Mit dem Medizinforschungsgesetz ist die Einführung von Geheimpreisen für neue Arzneimittel geplant. Dieses Vorhaben ist Teil der Pharmastrategie der Bundesregierung zur Förderung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Mit der Gesetzgebung wird der Argumentation der Pharmaindustrie gefolgt: Durch das Verschleiern des tatsächlichen Abrechnungspreises zugunsten eines höheren „Schaufensterpreises“ könnten negative Referenzeffekte auf die Preise der pharmazeutischen Unternehmen in anderen Ländern vermieden werden. Dadurch wären die Unternehmen bereit, in Deutschland höhere Rabatte einzuräumen. Schließlich fiele der Abstrahleffekt auf das Ausland weg. Es wird auch behauptet, Geheimpreise würden den Zugang zu neuen Arzneimitteln in Deutschland sichern. So schön dies klingt, wenn man kritisch hinterfragt, bleibt nur wenig übrig.
Die Intention der Bundesregierung, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken, ist grundsätzlich gut. Aber der Plan kann nicht aufgehen, da die Unternehmen andere Ziele und Handlungsmuster verfolgen. Das Geschenk der Geheimpreise wirkt sich für alle Unternehmen gleichermaßen positiv aus. Sie können ihren Gewinn im Ausland steigern, zulasten der benachbarten Gesundheitssysteme. Dies aber unabhängig davon, ob sie Deutschland tatsächlich als Standort für Forschung und Entwicklung oder Produktion wählen. Insofern sind Geheimpreise ungeeignet zur Förderung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Standortentscheidungen sind komplex und hängen von vielen Faktoren ab, beispielsweise von Lohnnebenkosten. Geheimpreise werden jedenfalls die Gesundheitskosten schneller steigen lassen. Aufwachsende Bürokratiekosten sind bereits im ersten Gesetzesentwurf ausgewiesen.
Ungenutzte Arzneimittel bleiben am Markt
Geheimpreise verbessern auch nicht die Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Patientinnen und Patienten in Deutschland haben heute weltweit den schnellsten und umfassendsten Zugang zu neuen Arzneimitteln – im Median dauert es weniger als 50 Tage von der Zulassung bis in die Versorgung. Die Kostenübernahme durch die GKV ist umfassend: Wer den Marktzugang wählt, der ist erstattungsfähig. Anders als in anderen Staaten existieren bislang(!) keine vierte Hürde oder sonstige Zugangsbeschränkungen. Allein die pharmazeutischen Unternehmen können den Vertrieb stoppen. Das tun sie manchmal während der Preisverhandlungen, aber nur dann, wenn ihr Arzneimittel, nachweislich durch einen fehlenden Zusatznutzen, keinen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten bringt. Außervertriebnahmen beobachten wir, wenn es Therapieoptionen gibt, mit denen die Patientinnen und Patienten bereits gut und gegebenenfalls preiswert versorgt sind. Und genau hier würden Geheimpreise ansetzen: Sie halten diese Arzneimittel durch Kostenverschleierung gegenüber den anderen am Markt, obwohl sie in der Versorgung eher nicht gebraucht werden.
Darüber hinaus sind die versprochenen zusätzlichen Einsparungen für die GKV durch Geheimpreise zweifelhaft. Das ergibt sich aus der Erstattungslogik: Die GKV ist für Arzneimittel ab Inverkehrbringen zu jedem Wunschpreis der pharmazeutischen Unternehmen in der Leistungspflicht. Höhere Rabatte könnten daher durch die Unternehmen eingepreist werden. Zudem geht bei verdeckten Preisen im In- und Ausland der Maßstab der Preisgünstigkeit verloren. Nach dem Regelungsentwurf bestünde auch keinerlei Rationale zu höheren Rabatten, weil der Unternehmer einseitig entscheiden kann, ob er einen geheimen Erstattungsbetrag vereinbart.
Unterm Strich ist der Vorteil aus den geplanten Geheimpreisen für die Industrie und für die Versorgung in Deutschland mager. Gleichzeitig lauert in dem Gesetzentwurf ein wahrhaft bürokratisches Monstrum mit enormem Ausgabenpotenzial. Die Einführung der Geheimpreise nach diesem Konzept wäre mit unzähligen Dysfunktionalitäten und dem Wegfall etablierter Steuerungsinstrumente in der GKV verbunden. Die wenigen Auffangregelungen können dies nicht kompensieren.
Preisexplosion und ahnungslose Ärzteschaft
So bricht der Umstand, dass Ärztinnen und Ärzte die Geheimpreise nicht kennen, mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV. Bei gleicher Eignung von Arzneimitteln in der Therapie würde damit bei der Verordnung nicht mehr systematisch das preiswertere Produkt ausgewählt werden. Hierdurch drohen zusätzliche Ausgaben in bis zu zweistelliger Milliarden-Höhe. Dieser Effekt würde sich immer weiter aufbauen – die Finanzsituation der GKV wäre mit jedem weiteren Geheimpreis mehr belastet – ohne eine gezielte Verbesserung der Versorgungssituation. Dies ließe die Beiträge für die Krankenversicherung steigen und Deutschland der vierten Hürde leider ein Stück näherbringen.
Mit der Umsetzung der Geheimpreise würde auch das nächste datentechnische Großprojekt nach der elektronischen Patientenakte und dem elektronischen Rezept auf den Weg gebracht. Die zentrale und aufwandsarme Preismeldung würde wegfallen, neue dezentrale und heterogene Informationsregelungen würden an ihre Stelle treten. Die Unternehmen müssten auf direktem Weg jede der über 90 Krankenkassen informieren. Der GKV-Spitzenverband müsste jedes der knapp 2.000 Krankenhäuser, deren Aufsichtsbehörden sowie eine unbestimmte Zahl von Selbstzahlern, Beihilfestellen und Justizvollzugsanstalten über die Geheimpreise informieren. Die grundlegende Umstrukturierung bisheriger Datenflüsse ist als gewagt zu bezeichnen, wo das Gesundheitssystem wiederholt die kollektive Erfahrung macht, dass Digitalisierungsprojekte sehr langwierig sein können.
Nennenswerte Liquiditätsabflüsse von den Krankenkassen sind zu erwarten. Zur Abwicklung der Geheimpreise ist geplant, dass die Krankenkassen, aber auch jeder einzelne Privatversicherte, eine Vorauszahlung zum hohen Listenpreis leisten und die Unternehmen zu jeder einzelnen Arzneimittelverordnung nachträglich einen Ausgleich zum tatsächlichen Preis vornehmen. Dieser Mechanismus ist enorm bürokratisch und lenkt Finanzströme völlig neu. Krankenversicherer gewähren mit der Vorauszahlung den Unternehmen unter Geheimpreisen beständig eine Art von zinslosem Kredit. Wir reden dabei von hochpreisigen neuen Wirkstoffen, die heute für zwei Milliarden Euro Ausgabenaufwuchs pro Jahr verantwortlich sind. Das bindet Finanzmittel, die damit der medizinischen Versorgung fehlen. Die Abrechnung solcher Forderungen geht erfahrungsgemäß zudem mit Rechtsstreitigkeiten einher. Das Sozialversicherungssystem übernimmt zusätzlich de facto Insolvenzrisiken der Privatwirtschaft.
Zu den Geheimpreisen bestehen viele Regelungslücken, die Zusatzkosten verursachen. Dazu gehört unter anderem die Aufhebung der Vertraulichkeit im Therapieumfeld im G-BA und bei den Preisverhandlungen. Stand jetzt würden die Schaufensterpreise via zweckmäßiger Vergleichstherapie als Preisobergrenzen oder als Ankerpunkte für die Zuschlagsbildung dienen und für eine Preisspirale und damit erhebliche Zweitrunden-Mehrkosten sorgen. Vergleichbare Lücken gibt es für die Abrechnung von Zubereitungen in der Onkologie und im Festbetragsverfahren. In der bisherigen Debatte sind diese Punkte offen – sie verdienen eine gute Antwort.