Im August 2021 nahm sich die Fridays-for-Future-Bewegung in Frankfurt die Finanzbranche vor: „Wenn die Erde eine Bank wäre, hättet ihr sie schon längst gerettet.“ Nach Meinung der Bewegung spielt die Finanzbranche eine Rolle, wenn nicht gar eine Schlüsselrolle beim Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit – konkret mithilfe der sogenannten ESG-Kriterien: In Finanzprodukten müssten die Belange von Umwelt (Environmental), Menschen und Gesellschaft (Social) und verantwortungsvollem Verhalten (Governance = gute Organisationsführung) Berücksichtigung finden.
Was die 5.000 Demonstranten in Frankfurt umtrieb, ist auch in der breiten Bevölkerung angekommen. Mehr als die Hälfte (52,1 Prozent) äußerte im Sommer 2021 die Überzeugung: „Mit nachhaltiger Geldanlage kann man dazu beitragen, dass die gesamte Wirtschaft nachhaltiger wird.“ Das ergab die aktuelle Umfrage des DIVA, das zweimal jährlich rund 2.000 Menschen in Deutschland nach der Wichtigkeit von Nachhaltigkeit bei Geldentscheidungen befragt.
Trotz anderslautender Bekenntnisse: Nachhaltigkeit nicht so wichtig?
Beeinflussen diese Überzeugungen konkrete Anlageentscheidungen? Unser Befund ist ambivalent. Bittet man die Bürger nämlich, die vier Kriterien des „Magischen Vierecks der Geldanlage“ nach Relevanz für ihre konkreten Entscheidungen zu ordnen, führt Sicherheit als unangefochtener Spitzenreiter, gefolgt von Rentabilität vor Liquidität. Nachhaltigkeit ist abgeschlagenes Schlusslicht. Und das sehen alle Bevölkerungsgruppen ähnlich: ob Frau oder Mann, ob Jung oder Alt, ob Arm oder Reich – immer dieselbe Reihenfolge mit auch in den Prozentzahlen nur marginalen Abweichungen.
Wie lässt sich dieser auf den ersten Blick frappierende Widerspruch zwischen generellen Überzeugungen und konkreten Entscheidungskriterien erklären? Dafür gibt es drei Gründe, mit denen sich die Branche befassen muss:
Der Nachhaltigkeitsbegriff ist (noch) unscharf
Erstens fehlt es bisher an einem klaren Grundverständnis von „Nachhaltigkeit“ mit validen, messbaren, skalierbaren Konzepten. Die Menschen empfinden deshalb vermutlich das Kriterium der Nachhaltigkeit als nicht sehr greifbar. Die Finanzbranche ist gut beraten, nicht auf politische Initiativen zu warten, sondern selbst zur Klärung beizutragen.
Verschiedene Strategien führen zu unterschiedlichen Investments
Zweitens konkurrieren in Theorie und Investmentpraxis unterschiedliche Anlagestrategien der Nachhaltigkeit miteinander, von Ausschlusskonzepten (Ausschluss bestimmter Sektoren, Branchen und Geschäftspraktiken) über Best-in-class- und Best-of-class-Ansätzen bis zum Impact Investing (Investitionen in gesellschaftliche Wirkungen wie zum Beispiel Mikrofinanzfonds). Das Problem: Die Ansätze können sich durchaus ins Gehege kommen; was nach den Kriterien der einen Strategie „nachhaltig“ ist, kann nach denen der anderen Strategie „Teufelszeug“ sein. Dies ist der Komplexität des Themas geschuldet und lässt sich nicht beliebig vereinfachen. Umso mehr muss es den Anlegern und der Öffentlichkeit erklärt werden.
„Greenwashing“ macht skeptisch
Drittens wird immer wieder die Sorge des „Greenwashing“ geäußert, also der Bewerbung von Finanzprodukten als nachhaltig, ohne dafür eine hinreichende Grundlage zu bieten. Neben der ausgeführten begrifflichen Unschärfe trägt hier auch eine unzureichende Transparenz bei. Die Finanzbranche sollte selbst Vorkehrungen treffen, damit nicht wenige schwarze Schafe die Glaubwürdigkeit nachhaltiger Geldanlagen ramponieren.
Nachhaltigkeit und „harte“ ökonomische Faktoren passen zusammen
Trotz dieser Unzulänglichkeiten und wenn auch noch nicht in einer dominierenden Rolle, sind nachhaltige Geldanlagen ein Megatrend der Finanzbranche. Er wird von Anlegern getrieben, die auch in Geldentscheidungen eine gesellschaftliche Verantwortung sehen. Viele sehen keinen Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und den weiteren Anlagekriterien. Im Gegenteil meint jeweils mehr als ein Drittel der Befragten, nachhaltige Geldanlagen bergen langfristig ein geringeres Risiko und erwirtschaften eine höhere Rendite. Diese Sicht belegen auch wissenschaftliche Untersuchungen, und ich kann dem nur beipflichten: Nachhaltigkeit und „harte“ ökonomische Motive passen recht gut zusammen.
Die Anleger wollen mit ihren Entscheidungen eigene
Schwerpunkte gemäß ihren Wertvorstellungen setzen und damit Einfluss auf Werte
und Verhalten in der Volkswirtschaft nehmen. Die Branche reagiert darauf mit
einem wachsenden, sich differenzierenden Angebot an Nachhaltigkeitsfonds und
ESG-Anlagekonzepten für größere Investoren. Nachfrage und Angebot treiben den
Megatrend nachhaltiger Geldanlagen. Und sie tragen so dazu bei, dass die
Wirtschaft sauberer, fairer und anständiger wird.