Finanzvorstände (CFOs) befinden sich im Stresstest. Auf Fachkonferenzen blickt man gerade in viele sorgenvolle Gesichter. Passend dazu geben CFOs ihr Belastungslevel in einer aktuellen Befragung mit 8,18 an auf einer Skala bis 10 (extrem gestresst) – dem höchsten Wert seit 2011. Dieses Stimmungsbild verwundert nicht. Die Finanzverantwortlichen sollen „Sustainable Finance“ im Unternehmen verankern und die dafür notwendige Transformation im Schulterschluss mit dem oder der Vorstandsvorsitzenden federführend gestalten und umsetzen. Dafür haben sie aktuell aber kaum Kapazitäten und Muße, da sie voll damit beschäftigt sind, die Folgen des Ukrainekriegs in Form drastischer Preissteigerungen und Lieferkettenstörungen zu bewältigen.
Feuer zu löschen und gleichzeitig weitsichtige, ganzheitliche Transformationen voranzutreiben, daran drohen viele Finanzverantwortliche gerade zu verzweifeln. Als Folge des Ukrainekriegs stehen zunächst wieder klassisches Controlling, Kostenoptimierung und Risikomanagement im Fokus der Finanzverantwortlichen. Zählten im Herbst noch 27 Prozent das Kostenmanagement zu ihren Hauptaufgaben, so sind es aktuell 40 Prozent.
Wie auch eine Sonderauswertung der CFO-Studie 2022 von Horváth zum Thema Sustainable Finance zeigt, sind die Finanzbereiche von ihrem Zielbild des „Sustainability Performance Managers“ derzeit noch weit entfernt. Aktuell sieht sich die Mehrheit noch in der Rolle des Berichterstatters („Reporters“) oder des Prüfers („Controllers“) in der Nachhaltigkeitstransformation ihres Unternehmens (72 Prozent). Jede zehnte Finance-Führungskraft gibt sogar zu, Nachhaltigkeitsbemühungen aktuell noch eher abzuwehren („Avoider“). Nur acht Prozent würden sich als Sustainability Performance Manager bezeichnen. Künftig wollen 50 Prozent diese Rolle erfüllen. Doch wann soll dieses „künftig“ sein, wenn das Gap noch so groß ist?
CFOs müssen sich ihrer Verantwortung stellen
Es scheint so, als verlassen sich die CFOs bei der Lösung des Problems auf die Führungsebene außerhalb ihres Verantwortungsbereichs. Denn die Hauptverantwortung im Sinne von treibender Kraft beim Thema Nachhaltigkeit sehen die Finanzverantwortlichen bei den CEOs (83 Prozent). Ihre eigene Abteilung betrachten sie nur zu 30 Prozent als verantwortlich. Damit riskieren sie ihren Stellenwert in der Nachhaltigkeitstransformation – und nehmen in Kauf, dass sie an Kriterien gemessen werden, die sie selbst nicht mitgestaltet haben.
So nachvollziehbar der Druck auch ist, der auf den Finanzbereichen lastet, er entbindet sie nicht von der Verantwortung, jetzt den Schulterschluss zu suchen und Unterstützung einzufordern – nicht im Sinne von Verantwortung abgeben, sondern von gemeinsamer Entwicklung von Lösungen des Dilemmas.
Den Fokus auf Synergien legen
Im Krisenmanagement der Finanzabteilungen geht es vor allem um das Begrenzen negativer Auswirkungen der drastischen Preissteigerungen sowie Eindämmen finanzieller Risiken durch Lieferkettenstörungen und logistische Probleme. Dazu müssen die Unternehmen ihre Einkaufs-, Produktions-, Vertriebs- und Logistikstrukturen ohnehin durchleuchten. Wenn sie dabei das Augenmerk gleich auch auf nachhaltige Kriterien legen, werden sich Handlungsfelder abzeichnen, die sie aktiv vorbringen und im Führungskreis gemeinsam bearbeiten können.
Weitere Synergien können geschaffen werden, indem „Nebenbaustellen“ gemeinschaftlich und ganzheitlich angegangen werden. Bevor sich Krise an Krise reihte, waren die Finanzabteilungen noch mittendrin in Digitalisierungsprojekten, die zum Teil auch die Basis für effizientes Nachhaltigkeitscontrolling sein sollten. Auch diese Projekte sind ins Stocken geraten. Und natürlich fehlt es an allen Ecken und Enden an spezialisierten Finance-Fachkräften, idealerweise mit Nachhaltigkeitsexpertise. Diese Probleme haben andere Unternehmensbereiche aber auch. Und so wie eine echte Nachhaltigkeitstransformation sich ganzheitlich durchs Unternehmen ziehen muss, müssen die größten „Pain Points“, die das Erreichen der gesetzten Nachhaltigkeitsziele bedrohen, gemeinschaftlich und mit hoher Management-Priorität angegangen werden.
Eskalation darf nicht gescheut werden
Wie bei allen Problemen ist die Grundvoraussetzung für eine Lösung zunächst die Anerkennung. Das bedeutet: Wenn Finanzverantwortliche sich selbst und der Geschäftsführung gegenüber nicht transparent sind und darlegen, was sie bislang nur als ungutes Gefühl wahrnehmen, kann es brenzlig werden. Dann laufen die Finanzabteilungen sehenden Auges in eine neue Krise. Nachhaltigkeit ist zu einer enorm wichtigen Säule für den Unternehmenserfolg geworden – sie ist kein Sonderprojekt, das sich selbst in Phasen großer Arbeitsbelastung nicht mal eben verschieben lässt.
Auch eine mit heißer Nadel gestrickte Abarbeitung der notwendigsten Aufgaben kann keine Lösung sein. Zum einen drohen Sanktionen und Reputationsschäden, wenn gesetzliche und gesellschaftliche Anforderungen ungenügend erfüllt werden. Zum anderen ist eine gute Performance im Bereich Nachhaltigkeit für Unternehmen strategisch von großer Bedeutung und Teil ihrer Ziele für die nächsten Jahre. Dessen sind sich die Finanzverantwortlichen auch bewusst. Wie die CFO-Studie 2022 zeigt, sind 93 Prozent überzeugt, dass Unternehmen, die die Nachhaltigkeitstransformation nicht ernsthaft genug angehen, enorme Wettbewerbsnachteile entstehen.
Jetzt gilt es, auch danach zu handeln.