Es ist ein verbreiteter Mythos, dass Ärzt:innen keine Lust auf Digitalisierung haben. Laut der regelmäßig durchgeführten Bitkom-Studie Medizin 4.0 – wie digital sind Deutschlands Ärzte? sehen mittlerweile 67 Prozent aller Befragten mehr Chancen als Risiken in der Digitalisierung – Tendenz seit Jahren steigend. Das Motto lautet also eher: Aufgeschlossenheit ja, blinde Euphorie nein – auch und insbesondere bei Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs).
Denn das „technophile“” Startup-Ökosystem verortet die Verantwortung für die verhaltene Verschreibungspraxis von DiGAs vor allem auf ärztlicher Seite. Doch um das ganze Bild zu sehen, sollten wir auch diese zweite, ärztliche Perspektive einnehmen. Ärzt:innen kennen ihre Patient:innen seit Jahren, sind mit der gesundheitlichen Biographie vertraut und wollen keine Maßnahme verschreiben, der sie selbst noch mit Unsicherheit gegenüberstehen. Wenn die Startups also wollen, dass mehr DiGAs verschrieben werden, sollten sie vom Forderungs- auf den Informationsmodus umschalten und sich noch mehr mit dem Vokabular und den Bedürfnissen heilender Berufe auseinandersetzen.
Als Ärztin, die beim Digital-Medizinischen Anwendungs-Centrum (dmac) auch DiGA-Anbieter beim Zulassungsprozess begleitet, kenne ich beide Welten und sehe auch, dass die Differenzen nicht unüberbrückbar sind. Es gibt durchaus Stellschrauben für die Startups, um mehr Akzeptanz bei den Ärzt:innen zu wecken.
Fünf Empfehlungen für mehr DiGA-Akzeptanz
1. Ärztliche Routinen kennen und beachtenWer Ärzt:innen angemessen informieren will, sollte sein Informationsangebot in ihre Routinen einbauen. Das bedeutet schnelle, verständliche Informationen statt Bleiwüsten-Broschüren, die in der Masse von Praxiswerbung ohnehin untergehen. Die seriöse Information in Form eines Gastbeitrages in einer Fachzeitschrift sollte daher genauso Teil der Strategie sein wie der persönliche Kontakt.
2. Qualität ist genauso wichtig wie QuantitätDer Vorteil für die Patienten durch die DiGA-Nutzung gegenüber einer alleinigen Standardtherapie sollte in einer Kurzinformation (z.B. Anzeige/Flyer) klar benannt sein und z.B. in Form von Studiendaten sofort erkennbar sein. Wichtig ist es auch, klarzumachen, welches Problem mit der Verschreibung einer App gegenüber einer medikamentösen Therapie vielleicht sogar schonender oder besser gelöst wird. Vielleicht ist die App genau der Baustein, der eine Therapie noch wirksamer macht.
3. Wirtschaftliche Anreize setzenGerade ältere Patient:innen müssen erstmal an eine App herangeführt und die Funktionsweise erläutert werden – wertvolle Behandlungszeit, die andernorts fehlt. Es ist daher zu überlegen, ob dieser Aufwand nicht auch besser im Vergütungsmodell abgebildet werden sollte – zum Beispiel, indem neben der Vergütung für die „Standardbehandlung“ auch On-Top-Sätze für die DiGA enthalten sind.
4. Persönliche BeratungÄrzt:innen sind eine heterogene Zielgruppe, in der auch die Affinität zu digitalen Technologien sehr unterschiedlich verteilt ist. Bei entstehenden Fragen sollte ein niederschwelliges On-Demand-Angebot vorhanden sein, um in den persönlichen Austausch mit einem Außendienst-Mitarbeiter des App-Herstellers zu treten. Eine kostenloser Testzugang und die Adhoc-Beantwortung der wichtigsten Fragen können die Verschreibungsschwelle deutlich senken. Auf diese Weise kann auch trotz geringerer digitaler Bildung genug Vertrauen entstehen, damit Ärzt:innen guten Gewissens die App verschreiben können.
5. Dorthin gehen, wo die Ärzt:innen sindÄrzt:innen gehen zu Kongressen. Anders als die Startup-Szene, in der ausgewählte Mega-Events absolute „Must-Attends“ sind, ist die Medizin deutlich vielfältiger unterteilt. Eine gründliche Recherche nach Kongressen, die thematisch entlang des Krankheitsbildes angesiedelt sind, das die App therapieren will, ermöglicht eine gezielte Ansprache vor Ort und das Gespräch mit führenden Köpfen des jeweiligen Fachbereiches. Wer zum Beispiel eine neurologische App entwickelt hat, sollte unbedingt auf der „Neurowoche“ der DGN präsent sein, aber auch die vielen kleineren Veranstaltungen ins Auge fassen, die die Branche bietet.
Fazit: Vermarktung, aber konsistent
Gerade in der Kommunikation mit Ärzt:innen kann es sich lohnen, einen Schritt zurückzutreten und in der Vermarktung der eigenen DiGA klassischere, leisere aber dafür glaubwürdige Ansprachewege zu wählen. Die hochqualifizierte, verantwortungsbewusste und rational abwägende Zielgruppe der Ärzt:innen wird langfristig schließlich auch nicht auf die zusätzliche Option der DiGA verzichten wollen – wenn sie vom Nutzen überzeugt ist.
Dr. med. Sabine Stallforth ist Neurologin. Als digitale Gesundheitspionierin arbeitet sie mit dem Digital-Medizinischen Anwendungs-Centrum (dmac) daran, dass App-Hersteller und ihre ärztlichen Kolleg:innen in den Dialog treten und gemeinsam eine bessere Versorgung erreichen.