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Sustainable Finance

Standpunkte Transformation braucht staatliche Anreize

Foto: Hoffotografen

Damit Finanzmärkte transformative Wirkung entfalten können, sind gerade heute – trotz multipler Krisen – dringend staatliche Impulse für die Realwirtschaft erforderlich, meint Sabrina Schulz, Ko-Vorstandschefin von Econnext, einer Holding, die in Wachstumsunternehmen investiert, die an Lösungen für Energiewende und Kreislaufwirtschaft arbeiten.

von Sabrina Schulz

veröffentlicht am 30.03.2023

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Dass die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft staatlich flankiert und gesteuert werden muss, ist klar. Wie aber sieht es mit der Verwirklichung der anderen UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) aus? Egal ob es um Biodiversität, Geschlechtergerechtigkeit, Bildung oder nachhaltige Stadtentwicklung geht: Investitionen in nachhaltige Geschäftsmodelle müssen sich finanziell lohnen.

Sonst finden sich kaum in dem Maße Geldgeber, wie erforderlich sind, damit die nötigen hunderte Milliarden Dollar zusammenkommen. Wenn der Staat privates Kapital für die Transformation hebeln will, muss er dafür Anreize setzen, sie über Regulierung einfordern und großenteils mitfinanzieren. Freiwillige Ansätze werden nicht ausreichen.

Selbst „wirkungseffektive“ Investitionen kaum transformativ

Nachhaltige Investitionen in liquide Anlageklassen wie Aktien und Anleihen, also „Artikel 8“- oder „Artikel 9“-Finanzprodukte im Jargon der EU-Offenlegungsverordnung, stehen bei manchen Finanzakteuren immer noch in Verdacht, eine niedrigere Finanzperformance zu liefern, obwohl mehr als 2200 Studien nachhaltigen Geldanlagen ein positives Zeugnis ausstellen. Im historischen Vergleich der Wertentwicklung lässt sich erkennen, dass nachhaltige Anlageprodukte nicht schlechter abschneiden als andere Produkte. Bei langen Zeiträumen schneiden nachhaltige Anlagestrategien tendenziell sogar besser ab, weil sie Risiken senken.

Jedoch hat die jüngste Greenwashing-Welle unter Fondsanbietern die Glaubwürdigkeit nachhaltiger Geldanlagen beschädigt. Und solange es keine einheitliche Datengrundlage für ESG-Investitionen gibt und Datenanbieter am Markt mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen operieren, werden ESG-Anlageprodukte nicht über jeden Zweifel erhaben sein. Der geplante European Single Access Point für ESG-Daten, der Investoren Zugang zu standardisierten ESG-Kennzahlen liefern soll, kann hier Abhilfe schaffen.

Allerdings bleibt die Frage nach der Wirkung (Impact) dieser Investitionen weiterhin ungeklärt. Eine direkte Wirkung existiert nicht. Denn solange Artikel-8- und Artikel-9-Anlageprodukte lediglich auf dem Sekundärmarkt aktiv sind und auf Offenlegungspflichten zur Produktgestaltung und dem Umgang mit Nachhaltigkeit beruhen, werden sie kaum dazu beitragen, die SDGs zu erreichen. Wirkungseffektive (impact-generating) Investitionen, die einen aktiven und messbaren Beitrag für die Nachhaltigkeitsziele leisten sollen, sind im liquiden Kapitalmarkt schwierig zu tätigen, weil Anleger so gut wie keine Kontrolle über die investierten Mittel haben.

Es sei denn, sie nehmen ihre Rolle als aktive Investoren wahr und bewirken beispielsweise über ihre Stimmrechtsausübung oder direkte Dialoge mit Vorständen ein anderes Geschäftsgebaren oder gar eine strategische Umsteuerung von Unternehmen in Richtung auf die SDGs.

Regulierung, Förderprogramme und grüne Leitmärkte wirken

Wie also können Investitionen vor diesem Hintergrund wirkungseffektiv im Sinne einer Nachhaltigkeitstransformation sein? Damit die Finanzwirtschaft überhaupt zum Hebel für die Transformation werden kann, braucht es staatliche Anreize wie etwa öffentliche Förderprogramme und grüne Leitmärkte im staatlichen Beschaffungswesen. Dabei sollte es in Zukunft nicht allein um das Ziel der Klimaneutralität gehen, sondern explizit um die gesamte Palette der SDGs!

Die Rolle des Staates hat nicht zuletzt im Zuge der Pandemie und der fatalen energiepolitischen Folgen des Ukraine-Krieges wieder stark an Bedeutung gewonnen. Staaten nehmen Einfluss in Bereichen, die der Markt nicht regeln kann, um gesamtgesellschaftlich, wirtschaftlich und geopolitisch wünschenswerte Zustände herbeizuführen. Aber auch die Transformation hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft kann allein aufgrund von Marktkräften nicht gelingen.

Dem Staat fällt die Rolle zu, Schädliches abzustellen und Nachhaltigkeitsdienliches zu fördern. So sollte er klima- und umweltschädigende Subventionen sukzessive abschmelzen und, wie der Expertenrat für Klimafragen in seinem letzten Zweijahresgutachten gefordert hat, den fossilen Kapitalstock im Gebäude- und Verkehrssektor abbauen. Umwelt- und gesundheitsschädigende Substanzen wie etwa per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) sind aus den Stoffkreisläufen zu verbannen und das Werbeverbot für stark zuckerhaltige Lebensmittel im Umkreis von Schulen durchzusetzen. Starke Lenkungswirkung hat auch ein, am besten nach Sektoren differenzierter, CO2-Preis.

Nur auf solche Weise werden nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle an Attraktivität für Investoren verlieren. Finanzströme werden langfristig nicht transformativ wirken können, solange nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle erlaubt und etabliert sind und darum die bessere Rendite abwerfen, während nachhaltige Geschäftsmodelle deshalb kaum eine Chance auf den Märkten haben. Nachhaltige Anlagestrategien mit Ausschlusskriterien und Ansätzen zum wirkungseffektiven Investieren ersetzen keine Regulierung der Realwirtschaft.

Flankierende Interventionen gehören zur politischen Priorität

Um Kapitalflüsse in eine nachhaltige Richtung zu lenken und impactorientierte, SDG-fokussierte Investitionen anzureizen, sollte der Staat zudem auf nachhaltige Leitmärkte setzen, wie zuletzt vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) empfohlen. Der Staat kann und muss klimaneutral, biodiversitätsfreundlich und sozial nachhaltig produzierte Güter oder Grundstoffe in seiner eigenen Beschaffung bevorzugen.

Zudem kann er über regulatorische Maßnahmen die Nutzung von Gütern aus nachhaltiger Produktion auch für Unternehmen und Haushalte vorschreiben oder anstoßen. Über diese Wege können neue Märkte für klimaneutrale und im Sinne des SDGs nachhaltige Produkte entstehen, die wiederum attraktive Renditeoptionen generieren.

Auch außerhalb Deutschlands und Europas, insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo Mittel für transformative Investitionen fehlen, können Anreize und Regulierung helfen, Finanzströme in eine nachhaltige Richtung zu lenken. Neben nationalen und EU-Lieferkettengesetzen können hierzu Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen für transformationskritische Produkte beitragen. Ein gelungenes Beispiel sind die Vorschläge des PtX-Hubs für die nachhaltige, an den SDGs orientierte Produktion von Wasserstoff und dessen Derivaten.

Es ist also ganz und gar nicht so, dass nachhaltige Entwicklung in Zeiten multipler Krisen von der politischen Prioritätenliste fallen muss. Im Gegenteil sind gerade heute flankierende Interventionen notwendig, die die Märkte neu ausrichten. Dies schafft ein sicheres Investitionsumfeld und damit attraktive und langfristig tragfähige Anlageoptionen. Nur so werden Finanzströme in eine im Sinne der SDGs nachhaltige Richtung gelenkt.

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