Das Bundesgesundheitsministerium hat sich den Ausbau der digitalen Infrastruktur zum Ziel gesetzt, festgeschrieben unter anderem im „Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz“. Die elektronische Patientenakte ist auf den Weg gebracht, die ersten Apps auf Rezept sind genehmigt und die telemedizinische Versorgung soll vorangetrieben werden.
Die Hauptpotentiale der Digitalisierung im Gesundheitswesen liegen in der Verbesserung der Versorgungsqualität und der Zeitersparnis. Um diese Potentiale auszuschöpfen, reicht es nicht, digitale Tools einfach nur zur Verfügung zu stellen. Diejenigen, die damit konfrontiert werden, müssen lernen, sie zu nutzen. Und das sind im Gesundheitswesen neben Ärztinnen und Ärzten zum größten Teil die Pflegekräfte.
In einer Umfrage, die wir unter 1.300 Pflegekräften durchgeführt haben, antworteten zwei Drittel, gegenüber digitalen Technologien und Kommunikationsmitteln aufgeschlossen zu sein. Sechs von zehn Pflegekräften sprechen sich eine hohe Digitalkompetenz zu. Diese Quote entspricht der Selbsteinschätzung der deutschen Gesamtbevölkerung, die die Techniker Krankenkasse in einer Studie ermittelt hat. Das bedeutet aber auch, dass ein nicht unerheblicher Teil der Pfleger:innen eher zu den Technikskeptiker:innen gehört. Besonders für sie stellt die Digitalisierung eine Herausforderung dar.
Nicht ausreichend digital geschult
Während der Pflegenachwuchs zur technikaffinen Generation gehört, sind ältere Pflegekräfte eben keine „Digital Natives“. Es gilt, ihre Befürchtungen und eventuelle Probleme bei der Umstellung ernst zu nehmen, damit sie nicht einen weiteren Stressfaktor des ohnehin schon anstrengenden Arbeitsalltages erleben. Konfliktsituationen und die Angst vor einem Autoritätsverlust können damit einhergehen.
Hinzu kommt, dass knapp ein Fünftel der Pflegekräfte sich digital nicht gut geschult fühlen, wie unsere Umfrage ergab. Die Digitalisierung darf in den Häusern nicht von heute auf morgen erfolgen, sondern muss durch umfangreiche Einführungen begleitet werden. Es liegt in der Verantwortung des Managements und der Pflegedienstleitungen, das Personal einzubeziehen. Die Pflegekräfte sollten ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Programme bekommen oder dieses einfordern. Dies erhöht nicht nur die Akzeptanz neuer Software, sondern stellt auch sicher, dass sie benutzerfreundlich und für alle Beteiligten problemlos anwendbar ist.
Ein Problem, das junge und ältere Pflegekräfte bei der Umstellung auf digitale Prozesse gleichermaßen betrifft, ist die Zeit. Davon haben Pflegekräfte grundsätzlich zu wenig, egal ob sie auf eine digitale oder analoge Uhr schauen. Das Erlernen neuer Arbeitsabläufe kostet Zeit. Langfristig betrachtet und flächendeckend angewendet, erleichtern digitale Programme jedoch den Arbeitsalltag und für die meisten überwiegen jetzt schon die Vorteile, wie bessere Lesbarkeit und rechtliche Nachvollziehbarkeit. Auch die Pflegeplanung und die Suche nach Daten sind einfacher. Intelligente Systeme ermöglichen zudem die Vernetzung zwischen verschiedenen Stationen oder Häusern und die zentrale Überwachung des Gesundheitszustands der Patient:innen.
Personalschlüssel sind entscheidender als WLAN-Schlüssel
Dennoch, „der Patient bleibt analog“, wie es die Medizinethikerin Sabine Salloch im Deutschlandfunk einmal treffend ausgedrückt hat. So besteht die vielleicht größte Herausforderung für die Pflegekräfte darin, die Digitalisierung mit ihrem beruflichen Selbstverständnis zusammenzubringen. Pflegekräfte wollen in erster Linie mit Menschen arbeiten und nichts ist davon weiter entfernt, als Einsen, Nullen und standardisierte Listen. Digitale Assistenzsysteme, Gesundheits-Apps, Videosprechstunden und Telemedizin können jedoch eine große zusätzliche Hilfe für kranke oder ältere Menschen sein. Somit stellen sie auch eine Bereicherung des Pflegeberufes dar.
Eine Pflegekraft wird niemals fürchten müssen, dass eine Maschine ihre Arbeit irgendwann besser erledigt. Digitale Lösungen für analoge Probleme funktionieren in der Pflege nur in Kombination mit intuitivem Gespür. Die Integration neuer Technologien in den Arbeitsalltag erfordert Offenheit, Eigenverantwortlichkeit und gegenseitige Unterstützung. Gleichzeitig müssen die Einrichtungen die rechtlichen und technischen Voraussetzungen schaffen – das Personal sollte sich nicht noch zusätzlich mit schlechten Internetverbindungen, veralteter Hardware oder Datenschutzfragen herumplagen müssen.
Richtig angewendet erleichtern digitale Hilfsmittel die Arbeit und verbessern die Versorgung und Sicherheit der Patient:innen bzw. Bewohner:innen. Der digitale Fortschritt darf jedoch nicht über den eklatanten Fachkräftemangel in der Pflege hinwegtäuschen. Und auf keinen Fall darf er Anlass sein, noch mehr Personal einzusparen. Die dringlichste Forderung der Pflegekräfte lautet nicht mehr Computer, sondern mehr Personal. Wir wissen, dass viele Pfleger:innen länger im Job bleiben oder in den Beruf zurückkehren würden, wenn die Arbeitsbedingungen stimmten. Um genau dies so gewährleisten, ist digitale, intelligente Technologie von großem Nutzen, beispielsweise um den schnellen Zugriff auf Springerpools und flexible Arbeitskräfte zu ermöglichen oder Pflegekräften Jobangebote zu vermitteln, die ihren Wünschen entsprechen.
Dr. Timo Fischer ist Geschäftsführer und Gründer von MEDWING, einem Jobmatching- und Karriereberatungsportal für alle Gesundheitsberufe. Mit über 350.000 ausgebildeten Fachkräften verfügt MEDWING über einen der größten Arbeitnehmerpools für medizinische und pflegerische Berufe in Deutschland und Europa. Das Health-Tech-Startup nutzt die Digitalisierung und persönliche Beratung, um Gesundheitsfachkräfte bei der Suche nach dem passenden Job zu unterstützen.