. Denn aufgrund der großen lokalen Nähe zwischen Stromerzeugern und den Verbraucherinnen und Verbrauchern könnte die Stromverteilung über die Verteilnetze vor Ort erfolgen. Entsprechend würden auch die Hochspannungsleitungen entlastet. Und schließlich könnten auch die Kommunen profitieren, indem sie zusätzliche Einnahmen durch lokale EE-Projekte generieren – Geld, das wiederum für kommunale Einrichtungen genutzt werden kann.

Bis diese Win-win-win-Situation aber endlich Wirklichkeit wird, muss zuerst noch der gesamte Strommarkt auf links gekrempelt – beziehungsweise dezentralisiert – werden. Und genau darin besteht aktuell die Mammutaufgabe, damit die Bürgerbeteiligung in Zukunft auch wirklich ganzheitlich gedacht werden kann.

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