Standpunkte Mehr als eine Pflichtübung für Krypto-Unternehmen

Krypto-Assets boomen. Mit der neuen EU-Verordnung „Markets in Crypto-Assets Regulation“ (Micar) ziehen regulatorische Anforderungen nach – inklusive komplexer Nachhaltigkeitsberichtspflichten. Crypto Asset Service Providers sollten sie weder unterschätzen noch als reine Pflichtübung abtun, schreiben Ralph Hüsemann, Partner und Head of Financial Services, sowie Christoph Wronka, Director Financial Services bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Baker Tilly in Deutschland, im Standpunkt.
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Jetzt kostenfrei testenAnleger und Regulierungsbehörden verlangen von Finanzdienstleistern zunehmend belastbare ESG-Daten – auch von Krypto-Unternehmen, die oft wegen ihres hohen Energieverbrauchs in der Kritik stehen. Die europäische Markets in Crypto Assets Regulation (Micar) setzt neue Standards und verpflichtet Krypto-Dienstleister zur Offenlegung relevanter Umweltkennzahlen. Doch die Umsetzung ist komplex – insbesondere, weil unterschiedliche Krypto-Assets unterschiedlich reguliert werden.
Micar ist seit dem 29. Juni 2023 in Kraft und gilt seit dem 30. Dezember 2024 verbindlich. In Deutschland müssen Krypto-Unternehmen bis Ende 2025 detaillierte ESG-Daten veröffentlichen. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (Esma) definiert dazu vier zentrale Berichtskategorien:
- Grundinformationen: Identität des Emittenten, Konsensmechanismus der Blockchain.
- Pflichtangaben: Jährlicher Energieverbrauch in Kilowattstunden (kWh).
- Zusatzinformationen: CO2-Emissionen, Anteil erneuerbarer Energien (bei Vermögenswerten mit über 500.000 kWh Verbrauch pro Jahr).
- Optionale Angaben: Freiwillige Nachhaltigkeitsstrategien und -ziele.
Diese Informationen müssen frei zugänglich, verständlich und aktuell sein. Unternehmen sind verpflichtet, ihre Daten mindestens einmal jährlich zu prüfen und bei Änderungen sofort zu aktualisieren. Fehlerhafte oder manipulierte Angaben könnten Sanktionen nach sich ziehen.
Komplexität unterschiedlicher Technologie erschwert Messbarkeit
Die ESG-Bilanzierung gestaltet sich schwierig, da verschiedene Blockchain-Technologien – also digitale, dezentral geführte Kontobücher –, unterschiedliche Energieverbräuche aufweisen. Während Proof-of-Work (PoW) als besonders energieintensiv gilt, benötigt Proof-of-Stake (PoS) deutlich weniger Strom. Einheitliche Berechnungsstandards existieren derzeit nicht, sodass zwei Ansätze dominieren.
- Top-Down-Analyse: Schätzung des Gesamtverbrauchs auf Basis von Netzwerkdaten.
- Bottom-Up-Analyse: Messung des Verbrauchs einzelner Einheiten und Hochrechnung.
Beide Methoden haben Schwächen, da präzise Messwerte oft fehlen. Zertifizierte Testverfahren könnten Abhilfe schaffen, doch viele Unternehmen sind hierfür auf Drittanbieter angewiesen – was weitere Kosten verursacht.
Hinzu kommt, dass viele Marktteilnehmer Start-ups sind, die über begrenzte Ressourcen für aufwendige ESG-Berichte verfügen. Hier sind strategische Partnerschaften mit externen Beratern oder Technologieanbietern essenziell.
Ein weiteres Problem ist die Marktresonanz. Während große institutionelle Investoren verstärkt auf ESG-Kriterien achten, bleibt unklar, ob die Krypto-Szene selbst Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil begreift. Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen ihre ESG-Leistung nicht nur regulatorisch, sondern auch strategisch kommunizieren.
Blockchain-Projekte setzen auf klimafreundliche Technologien
Während Regulierungen an Bedeutung gewinnen, treibt auch die Szene den Wandel voran. Immer mehr Blockchain-Projekte setzen auf umweltfreundliche Alternativen wie „Zero-Knowledge Proofs“ oder Off-Chain-Lösungen, um den Energieverbrauch zu senken. Gleichzeitig wächst der Markt für „grüne Kryptowährungen“, die gezielt mit nachhaltigen Praktiken entwickelt werden. Auch große Mining-Farmen setzen zunehmend auf erneuerbare Energien, um ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern.
Experten sehen zudem Fortschritte im Bereich der Tokenisierung von Umweltzertifikaten, also einer Digitalisierung und Speicherung der Zertifikate auf einer Blockchain. CO2-Ausgleichsmechanismen auf Blockchain-Basis könnten Unternehmen helfen, ihren ökologischen Einfluss transparent nachzuweisen. Hier könnte sich ein neuer Finanzmarkt etablieren, der ESG-Standards mit digitalen Innovationen verbindet.
Neben der EU nehmen auch andere Märkte ESG-Richtlinien für digitale Vermögenswerte in den Blick. In den USA gibt es erste Diskussionen über eine nachhaltige Krypto-Regulierung, während China bereits drastische Maßnahmen gegen energieintensive Krypto-Mining-Operationen ergriffen hat. In Asien setzen einige Länder auf gezielte Subventionen für nachhaltige Blockchain-Technologien. Diese globalen Trends zeigen, dass die Regulierung von Krypto-Assets zunehmend international abgestimmt werden muss.
Krypto-Unternehmen können sich als Vorreiter positionieren
Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, sollten Unternehmen folgende Maßnahmen priorisieren:
- Datenqualität sichern: ESG-Messmethoden müssen nachvollziehbar und belastbar sein.
- Zertifizierte Verfahren nutzen: Offiziell geprüfte Daten minimieren regulatorische Risiken.
- Monitoring-Tools einsetzen: Automatisierte Systeme helfen, Verbrauchsdaten aktuell zu halten.
- Greenwashingvorwürfen vorbeugen: Unabhängige Audits sorgen für Glaubwürdigkeit.
- Transparente Kommunikation: ESG-Daten sollten gezielt an Investoren und Kunden kommuniziert werden.
- Frühzeitige Compliance-Prüfung: Abstimmungen mit Behörden helfen, regulatorische Unsicherheiten frühzeitig zu adressieren.
- Technologieoptimierung: Krypto-Unternehmen sollten nachhaltige Technologien in ihre Infrastrukturen integrieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Klar ist: Die Bedeutung von ESG-Kriterien im Kryptosektor wird weiter zunehmen – die Frage ist nicht ob, sondern wie schnell sich der Wandel vollzieht. Unternehmen, die frühzeitig auf nachhaltige Technologien setzen, könnten sich als nachhaltiger, vertrauenswürdiger Marktakteur positionieren und sich als Vorreiter einer neuen Ära im digitalen Finanzwesen etablieren.
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