Sustainable-Finance icon

Sustainable Finance

Standpunkte Ohne Sicherheit auch keine Nachhaltigkeit

Philippe Zaouati, Vorstandschef von Mirova, dem auf Sustainable Investment spezialisierten Asset-Manager von Natixis IM
Philippe Zaouati, Vorstandschef von Mirova, dem auf Sustainable Investment spezialisierten Asset-Manager von Natixis IM Foto: Mirova

Der Schutz von Bevölkerung und Demokratie ist eine Grundvoraussetzung jeder nachhaltigen Transformation, argumentiert Mirova-Chef Philippe Zaouati. Start-ups und Mittelständler haben ein Finanzierungsdefizit. Zaouati erörtert, wie eine verantwortungsvolle Verteidigungsfinanzierung gestaltet werden könnte.

von Philippe Zaouati

veröffentlicht am 27.03.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Seit ihren Anfängen beruht nachhaltige Finanzwirtschaft auf einem klaren Grundprinzip: Kapital soll in Aktivitäten mit positiver Auswirkung auf Umwelt und Gesellschaft (ESG) gelenkt werden. Die Rüstungsindustrie war in diesem Konzept traditionell ausgeschlossen. Bereits die ersten verantwortungsethischen Investitionsansätze im 20. Jahrhundert mieden Branchen, die als ethisch problematisch galten.

Diese Ausschlusspraxis hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt, ja sogar ausgedehnt – nicht nur unter strikten ESG-Investoren, sondern auch im breiteren europäischen Finanzsektor. Von Staatsfonds über Großbanken bis hin zu institutionellen Investoren: Viele Akteure wenden strenge Einschränkungen bei der Finanzierung von Rüstung und Verteidigung an. Infolgedessen wird einem sicherheitsrelevanten Sektor der Zugang zu privatem Kapital zunehmend erschwert.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ringt die europäische Finanzwelt um ein transparentes Regelwerk, das Investitionen in Verteidigung und Friedenssicherung ermöglicht. In einem geopolitischen Umfeld, das von zunehmenden Spannungen und Bedrohungen demokratischer Souveränität geprägt ist, stellt sich daher eine grundlegende Frage: Kann die Verteidigungsindustrie dauerhaft von der nachhaltigen Finanzierung ausgeschlossen werden, wenn der Schutz von Bevölkerung und Demokratie eine Grundvoraussetzung jeder nachhaltigen Transformation ist?

Historisch staatlich finanziert – doch die Realität wandelt sich

Lange Zeit wurde die Rüstungsindustrie primär über staatliche Haushalte finanziert – durch Steuern und öffentliche Aufträge. Doch wie jede andere Branche hat auch sie einen Bedarf an privatem Kapital, etwa in Form von Eigenkapital, Anleihen oder Bankkrediten.

Während große börsennotierte Unternehmen derzeit solide kapitalisiert sind und in den letzten Jahren kaum auf Finanzmärkte angewiesen waren, stellt sich die Lage für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), nicht börsennotierte Firmen und technologiegetriebene Start-ups anders dar. Diese Unternehmen sind zentrale Innovationstreiber, insbesondere bei sogenannten Dual-Use-Technologien mit zivilem und militärischem Nutzen.

Es geht somit nicht nur um die Finanzierung von Waffen, sondern um Investitionen in strategische Schlüsseltechnologien. In einer Zeit, in der die USA und China ihre strategischen Industrien massiv fördern, kann es sich Europa nicht leisten, bei der Finanzierung kritischer Bereiche zurückzufallen.

Souveränität durch verantwortungsvolle Finanzierungen stärken

Nachhaltige Finanzwirtschaft muss nicht im Widerspruch zu sicherheitspolitischen Zielen stehen – im Gegenteil: Sie kann ein Instrument sein, um eine verantwortungsvolle Verteidigungsfinanzierung zu gestalten. Ziel muss ein ausgewogener Ansatz sein, der sowohl ökologischen und sozialen Anforderungen als auch geopolitischen Realitäten gerecht wird.

ESG-Kriterien dienten stets dazu, Kapital in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen. Diese Logik sollte nun ausgeweitet werden – mit einem klaren Rahmenwerk, das:

  • jene Bereiche der Verteidigungsindustrie identifiziert, die ethischen und völkerrechtlichen Anforderungen entsprechen (Ausschluss völkerrechtlich verbotener Waffen);
  • Transparenz über Mittelverwendung und Lieferketten schafft, insbesondere im Hinblick auf menschenrechtliche Risiken;
  • sicherheitspolitische Aspekte als Bestandteil nachhaltiger Entwicklung integriert;
  • und die Förderung friedlicher, menschenrechtskonformer Gesellschaften zum Ziel hat.

Ein pauschaler Ausschluss des gesamten Sektors läuft diesen Zielen zuwider – er schafft ein finanzielles „Blindfeld“ in einem Bereich, der verantwortungsvolle Steuerung verdient.

Lösungsansätze: Green Bond-Rahmenwerke als Vorbild für Defense Bonds

Obwohl die EU, ihre Mitgliedstaaten und börsennotierte Rüstungsunternehmen bislang ohne größere Finanzierungsprobleme auskamen, dürften die angekündigten massiven Investitionen in Verteidigung – die größten seit dem Ende des Kalten Krieges – künftig auch privates Kapital erfordern. Nachhaltige Finanzwirtschaft kann hier von den Instrumenten der Klimafinanzierung lernen: Grüne und soziale Anleihen (Green und Social Bonds) haben gezeigt, wie sich Kapital gezielt lenken und die Mittelverwendung wirksam kontrollieren lässt.

Ein entsprechendes Modell für den Sicherheitsbereich könnte beispielsweise in Form von „European Defense Bonds“ realisiert werden – Anleihen, die gezielt in strategisch relevante Technologien und Projekte investieren. Ein solches Rahmenwerk könnte:

  • Innovationen in kritischen Zukunftsfeldern (insbesondere Dual-Use-Technologien) fördern,
  • strikte ESG-konforme Mittelverwendung garantieren,
  • und verantwortungsvolle Investoren aktiv einbinden, anstatt sie aus dem Diskurs auszuschließen.

Besonders im Bereich der KMU und Start-ups zeigt sich ein strukturelles Finanzierungsdefizit in Europa. Das europäische Sparvermögen fließt bislang kaum in Beteiligungskapital – ein Umstand, der nicht nur den Verteidigungsbereich betrifft, sondern sämtliche Schlüsselindustrien bremst. Es braucht daher übergreifende Lösungen, um privates Kapital gezielt in strategisch relevante Sektoren zu lenken.

Ein Aufruf zum Umdenken – im Sinne von ESG

Diese Überlegungen stellen keineswegs die Prinzipien der nachhaltigen Finanzierung in Frage, sondern zielen im Gegenteil darauf ab, sie zu stärken und an die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Die Frage der Souveränität kann nicht länger ignoriert werden, denn ohne Sicherheit und Stabilität kann kein ökologisches und soziales Übergangsprojekt erfolgreich sein. Es geht nicht nur um Rüstung, sondern auch um den Platz verantwortungsbewusster Finanzierungen beim Aufbau eines souveränen und nachhaltigen Europas.

Anstatt in einem ausschließenden Ansatz zu verharren, kann Sustainable Finance eine aktive Rolle beim Aufbau eines europäischen Modells der verantwortungs­vollen Verteidigungsfinanzierung spielen, das sowohl transparent und ethisch als auch an die Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst ist. Es ist an der Zeit, dass sich Finanzakteure, Industrieunternehmen, Regierungen und Behörden an einen Tisch setzen, um gemeinsam die Konturen einer Verteidigungsfinanzierung zu definieren.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen