Das Konzept der Biodiversität sollte inzwischen eigentlich jedem Banker und Investor bekannt sein. Doch obwohl langsam durchsickert, dass wir mitten in einer gewaltigen Biodiversitäts-Krise stehen, reagieren wir noch viel zu zögerlich. Dabei sind die Zusammenhänge und vor allem unsere unbedingte Abhängigkeit von Biodiversität wissenschaftlich eindeutig belegt. Um das zu verstehen, hier eine kleine Einführung in die biologische Vielfalt: Biodiversität bezeichnet die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten (im Übrigen dem einzigen belebten Planeten, den wir kennen): auf der Ebene von Genen (Herr Schmidt ist nicht Frau Meyer), von Arten (ein Hund ist keine Katze) und Ökosystemen (ein Korallenriff ist kein Regenwald). Biodiversität ist die Grundlage von Ökosystemleistungen und die sind wiederum definiert als Leistungen, die die Natur explizit für Menschen erbringt. Diese Leistungen kann wiederum man in vier Kategorien unterteilen.
- Versorgungsleistungen beschreiben alles, was wir der Natur direkt entnehmen und nutzen können. Trinkwasser, Holz, Waldpilze oder Wildfische fallen darunter.
- Zu Regulierungsleistungen gehören beispielsweise die Regulation von Krankheiten, die Stabilisierung des Weltklimas, die Bestäubung von (Nutz-) Pflanzen sowie die Reinigung von Luft und Wasser.
- Die dritte Kategorie sind Basisleistungen. Die Kategorie ist übersichtlich, weil nur drei Leistungen: die Generierung fruchtbarer Böden, Photosynthese und die Aufrechterhaltung globaler Nährstoffkreisläufe dazugehören.
- Die letzte Kategorie umfasst kulturelle Leistungen, zu denen etwa die Erholungsfunktion der Natur oder die Inspiration, die wir aus ihr schöpfen, gehören.
Der Wert von Ökosystemleistungen ist etwa doppelt so hoch wie das BSP
So weit so gut und erstmal kein Grund, den Blick von den Quartalszahlen und Bilanzen abzuwenden, oder doch? Der Wert von Biodiversität und Ökosystemleistungen lässt sich monetär bemessen. Berechnet man ihn, so kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, dass er etwa doppelt so hoch ist, wie der des weltweiten Bruttosozialprodukts – und zwar Jahr für Jahr. Schon das sollte uns allen zu denken geben, sind doch diese Leistungen nicht nur nicht zu bezahlen, sondern auch nur schwer oder gar nicht zu ersetzen. So können Menschen keine fruchtbaren Böden erzeugen und Blüten nur schlecht bestäuben. Um Wasser und Luft zu filtern, müssen wir uns teurer Anlagen bedienen, für deren Bau wir wiederum Rohstoffe benötigen, für deren Gewinnung wir in die Natur eingreifen müssen. All diese Leistungen erbringt die Natur dauerhaft, in bester Qualität, zuverlässig und kostenlos. Noch größer als die Überraschung beim Betrachten des gigantischen monetären Wertes ist aber vermutlich die, beim Erkennen der Abhängigkeit der Weltwirtschaft, und damit jedes einzelnen Unternehmens, von diesen Leistungen. Aktuelle Studien belegen, dass über 50 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung direkt oder indirekt von Leistungen der Natur abhängig sind. Weiß man das, ist Natur plötzlich nicht mehr nur „nice to have“, sondern zentraler Bestandteil des Kerngeschäfts eines jeden Unternehmens.
Hier fängt die Crux aber erst richtig an. Während für Unternehmen des Lebensmittelsektors leicht nachvollziehbar ist, warum sie von Biodiversität und Ökosystemleistungen abhängig sind, liegen die Zusammenhänge und Abhängigkeiten anderer Sektoren – auch des Finanzsektors - nicht so einfach auf der Hand. Wer täglich mit Computern und Zahlen hantiert, aber keinen Baum fällt, der kann doch eigentlich weder abhängig von Biodiversität sein noch ihren Niedergang mit verschulden, oder?
Dass es in jedem Sektor und jedem Unternehmen einen Zusammenhang zu den Auswirkungen der Eingriffe in die Natur gibt, hat uns schmerzhaft die Corona-Pandemie gelehrt. Covid-19 ist eine Zoonose, also eine Krankheit, die von Wildtieren auf Haustiere und oder Menschen übergesprungen ist. Etwa 1,7 Millionen unbekannte Viren gibt es. Von denen können geschätzte 640.000 – 850.000 dem Menschen als „neue Krankheiten“ gefährlich werden. Fünf neue solcher neuen Zoonosen treten jedes Jahr beim Menschen auf. Jede einzelne hat das Potenzial eine Pandemie auszulösen.
Erste Kipppunkte sind nah
Etwa 30 Prozent dieser „Virensprünge“ lassen sich auf Eingriffe des Menschen in die tropische Regenwälder zurückführen. Weil Menschen Platz für Rinderweiden und Sojaplantagen schaffen, nach Bodenschätzen schürfen, oder Werthölzer vermarkten wollen, werden die Regenwälder in Südostasien, dem Kongo- und dem Amazonasbecken rücksichtslos zerstört. Das alles darf niemandem egal sein, denn die Regenwaldzerstörung ebnet nicht nur gefährlichen Krankheiten den Weg bis in die City Londons, die Wall Street oder das Bankenviertel in Frankfurt, sondern bringt unser Erdsystem immer näher an gefährliche Kipppunkte, bei deren Eintreten die Biosphäre in einen neuen, ebenfalls stabilen, für uns aber ungünstigen, ja vielleicht sogar gefährlichen neuen Zustand überführt wird ein solcher Kipppunkt wird etwa im Amazonasbecken erreicht, wenn 22 bis 24 Prozent der Waldfläche verschwunden sind. Sind wir davon weit entfernt? Leider nein, 18 Prozent des Amazonaswaldes sind bereits verschwunden, mehr als 38 Prozent des verbleibenden Waldes sind degradiert.
Was bedeutet es aber, wenn wir den „Tipping Point“ des Amazonas erreichen? In diesem Fall stirbt der Wald nach und nach ab, egal, ob wir noch einen weiteren Baum fällen oder nicht. Weil das schnell und flächendeckend passieren wird, können wir nicht dagegen aufforsten. Das würde auch deshalb keine Lösung sein, weil Regenwälder nicht da stehen, wo es regnet, sondern die Niederschläge über gigantische Wasserpumpen großräumig generieren. Kein Wald, kein Regen also und das nicht nur an Ort und Stelle, sondern im Falle des Amazonas auch nicht mehr in Mittel- und Nordamerika, wo Landwirtschaft und Industrie dringend auf dieses Wasser angewiesen ist. Alleine das Erreichen dieses Kipppunktes würde nicht nur den Klimawandel dramatisch verstärken, sondern unsere Nahrungs-, Wirtschafts- und Sozialsysteme nachhaltig negativ beeinträchtigen.
Die Natur gewinnt immer
Ist also alles ausweglos? Keinesfalls, wenn wir endlich rasch und effektiv handeln. Pro Tag verlieren wir auf der Erde vermutlich 100-150 Arten, nähern uns immer rascher diversen Kipppunkten und zerstören die für uns essentiellen Ökosystemleistungen. Das heißt wir haben keine Zeit unsere Ziele mit langen Zeithorizonten zu versehen. Damit endlich gehandelt wird, muss so manch ein Akteur (auch im Finanzsektor) zwei Dinge verstehen:
- Der Satz „Wir müssen Geld verdienen“ kann nur im Kontext der Einhaltung Planetarer Grenzen und dem Erhalt und der Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemleistungen gedacht und gesagt werden.
- Messbarkeit im Sinne der letztendlichen Angabe einer Kennzahl „Bei Biodiversität sind wir 4, 5 wäre aber besser“ wird es nicht geben. Wer darauf wartet, bereitet (wenn auch nicht willentlich) der weiteren Zerstörung unserer Lebensgrundlage den Weg.
Die gute Nachricht: Mit jährlichen Investitionen von nur etwa 0,7 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts in den Schutz der Natur könnten wir alle Biodiversitätsziele erreichen. Es entstehen gerade ganz neue Finanz- und Investmentprodukte, die auf dem Erhalt und der Förderung von Biodiversität basieren. In Zukunft werden Investitionen in Naturerhalt solche in Naturzerstörung hoffentlich in großem Umfang ablösen. Die zweite gute Nachricht gibt es für die Welt um uns. Der ist es nämlich ziemlich egal, ob wir uns klug und vernünftig verhalten, oder weitermachen wie bisher. Die Natur ist zwar unsere beste Dienstleisterin und der größte Wirtschaftssektor, sie ist aber keine Verhandlungspartnerin. Dass der Mensch erst alle Natur um sicher herum zerstört, bevor er selber ausstirbt, kann getrost als Unsinn angesehen werden. Wenn wir nicht mit, sondern gegen die Natur agieren, sterben wir irgendwo im Mittelfeld aus – ein langwieriger und sehr schmerzhafter Prozess und machen so den verbliebenen Tier- und Pflanzenarten wieder Platz. In der langen Geschichte des Lebens auf unserer Erde, werden wir dann eben nur ein Wimpernschlag gewesen sein.