Seitdem die EU die Pflicht zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen bei Kunden im August 2022 eingeführt hat, ist das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus der Finanzbranche gerückt. Diese Maßnahme, eingebettet in ein breiteres regulatorisches Rahmenwerk zielt darauf ab, die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) in Investitionsentscheidungen von Anlegerinnen und Anlegern zu fördern.
Kundeninteresse nimmt rapide ab
Ein Jahr nach der Einführung zeigt das 16. AfW-Vermittlerbarometer – eine große, jährliche Umfrage unter Finanzberatern mit mehr als 1000 Teilnehmern – einen signifikanten Rückgang im Kundeninteresse an Nachhaltigkeit. Während 2022 noch eine Mehrheit von 53 Prozent der Kunden offen für Gespräche über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen war, sind es 2023 nur noch 22 Prozent. Gleichzeitig ist der Anteil der Kunden, denen das Thema egal ist, von 25 Prozent auf 62 Prozent angestiegen. Diese Zahlen deuten auf eine wachsende Diskrepanz zwischen den regulatorischen Intentionen und den tatsächlichen Interessen der Kunden hin.
Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig. In dem einem Jahr ist viel passiert. In der öffentlichen Diskussion ist der Klimawandel hinter aktuelle Themen wie steigende Preise, Wohnungsmangel und geopolitische Risiken wie der Krieg in der Ukraine und die kritische Lage im Nahen Osten zurückgetreten. Das kommunikative Desaster der Regierung und die Abläufe beim Heizungsgesetz taten ihr übriges.
Komplexität als Barriere
Eine der zentralen Herausforderungen ist die Komplexität der regulatorischen Anforderungen selbst. Die regulatorischen Vorgaben für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei den Kunden, insbesondere im Hinblick auf die Taxonomie, die Offenlegungsverordnung SFDR und die Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen (PAIs), sind äußerst kompliziert, für Laien unverständlich und damit in der Praxis schwer bis gar nicht umsetzbar. Die Erfahrung zeigt, dass daher nur ein kleiner Teil der Vermittler und Kunden bereit und in der Lage ist, den komplexen Abfrageprozess zu durchlaufen. Zusätzlich erschwert die mangelhafte Datenverfügbarkeit und -qualität die Situation weiter.
Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW hat in mehreren Stellungnahmen an die EU-Kommission und weitere europäische Institutionen deutlich gemacht, dass das wohlmeinende Ziel, Nachhaltigkeitsaspekte stärker in der Finanzberatung zu verankern, durch die aktuell vorgegebene Komplexität und den Aufwand im Beratungsgespräch verfehlt wird. Es fehlt dafür völlig die Akzeptanz bei Kunden und Vermittlerschaft. Eine radikale Vereinfachung der Prozesse scheint unerlässlich, um die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten sinnvoll in die Finanzberatung zu realisieren. Wir fordern daher radikale Änderungen der regulatorischen Vorgaben, um die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in den Finanzsektor realistisch und wirksam zu gestalten.
Neudenken ist Pflicht
Die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei Kunden sollte weniger komplex und aufwändig gestaltet werden, um eine breitere Akzeptanz und Implementierung in der Praxis zu ermöglichen. Nur so kann das Ziel, nachhaltige Investitionen zu fördern und ein Bewusstsein für Nachhaltigkeitsaspekte zu schaffen, tatsächlich erreicht werden. Der AfW setzt sich weiterhin für eine pragmatische und kundenfreundliche Lösung ein, die den Bedürfnissen sowohl der Vermittler als auch der Kunden gerecht wird. Der jüngste Vorschlag des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung für eine ESG-Skala bei Finanzprodukten stellt insofern eine vielversprechende Entwicklung dar, die den Weg für eine tiefgreifende Veränderung in der Beratung und Auswahl nachhaltiger Finanzprodukte ebnen könnte. Ähnlich dem NutriScore für Lebensmittel oder dem Energieeffizienzlabel der EU für viele Elektrogeräte, würde diese Skala, die in Kategorien von A (hohe Nachhaltigkeit) bis F (Non-ESG) eingeteilt ist, sowohl Berater als auch Kunden einen klaren und sofort verständlichen Überblick über die Nachhaltigkeitseigenschaften von Finanzprodukten bieten. Der AfW begrüßt diesen Vorschlag ausdrücklich, da er nicht nur die Informationslücke für Privatanleger schließt, sondern auch ein dringend benötigtes Instrument zur Vereinfachung des Beratungsprozesses bietet.
Die Einführung einer solchen Skala könnte die bisherigen Herausforderungen der Nachhaltigkeitsabfrage, die von Vermittlern und Kunden als zu komplex und unverständlich empfunden wurden, wirkungsvoll adressieren. Die vom Sustainable Finance-Beirat und ganz ähnlich auch vom DIN-Institut vorgelegten Empfehlungen bieten eine gute Diskussionsgrundlage für eine regulatorische Anpassung, die die Akzeptanz und das Engagement im Bereich der nachhaltigen Finanzprodukte signifikant erhöhen könnte.
Die Umsetzung der ESG-Skala im Rahmen der bestehenden regulatorischen Strukturen, wie der PRIIPs-Verordnung für die Basisinformationsblätter oder der SFDR, würde nicht nur die Vergleichbarkeit von Finanzprodukten verbessern, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der Transparenz und des Verbraucherschutzes leisten. Es ist eine Gelegenheit, die regulatorischen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sie den Bedürfnissen der Beraterschaft und der Kunden gerecht werden und gleichzeitig die Ziele der nachhaltigen Finanzierung unterstützen – und wäre ein klares Signal dafür, dass auch einmal die Stimmen der Praktiker gehört werden. Es ist an der Zeit, dass auf europäischer und nationaler Ebene dieser innovative Ansatz ernsthaft in Betracht gezogen und die notwendigen rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen.