Ökologische Nachhaltigkeit (Environmental) – noch vor ein paar Jahren taugte dieser Begriff zum Geheimtipp: Das Thema werde in naher Zukunft richtig groß, es sei für Unternehmen lohnenswert, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, lautete die Einschätzung der Experten. Tempi passati. Was gestern noch Kür war, ist heute Pflicht – und kein Unternehmen, das zuversichtlich auf die kommenden zehn Jahren blicken will, kann sich hier Nachlässigkeit erlauben.
Das gilt besonders für den Finanzsektor, denn von Finanzinstituten wird Rechenschaft in doppelter Hinsicht verlangt: über ihre ökologischen Leistungen im Geschäftsportfolio und -betrieb – und die ihrer Kunden. Der Druck von Verbrauchern und Politik nimmt zu und rückt einen weiteren Aspekt in Fokus: die Sozialkriterien. Wer diesen Trend heute verpasst, wird morgen auf der Strecke bleiben.
Regulatorischer Druck von zwei Seiten
Am 1. Juni 2023 verabschiedete das Europäische Parlament ein wegweisendes Gesetz: Mit 366 zu 225 Stimmen stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Diese Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Liefer- und nachgelagerten Wertschöpfungskette wird spätestens 2025 in Kraft treten.
Bereits beschlossene Sache ist zudem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Unternehmen zur Veröffentlichung umfangreicher qualitativer und quantitativer nachhaltigkeitsbezogener Informationen verpflichtet. Auch die CSDDD setzt an dieser Stelle an: Unternehmen können Nachhaltigkeit nicht länger auf Umweltschutz, Ressourcenschonung und Emissionsfreiheit beschränken, sondern die CSDDD erweitert – noch mehr als schon die CSRD es tut – die unternehmerische Verantwortung für ökologisch verträgliches Wirtschaften um Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance). Es sind also zu allen sogenannten ESG-Kriterien Leistungen zu erbringen und offenzulegen.
Anforderungen für die gesamte Wertschöpfungskette
Die CSRD gilt ab 2024 für Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: Mehr als 250 Beschäftigte, eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro und ein Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro. Die Anzahl der auskunftspflichtigen Unternehmen in der EU steigt damit von rund 11.000 auf etwa 49.000. Diese müssen dann weitreichende Angaben zu Vielfalt, Menschenrechten und Arbeitsbedingungen machen – und zwar entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette.
Gleiches ist für die CSDDD zu erwarten, die dann ausdrücklich auch Finanzdienstleister als Kapitalgeber zu strengeren Sorgfaltspflichten und damit zu verantwortungsvollem Wirtschaften und der Vermeidung nachteiliger Auswirkungen (Adverse Impacts) auf die Gesellschaft verpflichtet. Eine ähnliche Rolle wie heute dem Umweltschutz wird somit bald sozialen Aspekten zukommen wie Mitarbeiterzufriedenheit, Sicherheit und Gesundheit, Anpassung an den demografischen Wandel, Ernährungssicherheit und insbesondere die Einhaltung der Arbeits- und Menschenrechte entlang der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette eines Unternehmens. Doch das ist nur der politisch-regulatorische Aspekt.
Gesellschaftliche Ansprüche
Viel wichtiger wird in diesem Kontext bald die öffentliche Meinung sein, da sich diese weder in einem gesetzlichen Rahmen bewegt noch an legislative Fristen hält: Die teils sehr kontrovers geführten Debatten um Gleichstellung und Genderaspekte, Fairtrade- und Menschenrechtsinitiativen oder etwa die intensive Kontroverse um Arbeitnehmerrechte bei der Fußball-WM in Katar lassen erahnen, welches Disruptionspotential Sozialkriterien besitzt.
Schon der Verdacht, ein Unternehmen sei für Ausbeutung oder Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, kann zu immensen Imageverlusten führen. Übertroffen wird dieses Szenario nur von dem hypothetischen Fall, dass einer Menschenrechtsorganisation oder politischen Aktivisten offiziell der Prozess gegen ein Unternehmen (oder dessen Gläubigerbanken) wegen vermeintlicher Verstöße gegen soziale Ansprüche gelingt. Dies wurde in der Vergangenheit mehrfach und teilweise erfolgreich bei der ökologischen Nachhaltigkeitsdimension versucht, beispielsweise bei der „Klimaklage“ gegen den Shell-Konzern 2021.
Heute handeln, morgen profitieren
Wie sollten Konzerne und Finanzinstitute reagieren? Eine Möglichkeit besteht in der Implementierung international anerkannter Rahmenwerke. Dadurch verankern Banken, Investoren und Versicherer diese Grundsätze in den eigenen Geschäftsaktivitäten. Beispiele, mit denen sich Finanzdienstleister einer Social Policy nähern können, sind die Mitgliedschaft im UN Global Compact, einer international renommierten Initiative für soziale und ökologische Globalisierung, oder eine Selbstverpflichtung zu den Principles for Responsible Banking (PRB) beziehungsweise Principles for Responsible Investment (PRI) sowie ein Bekenntnis zu und Ausrichtung an den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen.
Durch eigene ESG-Regelwerke für nachhaltiges Finanzieren (Sustainable Finance Frameworks) können Banken darüber hinaus Ausschlusskriterien für bestimmte Geschäftsbeziehungen und -partner definieren. Solche klar formulierten Leitfäden dienen der Orientierung für alle Geschäftsbereiche im gesamten Unternehmen und ermöglichen die konsequente Umsetzung der eigenen Nachhaltigkeitsziele.
Klar ist: Unternehmen handeln heute klug, wenn sie soziale Leistungskriterien frühzeitig, glaubwürdig und transparent implementieren, anstatt abzuwarten, bis Regulatorik und Öffentlichkeit sie zu Getriebenen machen. Denn klar ist auch: Wer den Trend Soziales verpasst, gerät in Zukunft genauso ins Hintertreffen wie der Konzern oder Mittelständler, der bis vor Kurzem über ökologische Nachhaltigkeit gelächelt hat.