Wie groß die Gefahr ist, die von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) ausgeht, zeigt eine vor zwei Jahren veröffentlichte Zahl der Weltgesundheitsorganisation: Auf 1,27 Millionen schätzte sie die Zahl der Todesfälle, die 2019 auf AMR zurückgingen – und die Lage verschärft sich weiter.
Antimikrobielle Resistenzen sind deshalb so gefährlich, weil sie verfügbare Medikamente für eigentlich gut behandelbare Erkrankungen wirkungslos machen. Wir als „Ärzte ohne Grenzen“ sehen die Auswirkungen in einer Vielzahl unserer Projekte: Sowohl bei Kriegsverletzten im Nahen Osten als auch bei Personen mit einer fortgeschrittenen HIV-Infektion in Indien und sogar bei Neugeborenen in der Demokratischen Republik Kongo. Aber auch hier in Europa sterben laut Europäischem Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten jährlich etwa 35.000 Menschen aufgrund von resistenten Erregern. AMR sind ein globales Problem mit dem Potential, die Grundlagen moderner Medizin auszuhebeln.
Entsprechend wichtig ist das bevorstehende High-Level-Meeting der Vereinten Nationen zu AMR am 26. September. Hier können die UN-Mitgliedsstaaten dafür sorgen, mit klaren, konkreten und umsetzbaren Verpflichtungen sowie messbaren Indikatoren die Bemühungen gegen die Ausbreitung von AMR zu stärken. Insbesondere Länder mit mittlerem und geringem Einkommen, die die größte Last durch das Aufkommen resistenter Erreger tragen, sollten stärker unterstützt werden. Die Zeit drängt.
Zugang zu Gesundheitsversorgung ermöglichen
Die Bundesregierung sollte sich aktiv dafür einsetzen, dass das UN High-Level-Meeting zu AMR zu einer entsprechenden Deklaration führt. Um die Entstehung und Ausbreitung resistenter Erreger wirklich einzudämmen, sollte sie sich in den Verhandlungen dafür stark machen, dass viel mehr Menschen weltweit Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung bekommen.
Dabei geht es erstens um eine bessere Infektionsprävention und -kontrolle, die verhindert, dass sich resistente Erreger in Gesundheitseinrichtungen verbreiten. Zweitens müssen verfügbare Antibiotika weltweit sachgerecht und verantwortungsbewusst eingesetzt werden – Stichwort Antimicrobial Stewardship. Und drittens müssen existierende Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente in ausreichender Menge dort verfügbar gemacht werden, wo sie gebraucht werden.
Wie wichtig das ist, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Tuberkulose. Weil neuere Tuberkulose-Medikamente und effektive Tuberkulose-Tests für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen durch zu hohe Preise häufig zu teuer sind, ist der Zugang zu einer effektiven Diagnose und Behandlung stark eingeschränkt und resistente Formen von Tuberkulose können sich leichter ausbreiten.
Neue Antibiotika entwickeln
Um neuen resistenten Erregern künftig nicht mit leeren Händen zu begegnen, braucht es außerdem neue Antibiotika – und entsprechend mehr kollaborative Forschung und Entwicklung. Genau hier versagt das klassische Forschungs-Ökosystem: Für Pharmaunternehmen ist die Entwicklung neuer Antibiotika nicht profitabel, weil diese zeitlich begrenzt und potenziell restriktiv eingesetzt werden sollen. So fehlt der finanzielle Anreiz zur Entwicklung dringend benötigter Arzneimittel.
Deshalb braucht es eine nachhaltige und umfassende öffentliche Finanzierung, besonders von privat-öffentlichen Partnerschaften wie GARD-P. Solche öffentlichen und Non-Profit-Initiativen in der Forschung und Entwicklung sollten priorisiert werden, da sie den Zugang zu neuen Produkten am stärksten gewährleisten und eine Art von Zusammenarbeit ermöglichen – wie zum Beispiel in globalen Netzwerken für klinische Studien mit Standorten in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen – die es braucht, um wissenschaftliche Hürden zukünftig zu überwinden.
Investitionen an Bedingungen knüpfen
Außerdem braucht es umfassende und langfristige Investitionen in Forschung und Entwicklung zu AMR, die über die aktuellen Mittel weit hinausgehen. Die Deklaration des High-Level-Meetings sollte darauf abzielen, dass diese öffentlichen Gelder an umfassende Bedingungen geknüpft werden, damit neue Produkte allen, die sie benötigen, schnell und zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung stehen.
Bisher ist es so, dass Pharmaunternehmen, die neue Antibiotika entwickeln, hohe Preise für ihre Produkte verlangen können – selbst, wenn die Entwicklung dieser Antibiotika von öffentlichen Fördergeldern mitgetragen wurde, was sehr häufig der Fall ist. Ebenso kommt es zu erheblichen Verzögerungen bei der Registrierung von neuen Produkten in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen. Viele Länder werden schlicht als Märkte für neue Antibiotika ausgeschlossen, weil sie wirtschaftlich unattraktiv sind: In mehr als zehn Ländern wurde nur die Hälfte der neuen Antibiotika, die zwischen 1999 und 2014 auf den Markt kamen, registriert.
Labore und Diagnostik ausbauen
Um die Erkennung und Behandlung von AMR weltweit auszubauen, braucht es außerdem umfassendere Laborkapazitäten. Denn ohne eine präzise Diagnose sind die Möglichkeiten zur Behandlung minimal.
Ohne gute Labore fehlt es außerdem an der Datengrundlage, die es braucht, um fundierte politische Entscheidungen zu treffen, etwa in Bezug auf Forschungs- und Entwicklungsprioritäten. Um den Bedarf an einem verbesserten Zugang zu AMR-Diagnostik zu decken, sollte die Deklaration eine Kombination von Maßnahmen absichern: Erstens den Ausbau einer mikrobiologischen Labor-Infrastruktur, zweitens die Schulung von Fachpersonal und drittens die Förderung von Labor-Innovationen, die für einen wirksamen und nachhaltigen Einsatz in ressourcenarmen Umgebungen geeignet sind.
Ein wichtiger Nebeneffekt solch ausgebauter Laborkapazitäten wäre, dass auch andere Krankheiten leichter erkannt und behandelt werden können.
Zugang zu Gesundheit darf kein Luxus sein
AMR ist eine globale Krise, die nur global gelöst werden kann. Denn die Entstehung neuer Resistenzen lässt sich nicht stoppen, wenn die Wahl der Forschungsprioritäten oder der Infrastrukturausbau immer wieder von den Interessen einiger weniger Länder bestimmt wird. Ebenso wenig hilft es, wenn Profitinteressen privater Pharmaunternehmen sich gegen die Interessen der öffentlichen Gesundheit durchsetzen.
Priorität muss stattdessen haben, in den am stärksten von AMR betroffenen Ländern die Diagnostik und die Gesundheitsversorgung auszubauen. Erst wenn Zugang zu Gesundheit kein Luxus mehr ist, gibt es eine globale Lösung für dieses globale Problem.
Jasmin Behrends ist Expertin für globale Gesundheit bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Deutschland.