Die Erwartungen der Pflegebranche an den Gesetzgeber waren groß. Doch mit dem neuen Pflegegesetz (PUEG) und dem Entwurf zum Digitalgesetz im Gesundheitswesen (DigiG) folgt die Enttäuschung. Die Pflegeeinrichtungen befürchten, die Kosten für die Digitalisierung nicht erstattet zu bekommen. Der Grund ist, dass die neue Gesetzgebung nur Einmalzahlungen für die Refinanzierung vorsieht. Ein Verbund aus Pflegeverbänden hat nun einen Gegenvorschlag gemacht. Anstelle von Einmalzahlungen fordert das Bündnis eine langfristige Digitalisierungspauschale pro Pflegetag und Pflegeeinsatz.
Die Kritik an der Gesetzgebung ist berechtigt. Bisher ist es weder für Hersteller noch für Nutzer finanziell attraktiv, in digitale Pflegeinfrastruktur zu investieren. Zum einen sind die Refinanzierungsmöglichkeiten unzureichend, zum anderen sind die bürokratischen Hürden weiterhin hoch. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ist das fatal. Schon heute fehlen in Deutschland 380.000 Fachkräfte im Pflegebereich. Betten können nicht belegt werden, Pflegekräfte wechseln in andere Berufe, der Krankenstand in der Belegschaft ist durch Überlastung und Schichtdienste hoch. Das Problem des Personalnotstandes kann nicht allein durch mehr Personal gelöst werden – denn das gesuchte Personal ist schlichtweg nicht vorhanden.
Ebenso klar ist, dass digitale technische Hilfsmittel sowohl Pflegekräfte und Angehörige entlasten können als auch pflegebedürftigen Menschen mehr Selbstständigkeit und Teilhabe ermöglichen. Dennoch gibt es nach wie vor keine ausreichende Finanzierungsgrundlage für digitale technische Hilfsmittel, weder in der häuslichen noch in der stationären Pflege.
Einmalzahlungen reichen nicht aus
Der Grund ist ein verkürzter Digitalisierungsbegriff. Die Anschaffung und Einrichtung von Informationstechnologie ist das eine, die laufende Weiterentwicklung der Software und Funktionen das andere. Was jeder Smartphone-Nutzer in Form von neuen Apps oder Software-Updates aus dem Alltag kennt, wird in der Gesetzgebung zur Digitalisierung der Pflege bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, Nutzer-Feedback in die Entwicklung der Infrastruktur einzubinden. Mit Einmalzahlungen kann eine solche, sich stetig weiterentwickelnde digitale Infrastruktur nicht adäquat betrieben werden.
Deshalb haben die Pflegeverbände recht, wenn sie neben den IT-Anschaffungen auf weitere Kosten für Wartung, Schulungen, Updates und Nachrüstung hinweisen. Diese Kosten fallen nicht einmalig, sondern langfristig an. Die Blaupause dafür ist im Alltag ebenfalls längst Standard: Beim Mobilfunkvertrag gibt es das Smartphone zum Sonderpreis dazu, Speicherplatz kann in der Cloud gemietet werden, Software wird als Service angeboten – alles zu festen monatlichen und damit kalkulierbaren Kosten. Versteht man unter der Digitalisierung der Pflege mehr als nur Computer und Internet, sondern auch interaktive Dienstpläne, Apps und Kommunikationsplattformen oder den Einsatz von Robotern und KI zur Unterstützung der Pflegenden wird schnell klar, welche wichtige Rolle Updates und neue Funktionen spielen.
Die vom Gesetzgeber favorisierten Einmalzahlungen lassen sich mit diesen gängigen monatlichen Service-Modellen der Technologieanbieter nicht in Einklang bringen. Die genannten laufenden Kosten werden also langfristig wieder durch die Pflegeheime gezahlt werden müssen. Ein K.O.-Kriterium für viele Pflegeheimbetreiber.
Nachbesserungen im Gesetz gefordert
Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, wie es besser ginge. Bis Anfang 2023 war der Hausnotruf, eine seit Jahrzehnten unverändert genutzte Technologie, das einzige Ambient Assisted Living (AAL)-nahe System im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung. Anfang des Jahres wurde die Produktgruppe „Pflegehilfsmittel zur selbständigen Lebensführung/Mobilität“ um eine weitere Untergruppe „Assistenzsysteme” erweitert. Ein wichtiger Schritt und Anreiz für Innovationen in diesem Bereich, auch wenn die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis gerade für Start-ups und mittlere Unternehmen wegen der Bürokratie eine große Herausforderung darstellt, ist dies zumindest für den häuslichen Bereich eine Lösung.
Dies alles zeigt: Die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Digitalisierungspauschale ist ein wichtiger Punkt, der in den Gesetzen nachgebessert werden muss. Wir können der heutigen und zukünftigen Lebensrealität von Pflegenden und Pflegebedürftigen nur gerecht werden, wenn wir die Digitalisierung der Pflege verlässlich und klar refinanzieren. Der Einsatz digitaler Hilfsmittel darf nicht allein von der Finanzierbarkeit für die Pflegeheimbetreiber abhängen, sondern sollte sich aus dem Nutzen für Pflegekräfte, Angehörige und Pflegebedürftige ergeben.
Ali Reza Humanfar ist CEO des Berliner Technologieunternehmens HUM Systems und Erfinder von Livy Care, einer digitalen Sensorstation für den Einsatz in der ambulanten und stationären Pflege.